Buchhandel: Killer des Fortschritts - Mittendrin in Aboservice & Digitalisierung
Wie der Buchhandel die Digitalisierung fortwährend ausbremstDen Tellerrand zu verlassen kann schmerzen
Unlängst habe ich diese Seite beim Stöbern zur Verlags- und Medienwelt im Internet entdeckt. Ein wirklich interessanter Artikel, Eine wirklich interessante Fallschilderung, die mich dazu verleitete, mir auch Gedanken darüber zu machen, wie diese Beziehung andernorts abläuft. Die Realität ist: Manuela Thieme vom Seitenstraßenverlag hat hier nicht Unrecht.
Ich selbst bin der Mann "zwischen den Stühlen" - ich betreue mehrere Special Interest Verlage rund um Vertrieb, Marketing und natürlich Aboservice und und darf viele namhafte und auch kleine Buchhändler bedienen. Das birgt viele interessante Situationen, Gespräche und auch Diskussion in alle Richtungen. Auch mit den Endkunden des Buchhandels. Einige Gespräche sind sehr aufschlussreich.
Die Zeiten ändern sich, das müssen nicht nur die Verlage verstehen
Viele Verlage befinden sich zur Zeit in einer Phase des Umbruchs - oder zumindest in der Planung eines Umbruchs. Man muss weg, vom eingestaubten, nicht mehr zeitgemäßen "nur Print zählt"-Gedanken, denn sonst ist der digitale Zug ziemlich bald abgefahren und wird keinen Zwischenhalt mehr machen, um die spät Entschlossenen einzusammeln. Da werden E-Paper-Lösungen entwickelt, Datenportale kreiert - oder auch alles gleichzeitig. Je nach Budget und Nachfrage. Und letztere steigt in allen Schichten, Branchen und Zielgruppen.
Bei diesem ganzen Prozess, bei dem sich Verlage scheinbar schwer tun, hängt nicht nur viel Geld und Manpower dahinter. Vielmehr sind Ideale, die der ein oder andere hier aufgeben oder zumindest einschränken muss. Das tut vielen sicherlich in gewisser Weise weh. Doch da müssen sie durch - und zwar monetarisierbar, nicht stiefmütterlich. Einige ziehen solcherlei Projekte konsequent durch, andere sind etwas zurückhaltender und lassen sich vom Markt leiten - im Großen und Ganzen geht es aber voran - solange bis der Buchhandel bestellt und die Zeit zurückdrehen möchte.
20-30% Provision müssen schon drin sein
Dass Buchhändler einen Buchhandelsrabatt (m.E. anzusehen wie eine Provision) erhalten, das ist verständlich und zum Teil dadurch begründet, dass Lieferungen veranlasst, Adressen gepflegt, recherchiert und korrigiert werden müssen. Auch müssen Fehllieferungen bearbeitet und reklamiert werden. Vom logistischen Aufwand bei Wareneingang ganz zu schweigen. Die Verlage zahlen brav in Form von Rabatt und gehen von folgendem Idealfall aus:
Der Buchhandel...
- akquiriert Kunden
- pflegt seine Kunden- und Adressbestände
- informiert sich über alle Produktbestandteile, Konditionen und Möglichkeiten
- bietet Verlagsprodukte an
- verkauft die Produkte
- bestellt eindeutig und vollständig beim Verlag
- kümmert sich darum, dass der Endkunde sein Produkt nutzen kann
- kümmert sich um Reklamationen, Wareneingänge und Ersatzlieferungen
- kümmert sich darum, dass Kunde auf dem Laufenden zum Produkt bleibt
- betreibt Support für den Kunden
- kümmert sich darum, dass der Kunde seinen Vertrag hält
- betreibt Kündigerrückgewinnung
- behält den Überblick über seine Abonnements
Sicherlich ließen sich noch einige Punkte finden, die 30% Rabatt rechtfertigen müssten. Die Realität sieht aber auch ohne weitere Listenpunkte häufig schon ganz anders aus:
Der Buchhandel...
- akquiriert Kunden
- pflegt unregelmäßig Kunden- und Adressbestände
- informiert sich unregelmäßig über Preise (nur auf Kundenanfrage über den Rest)
- bietet Print an (andere Produkte nur auf explizite Nachfrage)
- verkauft die Produkte
- bestellt mit rudimentären Daten beim Verlag
- schickt den Kunden bei Produktfragen zum Verlag (oder lässt sich den gleichen Vorgang permanent erklären)
- reklamiert wahllos Fehllieferungen, ohne Wareneingänge korrekt zu erfassen
- gibt dem Kunden Neuerungen nur auf explizite Nachfrage weiter
- leitet Anfragen zur Beantwortung an den Verlag weiter
- nimmt Kündigungen zu sofort entgegen und erwartet, dass der Verlag das Abonnement zu sofort beendet
- wartet auf neue Kunden
- stellt irgendwann fest, dass diverse Abonnements vergessen wurden zu verlängeren oder zu bestellen
Die meisten dieser halbgar umgesetzten Prozesse sind nicht nur für den Endkunden unbefriedigend, sondern auch für die Verlage. Denn das bedeutet schlichtweg, dass hier 30% Rabatt gewährt werden, dafür, dass zusätzliche Arbeiten anfallen und neue Produkte totgeschwiegen werden. So mancher Buchhandel lässt auch ganze Zwischenschritte weg und schickt Bestellungen - vorwiegen ganz zeitgemäß und kostensparend per Brief oder Fax - mit folgendem Inhalt:
- Titel der Zeitschrift.
