Die Biografie des Mario Wirz - Kindheit in der Kleinstadt

Heute ist es kaum noch vorstellbar, aber als Mario Wirz 1956 in Marburg geboren wurde, galt es noch als ein Makel, ein uneheliches Kind zu sein. Deshalb verbrachte er seine ersten drei Lebensjahre in einem Kinderheim. Danach war seine Mutter in der Lage, ihn selbst zu versorgen.

Das tat sie in der Kleinstadt Frankenberg. Und wie schwer es ihr fiel und wie diese ledige Mutter und ihr Kind geächtet waren, davon finden sich in den Gedichten von Mario Wirz immer wieder Anklänge - "Bastard" sei er genannt worden, "Rufmord ist hier Alltag", schreibt er. Zu diesem Themengebiet gehört der Zyklus "Landleben" in dem Gedichtband "Sturm vor der Stille", darunter das hier vorgetragene Gedicht "Arm wie die Kirchenmäuse - Königin und Prinz", das Mario Wirz seiner Mutter gewidmet hat.

Der Schauspieler Mario Wirz

Nach dem Abitur zog Mario Wirz nach Berlin. Er outete sich als schwul, stürzte sich ins Berliner Nachtleben, änderte seinen Namen in Mario (angeblich nach einem Roman von Bonsels, wahrscheinlicher aber wegen des Wohlklangs) und begann eine Ausbildung an der Schauspielschule. Dort war man zu seiner großen Erleichterung der Ansicht, er eigne sich nicht zum jugendlichen Liebhaber und sei stattdessen für die Rolle des Antihelden wie geschaffen. Sein erstes Engagement hatte er an der Berliner Vagantenbühne. Von 1981 bis 1984 war er am Jugendtheater Kiel, wo er unter anderem sein eigenes Stück "Atemlos" inszenierte.

Dabei hörte er aber niemals auf, zu schreiben. Ein unverlangt an einen Verlag geschicktes Manuskript hatte den von allen Schriftstellern erträumten Brief zur Folge mit dem Inhalt: Ihre Gedichte haben uns sehr gut gefallen, wären Sie an einer Veröffentlichung interessiert? In Folge dessen erschienen 1982 und 1984 seine ersten beiden Gedichtbände: "Und Traum zerzaust dein Haar" und "All die vielen Nachtschritte".

Schon damals schien seinen Freunden dieses Lied wie für Mario Wirz geschrieben:

 

 

Eine HIV-Infektion, die zu dieser Zeit normalerweise noch tödlich verlief, wurde bei ihm diagnostiziert und warf ihn aus der Bahn. Später würde er sein Leben, die Zeit der Infektion wie die Zeit nach der Diagnose, beschreiben in dem Bericht "Es ist spät, ich kann nicht atmen". Das Buch kam 1992 heraus, und damit zählte Mario Wirz damals schon als long term survivor, als einer, der dem Tod von der Schippe gesprungen war.

Vorausgegangen war diesem Bericht ein Briefwechsel mit Rosa von Praunheim - veröffentlicht unter dem Titel "Folge dem Fieber und tanze" -, der ihn ermutigte und zum Schreiben brachte, dazu, offensiv mit seiner Infektion umzugehen.

Mit diesem Buch wurde Mario Wirz zum deutschen Gesicht der Krankheit. Das NDR sendete 1996 ein 45-minütiges Portrait über ihn mit dem Titel "Morgen ist auch noch ein Tod". Er wurde zu Talkshows und Lesungen eingeladen. In der Sendung von Alfred Biolek erzählte er dann, dass er außerdem auch noch Krebs bekommen hatte - "die beiden Geiseln des modernen Menschen", wie er es ausdrückte.

Dabei schrieb er weiter - Romane, Theaterstücke, Gedichte.

Der Dichter Mario Wirz

Gut schreiben konnte er schon immer. Im Lauf der Jahre kam aber noch etwas anderes dazu, das seine Gedichte immer besser werden ließ. Vielleicht hat der Gedanke der eigenen Sterblichkeit dazu beigetragen, den man so gerne verdrängt und den er nicht verdrängen konnte - obwohl, wie er gerne zitiert, der Tod jedem von uns gleich nahe ist.

Manche seiner Gedichte sind Anklagen gegen die Ungeheuerlichkeit des Todes. Die meisten aber sind Liebeserklärungen an das Leben.

Vorübergehend unsterblich
Vorübergehend unsterblich: Gedichte

Sie handeln von Engeln und Wundern, an denen sein Leben reich ist. Sie beschwören den intensiv gelebten Augenblick. Sie erinnern daran, dass es sinnlos ist, ein Leben sichern oder festhalten zu wollen.

Rosa von Praunheim hat 2012 einen Film über Mario Wirz gedreht, "Der kranke Dichter", einen der 70 Filme aus "Rosas Welt", der im RBB zu sehen war und anschließend in Programmkinos lief. Dieses Portrait beginnt mit der Lesung zu Mario Wirz' neuem Gedichtband "Vorübergehend unsterblich", die lange verschoben worden war wegen einer neuen Krebserkrankung des Autors. So, wie er selbst  seinen Zustand schildert, ist es unwahrscheinlich, dass Mario Wirz dem Tod ein drittes Mal von der Schippe springen wird.

Der kranke Dichter verabschiedet sich

Mario Wirz hinterlässt uns ein Abschiedsgeschenk. Er hat einen kleinen Kalender herausgebracht mit einem Gedicht für jeden Monat. Der Kalender endet nicht am Jahresende 2013, sondern reicht noch einige Blätter weiter. Er möchte, dass seine Gedichte ihn überleben und "jeden Monat mit Freude begrüßen".

Wie sich herausgestellt hat, werden sie das noch ein Jahr nach seinem Tod tun.

Artikel über Mario Wirz

Der Lyriker Mario Wirz stellt sich Aids
Zum Welt-Aids-Tag 2006 berichtet die "Welt"

"Ich bin blond und unsterblich"
Interview 2009 anlässlich des Buches "Nachrichten von den Geliebten"

"Der Tod hat keine Macht über das Glück"
Interview mit der Berliner Aidshilfe, 3. April 2013

Berliner Lyriker Mario Wirz gestorben
Er hatte sich gewünscht, noch einen letzten Mai zu erleben.

Am 30. Mai 2013 ist Mario Wirz gestorben.

Jetzt ist ein ganzes Leben
Der letzte Gedichtband von Mario Wirz

 

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