Buchcover, @ Siedler Verlag

 

Fiktive Namen und wechselnde Frauen

Rolf Hosfelds Haltung gegenüber Tucholsky ist geprägt von einer Kombination aus Einfühlungsvermögen und dem Pathos der Distanz. "Tuchos" Erlebnisse mit seinen fünf Hauptfrauen – Else Weil, Mary Gerold, Lisa Matthias, Gertrude Meyer und Hedwig Müller – werden relativ nüchtern konstatiert, ohne dass sich Hosfeld quasi in Tucholsky hineinbegibt und die intensiven Eskapaden mit übersteigerten Gefühlen auflädt. Hosfeld lässt die Fakten sprechen in Form von schriftlich fixierten Äußerungen Tucholskys und überlässt die Interpretation dem Leser. Tucholsky hatte ein Faible für fiktive Namen, er publizierte unter den Namen Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger und Kaspar Hauser und zeigte bei diesen Wortschöpfungen wenig Originalität. Auch seine Frauen bekamen Zweitnamen verpasst, so ersetzte er beispielsweise Else Weil durch Claire Pimbusch. Das Gefühl der Einsamkeit war für ihn unerträglich, deshalb hatte er bei einer ernsthaften Beziehung stets noch eine andere Frau in der Hinterhand, die im Notfall einspringen konnte. Egal, wo er sich gerade aufhielt – in Berlin, Paris oder zuletzt in Schweden – er kam nie zur Ruhe, war ein Getriebener, der nie irgendwo dauerhaft sesshaft wurde und, innerlich zerrissen, wie er war, häufig verreiste und Gesundheitskuren absolvierte, als wolle er einem neuen verheißungsvollen Leben hinterherjagen.

 

Eine Gabe der Witterung

Man mag dem Buch vorwerfen, dass darin viel Zeitpolitik vorkommt und die Zustände der Weimarer Republik akribisch festgehalten werden. Aber Tucholsky war vor allem auch ein politischer Redakteur, der die Vorgänge der jungen angeschlagenen Republik wortgewandt kommentierte. Er vermisste primär die Ethik und eine ordentliche Gesinnung. Nicht nur Hosfeld, auch zuvor schon Fritz J. Raddatz erkannten eine ungewöhnliche Gabe der Witterung, ein Gespür für die "seismographischen Spannungen" seiner Zeit, zuweilen ans Prophetische grenzend. Ohne Zweifel, er litt, versuchte aber, dem Leiden forschen Sprachwitz entgegenzusetzen: "Gestern standen sie noch bei Kapp/ Mit wehenden Fahnen – aber nicht zu knapp!/ Bolschewisten? Nein. Aber Hochverräter/ Sah ich – und ihre geistigen Väter - / Laufen noch alle frei herum:/ Ludendorff, Erhardt und Baltikum." Er dichtete gern und viel, im Oktober 1919 erschien sein Gedichtband "Fromme Gesänge". Eine Neigung für politische Coupletgedichte habend, arbeitete er mit dem Kabarettisten Paul Graetz zusammen, das Ergebnis war eine Plattenproduktion. Neben einer Kooperation mit Walter Mehring schrieb er außerdem sämtliche Texte für die Revuen von Rudolf Nelson, der allerdings weitaus konservativer als Tucholsky war.

 

Vom deutschen Büchermarkt abgeschnitten

Intervallartig erschienen seine Bücher, Zusammenstellungen von alten, bereits veröffentlichten Texten und Neues. Bereits 1912 kam "Rheinsberg" heraus, eine poetisch-idyllische Beschreibung seiner Urlaubserlebnisse mit Else Weil. Weitere Bände folgten, etwa "Träumereien an preußischen Kaminen" (1922), "Mit 5 PS" (1927), "Das Lächeln der Mona Lisa (1928), "Deutschland, Deutschland über alles" (1929) und "Schloss Gripsholm" (1931). Tucholsky erhielt gute Honorare, lebte in noblen Verhältnissen, aber nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten standen seine Bücher auf dem Index und der deutschsprachige Büchermarkt war für ihn abgeschnitten. Nach Einstellung der Weltbühne im März 1933 hatte er auch keine Publikationsmöglichkeit mehr, das Geld ging ihm aus. Obwohl fast ausschließlich im Ausland lebend – bis September 1933 wohnte er bei Hedwig Müller in Zürich, danach wieder im sicheren Schweden – ertrug er unter psychischen Schmerzen die Entwicklungen im Reich. Seine Hand wurde immer schwerer, von Inspiration keine Spur – war er nicht "ein aufgehörter Dichter"? Niederschmetternd war zudem, dass der lange von ihm verehrte Dichter Knut Hamsun sich öffentlich für Hitler aussprach. Tucholsky klammerte sich verzweifelt an politische Gruppierungen, die nach Auswegen aus der Krise suchten – doch es waren nur Utopien, die der wahr gewordenen Dystopie nichts entgegenzuhalten vermochten. Es gab keinen Grund zum Kämpfen mehr, auch die Nestwärme, die er zuweilen noch hatte, ging verloren. Am 21. Dezember 1935 starb er in Göteborg, ob es Selbstmord war oder leichtsinniger Tablettenmissbrauch, ließ sich nie genau feststellen. Nun, gerade als Zeitdiagnostiker und scharfsinniger Gesellschaftskritiker ist Kurt Tucholsky immer noch von ungebrochener Aktualität. Mit seinem nüchternen Stil wollte Rolf Hosfeld eine Apotheose verhindern. Es ist ein faktenreiches Buch, der Zauber, der von Tucholsky ausgeht, wird nicht intensiv ausgebreitet, er muss vom Leser selbst entdeckt werden.

Rolf Hosfeld: Tucholsky. Ein deutsches Leben. 2012: Siedler Verlag, München. 320 Seiten.

Autor seit 10 Jahren
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