Das freischaffende Texten - ein zukunftsträchtiges Segment?

 

 

 

Das Internet ist in Bewegung. Es bestehen in Deutschland einige etablierte Artikel-Plattformen, auf denen Autoren zu allen möglichen Themen Beiträge verfassen können. Sie bieten neben der Entfaltung publizistischer Kreativität auch die Möglichkeit eines Zusatzeinkommens - durch Beteiligung an den Werbe-Einnahmen. Wer sein Talent als Texter ansonsten verdienstbringend ausleben möchte, kann auch andere Optionen nutzen - etwa über Textagenturen, die Aufträge vergeben. Oder eine Kombination aus beidem nutzen - das Gestalten von Auftragstexten und freien Texten, wie es beispielsweise Wikio bislang angeboten hat.

 

Der Rückzug der Netzportale

 

Davon leben kann man freilich nicht. Und auch die Betreiber der Artikel-Portale und Auftragstext-Agenturen gelangen wohl zunehmend an die Grenze der Rentabilität. In Zeiten der Rezessionsangst ist das Werbebudget eine der ersten Kostenpositionen, an denen gespart wird. Rückläufige Webespots bedeuten einen Schwund an Werbeeinnahmen. Die Portale und Agenturen haben immerhin ihre festangestellten oder freien Mitarbeiter zu bezahlen. Schon vor drei Monaten fiel mir eine zunehmende Fluktuation der Stamm-Lektoren auf - am Beispiel der Online-Plattform Suite101, die in Trägerschaft des Burda-Verlages betrieben wird.

Die Aussteiger im Überblick

Textbörse Pagecontent

Die jüngsten Entwicklungen

Vor gut einem Monat meldete sich die Text-Agentur Pagecontent ab - mit der Begründung, durch Fusion in einem anderen Unternehmen aufzugehen. Pagecontent, welches Unique Content (SEO-Textre) vermittelt,  war erst zu Jahresbeginn gestartet. Schon Wochen vor der Akquisition hatte sich der Angebotsbestand an Auftragstexten merklich ausgedünnt. 

 

Vor wenigen Wochen kündigte die Berliner Autorenplattform Typeer an, ihren Geschäftsbetrieb per 30.November einzustellen. Die Begründung: Zu wenig Zeit, um sich "angemessen um den Betrieb und die Weiterentwicklung zu kümmern". Nach meiner Erfahrung ist der Mangel an Zeit  jedoch nie ein Problem, solange sie für eine halbwegs profitable Tätigkeit aufgewendet wird. Das Problem von Typeer lag wohl darin, dass die Betreiber ihre Werbeerlöse zu hundert Prozent ausgeschüttet haben und die laufenden Kosten aus eigener Tasche bezahlten. So jedenfalls die eigene Darstellung.   Die Netzplattform hatte ihren Dienst einst in Aufbruchstimmung begonnen, ein gewisser Idealismus war unübersehbar.

 

Typeer bestand immerhin drei Jahre lang im Netz. Die Textplattform Wikio Experts, deren Träger-Unternehmen seinen Geschäftssitz in Frankreich hat, war nur wenige Monate aktiv. Der Betreiber hatte seinen  Autoren bislang drei Vergütungsoptionen für Auftragstexte mit vorgegebenen Keywords und mit vorgegebenem Wortzahl-Rahmen angeboten: die Zahlung eines Fixums von fünf bis acht Euro je Beitrag, die Beteiligung an den Werbeeinnahmen (meßbar an den Clicks der Besucher) und drittens eine Kombination aus beidem: eine Fixum-Komponente von 2,50 Euro plus Werbeeinnahmen-Anteil, allerdings mit einem oberen Limit von fünfzehn Euro. Dieses Geschäfts- und Vergütungsmodell hat sich offenbar nicht gerechnet

Die ökonomische Rentabilitätsgrenze

Den Misserfolg hat Wikio auch recht freimütig eingestanden. Wikio hat angekündigt, nun einen neuen Service aufbauen zu wollen, der nur noch  die anteilige  Vergütung  an den generierten Werbeeinnahmen vorsieht. Start soll Ende September sein. Wahrscheinlich eine abgespeckte Version, in der nur noch freie statt thematisch vorgegebener Texte vorkommen sollen. Das lässt auf eine künftig rückläufige Besucherzahl schließen und auf weniger Professionalität.

 

Natürlich ist das Internet übervölkert - es gibt wahrscheinlich mehr Autoren als Leser, das muss man so drastisch ausdrücken. Und das kann auf Dauer wirklich keinen sinnvollen Bestand   haben. Objektiv betrachtet - unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten - rechnet es sich einfach nicht, weder für die kreativen Texter noch deren "Sponsoren" aus dem Bereich werblicher Vermarktung.

 

Das überschätzte Online-Potential

 

Das Internet erreicht inzwischen zwar jeden, aber die wirklich schweren Geschäftsabschlüsse finden hier nicht statt - von Ebay mal abgesehen. Aber Entscheidungen der Geldanlage, der Immobilienverkauf, der Autohandel oder auch Karrierewege suchen sich andere Kanäle. Das Netz flankiert hier allenfalls, durch Informationen. Studien haben wiederholt den Nachweis erbracht, dass Kaufentscheidungen kaum durch online geschaltete Werbe-Anzeigen beeinflusst werden.

