Empirismus versus Rationalismus

In der Vorrede zur ersten Auflage der KrV skizziert Kant die Situation des philosophisch-erkenntnistheoretischen Verständnisses im 18. Jahrhundert. Empirismus und Rationalismus liegen im Streit um den rechten Denkansatz in der Frage zur Erkenntnis der wahren Dinge.

Der Empirismus vertritt die Auffassung, dass dem Menschen philosophisch-wissenschaftliche Erkenntnis nur durch Erfahrung, also empirische Mittel möglich ist. Die wichtigsten Vertreter dieser Denkart sind vor allem Hobbes, Locke, Berkley und Hume.

Der Denkansatz des Rationalismus (Descartes, Leibniz, Wolff) hingegen meint, dass der Mensch die Welt nur durch das begriffliche Denken erfassen kann und das Empirie nicht das Wahre an sich erkennen lässt.

 

Kopernikanische Wende

Kants Ansatz ist nun ein ganz anderer: Indem er, durch die sogenannte "Kopernikanische Wende", die Orientierungsauffassung der traditionellen Erkenntnislehre (der Mensch richtet sein Erkenntnisstreben nach den Dingen) genau umgekehrt interpretiert (die Dinge fügen sich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit), gelingt es seiner Philosophie zwischen Empirismus und Rationalismus eine Brücke zu schlagen. Da die menschliche Erkenntnisfähigkeit nun im Mittelpunkt der Betrachtung steht, fragt Kant nun, wie der Mensch in seinem Bestreben nach Erkenntnis beschaffen ist, und ob er mit seinen Mitteln überhaupt fähig ist das zu erkennen, was er auch wissen will, nämlich das wahre Wesen der Dinge bzw. der Wirklichkeit also, das "Ding an sich"? Kant verneint dies und argumentiert mit Hilfe der zwei menschlichen Erkenntniskomponenten (Sinnlichkeit und Verstand). Beide sind nach Kant für den menschlichen Bezug auf die Welt unbedingt notwendig, gleichzeitig aber begrenzen sie die menschliche Fähigkeit des Hinterfragens der weltlichen Wirklichkeit eben auf genau diese zwei Aspekte. Das "Ding an sich" entzieht sich der menschlichen Erkenntniskompetenz.

Sinnlichkeit, Anschauung und Erscheinung

Die "Transzendentale Ästhetik" liefert das theoretische Fundament der Sinnlichkeit. Kant findet hier zwei der Sinnlichkeit immanente Elemente (Anschauungsformen), nämlich Raum und Zeit. Beide sind dem Menschen in seiner Verfassung als sinnliche Wesen a priori zu eigen. Sie sind die formalen Prinzipien der Sinnlichkeit im Menschen, welche es überhaupt erst ermöglichen, dass uns etwas in unserer Wahrnehmung gegeben ist. Dieses uns Gegebene bezeichnet Kant nur als "Erscheinung" der Dinge, denn das wahre Sein der Letzteren ("Dinge an sich") ist dem Menschen ja wie bereits erwähnt unerkenntlich.

Verstand, Kategorien und Begriffe

In der "Transzendentalen Analytik" entwirft Kant sein Gedankenkonstrukt des menschlichen Verstandes, dem zweiten Prinzip der Erkenntnis. Das uns in den Sinnen Gegebene ist Kants Ansicht nach vorerst nur eine ungeordnete Masse an Wahrnehmungen, von denen wir keinen Begriff haben ("Mannigfaltigkeit der Anschauung"). Der Verstand, genauer seine a priorischen Begriffe (Kategorien) sind nun notwendig, um eine begriffliche Ordnung in das Sinnenmaterial zu bringen, also, es uns "begreiflich" zu machen. Die Kategorien sind die reinen (nicht-empirischen) und im Verstand a priori fungierenden Begriffsstrukturen, die es uns ermöglichen, die um uns wahrgenommenen Dinge überhaupt zu benennen, also, einen Begriff von ihnen zu haben, was nichts anderes heißt, dass wir etwas von diesem Gegenstand wissen bzw. erkannt haben.

Das ist nun die Kantische Antwort auf die Frage nach der möglichen Reichweite der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Es bleibt aber nun noch die Frage nach dem "Ding an sich", welche ja eigentlich die ursprüngliche Ausgangssituation bestimmt hat.

