Lust an Gewalt?

Zugegeben: Man muss eine ordentliche Portion Galgenhumors und Vorliebe für makabre Blutorgien mitbringen, um auch nur eine einzige Episode der Happy Tree Friends goutieren zu können! Dabei beginnt jede der mittlerweile über hundert Folgen auf eine dermaßen harmlose Weise, dass man sich in einer überkitschigen Disney-Szenerie wähnt. Meist spielen einige der Cartoon-Figuren auf satten grünen Wiesen unter einem wolkenlosen blauen Himmel oder gehen harmlosen Alltagsbeschäftigungen nach.

Doch die Idylle trügt: Durch Nachlässigkeit oder Verkettungen unglücklicher Umstände explodiert die bonbonbunte Kulisse alsbald in Hektolitern an Blut, Eingeweiden und abgetrennten Gliedmaßen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ähnelt sich der Aufbau der Folgen somit. Und trotzdem begeistern sich zahlreiche Zuseher an diesen Gewaltexzessen, was die Frage aufwirft: Warum? Steckt eine moralisch verwerfliche Lust am Begaffen von Leid dahinter, den niedlichen Happy-Tree-Friends-Figuren beim meist qualvollen Ableben zuzusehen? Oder amüsiert vielmehr der Widerspruch zwischen niedlicher Plüschwelt und dem exzessiven Einsatz von Gewalt?

Überraschenderweise gehen die Wurzeln der Happy Tree Friends auf das Animations-Studio Dreamworks zurück, das mit Blockbustern wie der "Shrek"- sowie der "Madagascar"-Serie nicht gerade für Splatterorgien berüchtigt ist.

Happy Tree Friends erobern das Internet - und MTV!

1995 hatten sich Regie-Gigant Steven Spielberg, Jeffrey Katzenberg (einst bei Disney für einige der größten Animationshits verantwortlich) und der Gründer von Geffen Records zusammengeschlossen, um mit DreamWorks ein unabhängiges Filmstudio zu schaffen. Ein nobler Vorsatz, der allerdings nur bis 2005 reichte, als Paramount DreamWorks schluckte.

Teil der Strategie war es, den Internet-Boom für ein gewagtes neues Geschäftsmodell zu nutzen, indem Unterhaltungsserien mit Stars wie Steve Martin und Eddie Murphy, aber auch Cartoons exklusiv online angeboten werden sollten.

Dummerweise versenkte die im Jahr 2000 geplatzte Dotcom-Blase das Projekt, noch ehe eine einzige Folge über die Monitore gelaufen war. Gerüchteweise soll das Fiasko DreamWorks mindestens 7 Millionen Dollar gekostet haben.

Eine dieser niemals realisierten Cartoon-Serien war die vom gebürtigen Filipino Kenn Navarro konzipierte Flash-Animationsserie Happy Tree Friends, dem Mondo Media noch 1999 Grünes Licht für die Realisierung der ersten Episoden gegeben hatte. Nachdem DreamWorks Webportal pop.com gestrichen worden war, entschloss sich Mondo Media dazu, die Happy Tree Friends als Internet-Stream zu veröffentlichen.

Der Rest ist eine für die Produzenten der Serie völlig unvorhersehbare Erfolgsgeschichte. Bereits in den ersten Monaten verzeichneten die einzelnen Episoden Millionen Zugriffe! Internationale Bekanntheit erlangte die Serie insbesondere durch die Ausstrahlung auf MTV, was freilich für allerlei Kontroversen sorgte.

"Härter, härter!!! Aaaah..."

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Bedient Happy Tree Friends die Lust an Gewalt?

Diskussionen über Cartoon-Gewalt gibt es genauso lange wie Cartoons selbst. Sogar die ersten Micky-Maus-Cartoons spielten mit der Lust an Gewalt (und Unanständigem: In "Plane Crazy" ringt die später überkorrekt brave Maus seiner Freundin Minnie noch gegen deren Willen einen Kuss ab!), die seinerzeit allerdings noch weniger ernstgenommen wurde, was unter anderem zu den berüchtigten Tom&Jerry-Cartoons führte, in deren Verlauf die Figuren plattgewalzt oder Katze Toms Schwanz auch schon mal in Stücke gehackt wurden.

Während Hollywood und die Verlagswelt auf stets drastischere Schock- und Ekeleffekte setzten, wurde die Darstellung exzessiver Gewalt in Cartoons stetig zurückgeschraubt und konnte, wenn überhaupt, nur noch in parodistischer Form gezeigt werden, etwa in der an Tom&Jerry angelehnten, fiktiven "Itchy & Scratchy Show" aus dem Simpsons-Universum. Die makabre Komik der Happy Tree Friends speist sich aber nicht bloß aus der Zurschaustellung blutigster Splatterszenen, sondern vielmehr aus dem kongenialen Umfeld, in welchem sich die Gewalt ereignet, nämlich einer nach allen Regeln der Animationskunst kitschig gezeichneten Phantasiewelt, wie man sie allenfalls aus Serien wie My Little Pony kennt.

Dass ausgerechnet die oft plüschigen Bewohner dieser niedlichen Welt mit extremsten Blut- und Gewaltorgien konfrontiert werden, erzeugt entweder tiefste Abscheu oder herzhaftes Lachen. Doch so absurd und übertrieben hierbei der Tod auch zu Werke gehen mag – frappierende Parallelen zur ebenfalls makabren "Final Destination"-Filmserie sind wohl nicht zufällig -, so clever sind die meisten Episoden inszeniert. Die Happy Tree Friends zerstückeln einander nicht einfach, wie es bei der "Itchy & Scratchy Show" oftmals der Fall ist, sondern werden Opfer ihres eigenen oder fremden Übermuts, oder fallen einer grausamen Laune des Schicksals anheim.

Panel aus "Kain & Abel", dem ersten Comic der Menschheitsgeschichte. Leider nach nur einer Ausgabe eingestellt.

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Happy Tree Friends: Kein moralischer Zeigefinger

Mit klassischen Horrorerzählungen haben die Happy Tree Friends kaum noch etwas gemeinsam. Der Tod oder die Marter wird nicht als gerechte Strafe für Unrecht oder als Folge unredlichen Verhaltens, etwa die Erweckung von Toten oder Anrufung von Dämonen, dargestellt. Vielmehr schlägt das Schicksal willkürlich zu und spart auch die Kinder nicht aus. Dieser realistische Handlungszug macht vor der Darstellung der Gewalt nicht Halt: Wenn etwa Köpfe explodieren, spritzen Blut und Gehirnmasse durch die Gegend.

Kann man trotzdem Gefallen an den Happy Tree Friends finden? Durchaus, so man der Serie nicht zu viel Gewicht beimisst und sie als das betrachtet, was sie nun einmal ist: Reine Unterhaltung ohne moralischen Zeigefinger – wiewohl jeder Episode ein kurzer Sinnspruch folgt -, die dermaßen over the top ist, dass sie unmöglich ernstgenommen werden kann. Für Kinder ist diese Cartoon-Serie trotz der niedlichen Figuren natürlich nicht geeignet. Allerdings obliegt es der Verantwortung von Eltern, den Medienkonsum ihrer Kinder zu überwachen, weshalb die Empörung ob der Gewaltdarstellungen rasch als das entlarvt werden kann, was sie ist: Die Abwälzung von Verantwortung.

Man muss kein Horrorfan sein, um die Happy-Tree-Friends-Cartoons zu lieben. Schaden kann es aber jedenfalls nicht. Denn einige Episoden dürften selbst Splatterfreunden an die Eingeweide gehen.

 

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