Kein "Jurassic Park", sondern ein Schlachthaus der Evolution

Ausgerechnet das Fernsehteam einer "Big Brother"-Show auf hoher See empfängt mitten auf hoher See ein SOS-Signal, das von einer winzigen Insel stammt. Die Crew, unter denen sich die Biologin Nell befindet, wittert die Chancen auf sensationelle Reportagen. Doch der Landgang entpuppt sich für die Teilnehmer als tödliche Falle: Gnadenlos attackieren und zerfleischen die einheimischen Lebensformen die ahnungslosen Neuankömmlinge. Nur Nell gelingt in letzter Sekunde die Flucht vor dem höllischen Treiben auf dem Eiland.

Die live im Fernsehen übertragenen Bilder des Gemetzels werden von der US-Regierung als makabre Inszenierungen des Fernsehsenders bezeichnet, um Panik zu verhindern. Ein hastig aus führenden Wissenschaftlern zusammengestelltes Forschungsteam soll sich vor Ort ein Bild machen und die Frage klären, ob die einzigartigen Lebewesen der als "Henders Island" bezeichneten Insel eine Gefahr für die übrige Welt darstellen.

Bereits nach kurzer Zeit werden die schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen: Keine auf der Insel ausgesetzte, bekannte Lebensform überlebt den Aufenthalt länger als ein paar Minuten. Denn das Ökosystem der Insel hatte sich vor vielen hundert Millionen Jahren vom Rest der Welt abgespalten und ein wahres Schlachthaus der Evolution gebildet, in welchem ein ständiger Kampf ums Überleben herrscht. Selbst die High-Tech-Labors und Fahrzeuge der NASA halten dem aggressiven Ansturm der tödlichen Kreaturen nicht stand. Dabei harrt das unglaublichste Geheimnis der Insel noch seiner Entdeckung …

Ein Science Thriller wie eine Achterbahnfahrt

"Biosphere" ist ein lupenreiner Science Thriller jener Art, wie sie Michael Crichton unnachahmlich beherrschte. Von Beginn weg steigt der Roman aufs Gaspedal und drückt dieses bis zum Schluss durch. Einzige Erholungspausen sind die mitunter etwas zu trocken geratenen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen. Gerade in diesem Punkt gerät Newcomer Warren Fahy des Öfteren bedrohlich ins Schleudern, da er den zugegebenermaßen schwierigen Spagat zwischen Wissensvermittlung und flüssiger Unterhaltung noch nicht beherrscht.

Doch diesen zähen Passagen folgen stets wieder atemlose Actionsequenzen, deren bildhafte Sprache geradezu nach einer Verfilmung schreien. Es könnte deshalb nicht Wunder nehmen, falls das nach literarischen Bestsellern lechzende Hollywood bereits an Fahys Tür geklopft haben sollte. Abseits der mitunter ausufernden Monologe liest sich der Science Thriller ohnehin wie ein Drehbuch und kokettiert sogar mit der Aussicht auf eine filmische Adaptierung. Etwa, wenn der unerlässliche Antagonist seinem Widersacher rät, sich von Tom Cruise verkörpern zu lassen.

Das große Fressen in der "vergessenen Welt"

Was Fahys Thriller von ähnlichen Romanen erheblich unterscheidet, ist der originelle Plottwist: Während für gewöhnlich der Mensch fremde Ökosysteme - beabsichtigt oder nicht – zerstört, drohen den Kreaturen von "Henders Island" keine derartige Gefahren. Im Gegenteil: Sie selbst sind es, die eine existenzielle Bedrohung für den Menschen darstellen! Mit "sie" sind furchteinflößende Geschöpfe wie "Hendersratten"oder "Spiger"gemeint. Wesen, die in unserer Welt nicht existieren, aber durchaus existieren könnten. Denn Fahy schildert ein in sich geschlossenes Ökosystem, das sich unbehelligt von Dinosauriern oder Säugetieren entwickeln konnte und ein gewaltiges natürliches Labor darstellt. In dieser "vergessenen Welt" herrscht nur ein Gesetz: Es gibt keine Gesetze!

"Biosphere": Fast Food fürs Gehirn

Mit "Biosphere" bedient der Kalifornier Fahy keine literarischen Feinschmecker. Sein Roman ist das Äquivalent zu Fast Food: Rasch zubereitet, ebenso rasch verzehrt, leicht bekömmlich. Diesem Umstand sind auch die fast durchwegs fehlenden Charakterisierungen geschuldet. Einzig der Hintergrund des Antagonisten wird bisweilen kurz beleuchtet. Freilich ohne Bedeutung fürs weitere Geschehen.

Weitaus mehr Raum als den menschlichen Akteuren, wird den Inselkreaturen zugestanden. Die Beschreibungen ihrer Körper, ihrer (kurzen) Lebenszyklen sowie der Biosphäre an sich nehmen nicht nur viel Platz ein, sondern werden anhand fiktiver Bestimmungsblätter und handgezeichneter Skizzen beängstigend nahe gebracht.

Science Thriller mit schwachem Ende

Auch wenn die Vergleiche zu Science Thrillern wie "Jurassic Park" schlüssig scheinen: Der im Original "Fragment" betitelte Roman laboriert an den typischen Schwächen von Debütwerken, was bis zum letzten Viertel des Buches kein Problem darstellt. In eben diesem Schlussabschnitt erlaubt sich Fahy jedoch einen Twist, der nicht einfach an den Haaren herbeigezogen, sondern schlichtweg fehlplaziert wirkt. Vermittelte die Geschichte bis zu diesem Wendepunkt einen ernsthaften und fesselnden Eindruck, so driftet das Ende in Albernheiten ab, die beinahe wie eine Parodie auf das zuvor Gelesene anmuten.

Schade, denn der völlig missratende Schluss trübt den ansonsten positiven Gesamteindruck. Trotzdem liefert Fahy mit seinem ersten veröffentlichten Roman eine beeindruckende Talentprobe ab, die viel für die Zukunft verspricht. Man darf also auf Fahys nächstes Buch gespannt sein!

Nikakoi, am 02.01.2014
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Bildquelle:
W. Zeckai (Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)
dco-Verlag (Rezension: Wenn dich jemand sieht)

Autor seit 11 Jahren
59 Seiten
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