 Es sind nach wie vor die sinnliche (körperliche) Erfahrung, der Augenschein, der persönliche Kontakt, das Face-to-Face, was den Ausschlag gibt. Wenn das aber so ist, muss,man sich natürlich die Frage stellen, weshalb Firmen überhaupt so massiv Werbeanzeigen schalten, die offensichtlich wirkungslos verpuffen. Dieser Einwand ist mir in anderem Zusammenhang (Bierwerbung) schon mal entgegengehalten worden. Die Antwort lautet ganz allgemein: So rational wie wir glauben ist das Leben nicht, vor allem nicht in der Wirtschaft.

Firmen platzieren ihre Werbeanzeigen im Netz hauptsächlich deshalb, weil es sie nichts kostet. Dank der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, die unsinnigerweise noch immer bestehen. So ersparen sie sich die Versteuerung ihrer Gewinne. Aber die Annahme, dass die Werbeausgaben durch eine dadurch bewirkte Absatzförderung wieder "hereingeholt" werden, geht fehl. Natürlich hat es auch etwas mit der Illusion zu tun, sich durch allumfassende Präsenz unübersehbar zu machen. Werbung richtet sich im Übrigen oft nicht an potentielle Kunden und Interessenten, sondern an Rivalen. Die bezweckte Botschaft: "Ich bin noch da - mir gehts gut!"  So verrückt ist das.

 

Die überschätzten Verdienstmöglichkeiten

 

Auch die Autoren oder SEO-Texter  (ganz ähnlich übrigens die Blogger) kommen im Regelfall nur auf bescheidene Einnahmen, deren Höhe in keinem angemessenen Verhältnis zur aufgewandten Arbeit steht. Es ist ja immerhin geistige Arbeit, die im Allgemeinen bestimmten qualitativen Mindestanforderungen entsprechen sollte. Kaum ein Auftraggeber ist bereit, eine adäquate Vergütung zu zahlen. Der Online-Publizist kommt unterm Strich nur auf einen Bruchteil (allenfalls zehn Prozent) des Honorars, das der Journalist in Print-Medien gewöhnlich erzielt. Das hat ganz sicher mit dem allgemein bestehenden Lohnkostendruck zu tun, aber auch damit, dass im Bereich der Online-Publizistik, unter den "Lohnschreibern" eine erdrückende Konkurrenzsituation herrscht. Hinter der Beinahe-Unendlichkeit des Meinungs und Informationsangebots steht eine wachsende Vielzahl akademisch gebildeter, argumentationsfreudiger User, die bereit stehen, ein immenses Zeitpensum fuer nur wenig Geld aufzuwenden.

 

Die Folge ist, dass die materiellen Verdienstmöglichkeiten eigentlich kaum einen Anreiz bieten, sich öffentlich zu produzieren. Dennoch scheint das kreative Texten ein Massenbeduerfnis zu sein. Liegt dahinter ein Wunsch nach Selbstverwirklichung oder geht das auf den fast exhibitionistischen Drang nach Selbstdarstellung zurueck? Das kann im Grunde egal sein, der Qualität bekommt es jedenfalls nicht. Und auch die vermeintliche Vielfalt (Pluralität) des Netzes entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Illusion: Die gleiche Botschaft erscheint (allenfalls abgewandelt) in tausendfacher Vielzahl. Plagiate nehmen zu - eine unvermeidliche  Konsequenz der Unüberschaubarkeit.

 

Vereint und vereinsamt in der Online-Community
Internet-Cafe in Japan

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Chaos statt Qualität.

Unter dem Konkurrenz- und Leistungsdruck ist vor allem gefragt, Masse zu produzieren. Das Tagesprodukt, das - kaum gelesen - schon wieder out ist. Die Masse, die Breite, die Vielzahl. Facebook gibt die Richtung vor. Jeder soll mit jedem vernetzt werden. Die neu vorgestellte Funktion "Timeline" lädt User ein, jetzt ihre Lebensbiographie auf Facebook auszustellen. Hundert Millionen Lebensläufe stehen in der Warteschleife, Selbstdarstellungen und Selbstanpreisungen, auch Rechtfertigungen im Übermaß sind zu erwarten. Wer soll das eigentlich lesen, wen soll das interessieren? Es ist eine Flutung mit dem Banalen, worunter die Qualität zwangsläufig abnehmen muss..

Nun stelle ich mir selbst die Frage, weshalb ich das nicht einfach ignoriere. Jeder Mensch hat doch das demokratisch verbriefte Recht, Unsinn zu machen und auch Unsinn zu schreiben. In einer Community wurde als Thema "Nonsens" vorgegeben - mit der kategorischen Forderung, alles Politische auszuklammern (Das sei zwar auch Nonsens, aber nicht von der gewünschten Art).

Das ganze hat eben auch eine kulturelle Dimension.  Das immer populärer werdende Rating (die Abstimmung "gefällt mir" und Benotung) macht vor allem deutlich, auf welchem Niveau der (Massen-)Geschmack, die allgemeine Urteilskraft vor sich hindümpelt.

 Die Tendenz weist stetig nach unten.  Kann uns das wirklich gleichgültig lassen? 

 

 

 

 

 

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