- Bestellnummer.
- Stempel.
Das war's.
Wir wollen nur Print verkaufen.
In der oben genannten Auflistung erwähnte ich bereits, dass am häufigsten nur Print angeboten wird. Klar, das ist das Einfachste, das kennen die Buchhändler und deren Endkunden schon seit jeher. Da genügen auch unvollständige Bestellung, weil ja ohnehin alles wie immer ist. Und so bekommt man vom ein oder anderen Buchhändler direkt mitgeteilt: "Nein, was sollen wir Digital-Abonnements verkaufen? Was haben wir damit am Hut?" oder aber: "Nein, das ist zu viel Aufwand."
Tatsächlich würde sich für die Buchhändler allerdings nur eines ändern: Anstatt einer Lieferanschrift müsste eine Account oder eine E-Mail-Adresse gepflegt werden. Keine nennenswerte Logistik mehr, keine Fehl- und Ersatzlieferungen. Aber: Es wäre eine "andere" Arbeit und andere Arbeit sollen andere machen. Schließlich sei man ja eine Buchhandlung.
Berücksichtigt man hier auch noch, dass die oben dargestellten Gründe eigentlich kaum mehr 20-30% Rabatt rechtfertigen, so bestehen die Buchhandlungen auch beim für sie noch weniger bearbeitungsintensiven Digitalgeschaft auf den gewohnten Buchhandelsrabatt. Verlage die hier Kürzungen vornehmen, die m.E. absolut legitim und gerechtfertigt sind, werden fortan als Störfaktor betrachtet. Die Argumentation zur Rabatthöhe verlief in der Vergangenheit schon wie folgt:
- "Wir bekommen schon seit 10 Jahren 30% Buchhandelsrabatt. Also haben Sie uns den auch für Digital zu gewähren."
Ich fragte mich schon damals, was das für eine hanebüchene Argumentation gewesen war. "Schon immer" ist ein denkbar schlechter Ansatz - und zeigte mir doch so plakativ und anschaulich, wo das eigentlich Problem des Buchhandels liegt. Denn es darf sich nichts ändern. Man hätte auch mit Argumenten wie Arbeitsaufwand, technischem Aufwand und ähnlichem aufwarten können - wenn dieser denn für den Buchhandel im gleichen oder noch größeren Maße wie beim Printabonnement bestünde. Im Nachhinein war das also scheinbar die einzig logische Argumentation. Und das konnte nichts werden.
Klare Konsequenzen - und stehend K.O.
Ohne den Rabatt "wie immer", eben keine Digitalabonnements. Die Rechnung ist für viele Buchhändler ganz einfach. Und so bündeln sich zwangsläufig Digitalabonnements beim Verlag und seinem Abonnementservice - die Printabonnements sind noch beim Buchhandel beheimatet. Das entbehrt (auch für den Kunden) jeglicher Logik und lässt ihn über seine Beziehung zu seinem Buchhändler nachdenken - was der Branche in seiner Argumentation gegen das zerstörerische Biest Amazon irgendwie sehr wacklig und wenig authentisch erscheinen lässt. Gleichzeitig wird klar, dass sich auf diese Weise nur schwerlich ein flächendeckender, konstruktiver Umgang mit digitalen Publikationen im Special Interest-Bereich erreichen lassen wird.
Fazit - das Ende vom Lied
Kurzum: Zugegeben, es existieren einige Buchhändler, die strukturiert und partnerschaftlich mit Verlagen und deren Vertriebsdienstleistern zusammen arbeiten. Es gibt gute und tolle Buchhändler für den Abonnementservice. Leider zeigt aber die Erfahrung, dass es sich die meisten (mir im täglichen Doing bekannten) Buchhändler viel zu leicht machen und sich noch in Zeiten wähnen, in denen Digital nur ein Nischenprodukt für Tech-Nerds war. Das sollte der Buchhandel zügig in den Griff bekommen, um nicht den Anschluss an die Verlage zu verlieren - denn dauerhaft dürften sich immer mehr Verlage fragen, welche Rechtfertigung der Buchhandelsrabatt tatsächlich hat. Und das würde dann ungerechterweise auch die Buchhändler treffen, die den Kalender richtig zu deuten wissen.
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Disclaimer: Dieser Artikel, wie auch alle weiteren von mir veröffentlichten, geben lediglich meine private Meinung und Ansicht wieder. Es handelt sich nicht um die Ansicht meines Arbeitgebers, meiner Kunden oder Mandanten.
Bildquelle:
Foto von <a href="https://unsplash.com/d
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