Brian Keene: "Am Ende der Straße"
Die Welt geht unter - noch dazu in völliger Dunkelheit, wie Brian Keene in seinem ironische Apokalypse-Szenario "Am Ende der Straße" beschreibt.Am Ende der Moral
Die amerikanische Kleinstadt Walden wird urplötzlich von etwas Unvorstellbarem erfasst: Hoffnungslose Schwärze legt sich wie ein Leichentuch über die Stadt und schottet die verstörten Einwohner komplett vom Rest der Welt ab. Wer es wagt, den schwarzen Schleier zu durchdringen, kehrt nicht wieder zurück. Pizzabote Robbie, seine drogensüchtige Freundin Christy und der labile Russ müssen mit dieser Situation umzugehen lernen. Keine einfache Aufgabe, da der Ort beängstigend schnell in Gewalt und Rechtlosigkeit versinkt.
Von Edelmut oder gegenseitiger Hilfe kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Nicht wenige Einwohner scheinen an der Situation Gefallen zu finden, die ihnen die Möglichkeit gibt, ohne Furcht vor Konsequenzen ihren niedersten Instinkten nachzugeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es Robbie und Christy an den Hals geht...
Turbo-Version von Kings "Die Arena"
Sicher, das von Brian Keene servierte Szenario klingt nicht nur vertraut, sondern verdächtig eng an einen ähnlich gelagerten Roman der letzten Zeit angelehnt. Stephen Kings "Die Arena" hatte gleichfalls den dramatischen Niedergang einer völlig von der Außenwelt abgeschnittenen Kleinstadt geschildert. Damit enden die Ähnlichkeiten zwischen den Werken der beiden Horrorautoren jedoch. Denn während sich King in "Die Arena" auf breitem Raum dem allmählich einsetzenden Wahnsinn der Eingeschlossenen widmete und klarstellte, dass es sich um ein lokales Phänomen handle, lässt Brian Keene seinen Ich-Erzähler die Geschehnisse schildern und konzentriert sich völlig auf die Kleinstadt Walden. Was außerhalb der Schwärze geschieht, bleibt sowohl dem Leser, als auch dem Protagonisten zumindest anfangs unbekannt.
Keene treibt in seinem apokalyptischen Roman "Am Ende der Straße" die Handlung schnörkellos und ohne Rücksicht auf Verluste voran. Erzähler Robbie knallt dem Leser in Tagebuch-Form das Szenario vor den Latz und spart dabei weder mit popkulturellen Anspielungen etwa auf H. P. Lovecraft oder sogar seine eigenen Werke, noch mit Gesellschaftskritik. Wie er den Niedergang von Moral und sozialen Konventionen lapidar beschreibt, das ist an süffisanter Beobachtungsgabe schwer zu überbieten. Wo Stephen Kings "Arena"-Bewohner noch lange Zeit danach trachten, die öffentliche Ordnung wenigstens halbwegs aufrecht zu erhalten, werfen die Bürger in Walden eben jenes zerbrechliche Konstrukt namens Zivilisation rasch über Bord. Plünderungen sind noch der harmloseste Teil des "Zurück zur wahren menschlichen Natur"-Programms - beängstigend rasch stehen unverhohlene Gewaltakte, Einbrüche, Vergewaltigungen und Morde auf der ganz normalen Tagesordnung und werden wie Naturereignisse betrachtet, deren Folgen man bestenfalls abmildern, die man aber nicht verhindern kann.
Wo ist der "Verrückte Wissenschaftler", wenn man ihn braucht?
Dabei erweisen sich die Protagonisten Robbie und Christy als ungewöhnliche "Helden", und zwar in jenem Sinne, dass sie verblüffend realistisch gezeichnet werden. Robbie ist lediglich Pizzabote ohne besondere Fähigkeiten oder spezielles Wissen, das sich im weiteren Verlauf als nützlich erweisen könnte. Freundin Christy ist ganz verrückt nach Marihuana und ebenso liebenswert, wie auch mitunter unausstehlich. Somit stehen diese Figuren in krassem Gegensatz etwa zu Barb aus Kings "Die Arena", der zwar als Koch arbeitet, aber ein ehemaliger Irak-Veteran mit Nahkampferfahrung und allerlei Fähigkeiten ist. Gerade dadurch hebt sich "Am Ende der Straße" vom üblichen Genre-Einerlei ab. Hier stehen tatsächlich völlig normale Menschen im Mittelpunkt, die weder vom US-Militär, noch einem zufälligerweise anwesenden, hypergenialen Erfinder samt "Deus ex machina"-Erfindung im Keller gerettet werden.
Eben jenes Szenario schildert Keene mit beiläufiger Süffisanz, die unheimliche Bilder im Kopf des Lesers entstehen lässt. Die Gewaltexzesse werden zwar nicht ausgeklammert, aber auch nicht - im wahrsten Sinne des Wortes - ausgeschlachtet. Somit richtet sich "Am Ende der Straße" nicht ausdrücklich an Horrorfans, sondern kann durchaus als Endzeit-Thriller durchgehen. Dank der lockeren Sprache, der vielen einprägsamen Bilder und der sympathischen Protagonisten eignet sich der Roman perfekt als Gutenacht-Lektüre auf dem Nachtkästchen. Auf Grund der nicht besonders komplexen Handlung und der relativ kurzen Kapitel kann der Leser jederzeit das Buch zur Seite legen und das Lesen wieder aufnehmen, ohne Gefahr zu laufen, den Faden zu verlieren. Ebenso wenig übrigens, wie Genreautor Brian Keene die Orientierung verliert: Kompromisslos zieht er die düstere Handlung durch und sorgt für die eine oder andere Überraschung.
Allenfalls könnte der Schluss etwas enttäuschen. Wer auf knackige Thriller mit unheimlichem Hintergrund steht, ist mit Brian Keenes "Am Ende der Straße" bestens für einige spannende Lesestunden versorgt. An die Komplexität von Kings "Die Arena" kommt der weitaus kürzere Roman nicht ansatzweise heran. Aber das stand auch nicht in der Absicht des Autors, der stattdessen eine Turbo-Version dieses Szenarios liefert und Lust macht, sein mittlerweile üppiges Oeuvre kennenzulernen.
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Für ganz Mutige: Brian Keenes "Am Ende der Straße" für Amazons Kindle.
Originaltitel: "Darkness on the Edge of Town"
Autor: Brian Keene
Veröffentlichungsjahr: 2011 (auf Deutsch)
Seitenanzahl: 352 Seiten
Verlag: Heyne
Autorenwebsite: www.briankeene.com
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)