Die Antwort darauf gibt Kant nun in der "Transzendentale Dialektik". Dort beschreibt er den Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit einer Metaphysik für das menschliche Denken und dem Dilemma, dass eben dieses Bestreben nur scheinbare Antworten auf die gestellten Fragen nach dem Wahren der Wirklichkeit findet. Denn genau an der Schnittstelle zwischen Fragestellung und Lösungsfindung kommt es zum sogenannten "transzendentalen Schein". Doch zunächst einige Erläuterungen zur Vernunft bzw. zu den ihr zugehörigen reinen Vernunftbegriffen, den transzendentalen Ideen:

Vernunft und transzendentaler Schein

Die menschliche Vernunft ist für Kant eine Art "Erweiterung des Verstandes". Wie bereits erörtert leistet der Verstand im Erkennen die begrifflich-strukturierende Ordnung für die sinnlich-wahrgenommenen, jedoch unbestimmten Gegenstände. Die Vernunft trachtet nun nach der Erkenntnis des wahrhaften Seins hinter den durch Sinnlichkeit und Verstand gegebenen Einzelerkenntnissen. Dies ist aber nun nichts anderes, als die Frage nach dem "Ding an sich". Da die menschliche Erkenntnisfähigkeit aber nicht über Sinnlichkeit und Verstand hinausgehen kann, kann die Erkenntnis der Vernunft bezüglich der wahren Wirklichkeit nur "scheinbar" richtig sein. Zwar liegt die Suche der Vernunft nach der letzten Wirklichkeit in der Folgerichtigkeit des menschlichen Erkenntnisbestrebens selbst begründet (denn auch die sinnlich-begriffliche Einzelerkenntnis fragt prinzipiell nach dem "Ding an sich"), doch fehlen ihr, als Erweiterung des Verstandes, die von uns sinnlich wahrgenommenen Gegenstände der Anschauung. Die Vernunft argumentiert also rein rational-begrifflich in ihrer Suche nach der letzten Erkenntnis. Genau das ist aber das Problem, denn dadurch wird der notwendige sinnliche Anteil der Erkenntnis übergangen. Die Vernunft überschreitet also die Grenze der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und liefert nur scheinbare Antworten auf die Fragen nach der Wirklichkeit. Es entsteht also der "transzendentale Schein".

Transzendentale Ideen

Bisher war stets von der Frage nach nur einer einzelnen Erkenntnis der Wirklichkeit die Rede. Bei Kant zergliedert sich bei der Suche das Wahre jedoch in drei Teile, nämlich jene drei Begriffe, welche der Vernunft a priori zu eigen sind (reine Vernunftbegriffe) bzw. die drei diesen Begriffen entsprechenden "scheinbaren" Vernunfterkenntnisse (transzendentale Ideen). Es sind diese die Erkenntnis des wahren Selbst (Seele), des wahren Seins der Objekte (Welt) und des letzten Grundes beider (Gott).

Diese drei Schlüsse der Vernunft sind auf Grund ihrer nur scheinbaren Gültigkeit nicht konstitutiv für die menschliche Erkenntnis, das heißt, wir verfügen durch sie nicht über konkretes, neu gewonnenes Wissen, sondern sie sind nur Ideen, also unbestimmte Begriffe in unserem Denken. Wir werden daher nach Kant nie die wahrhaft gültigen Antworten auf die drei genannten Fragen finden, allerdings werden wir uns diese Fragen immer stellen, denn sie gehören zu unserem Menschsein und unserer Fähigkeit über uns selbst und die Welt nachzudenken und die Wirklichkeit zu hinterfragen dazu. Diese Tatsache, dass die transzendentalen Ideen uns stets in unserem Philosophieren begegnen, wird folglich erst in Kants ethischen Schriften relevant sein. Dort nämlich finden sich die transzendentalen Ideen dann in ihrer regulativen Funktion in der Frage nach dem moralisch richtigen Handeln des Menschen wieder. Sie sind demnach also nicht überflüssig, haben aber durch Kants erkenntnistheoretische Leistung einen neu definierten Platz in der abendländischen Philosophie erhalten.

Literatur:

  • Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt a.M. 1974, Hrsg.: Wilhelm Weischedel)
  • Hans Michael Baumgartner: Kants "Kritik der reinen Vernunft" (Karl Alber, München 2006)
  • Ralf Ludwig: Kant für Anfänger. Die Kritik der reinen Vernunft (dtv, München 2011)
  • Otfried Höffe: Immanuel Kant (C.H. Beck, München 2004)
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