Carola Stern: "Alles, was ich in der Welt verlange". Rezension
Eine Biografie über das Leben von Johanna Schopenhauer. Die Mutter des berühmten Philosophen unterhielt in Weimar einen Literatursalon, wo auch Goethe regelmäßig verkehrte.
Buchcover
© Kiepenheuer & Witsch
Der Literatursalon in Weimar blüht auf
Carola Stern hat genau und gründlich recherchiert, leider äußert sie manchmal nur Vermutungen, wie es denn ungefähr abgelaufen sein könnte. Nervig sind ihre ständigen Fragesätze, und mitunter entsteht der Eindruck, sie wolle neben den zahlreichen, detaillierten Informationen wie eine Romanautorin vornehmlich gut unterhalten, um die Leser*innen bei der Stange zu halten. Die Auseinandersetzung mit Sohn Arthur kommt viel zu kurz, Stern scheint die Partei von Johanna zu ergreifen. Viele ihrer Briefe an den noch Juvenilen sind von Lieblosigkeit geprägt und Arthur wird aufgrund der permanenten Belehrungen zum Griesgram und Zyniker, was allerdings auch in seinem Wesen angelegt war. Was sie nie begriffen hat: Der Sohn, der eine feingeschliffene Sprache von wahrem Goldklang schuf, war der weitaus bessere Schriftsteller. Neben den zahlreichen, erotisch ausgeklammerten Bekanntschaften – der Wissenschaftler Fernow, der Autor von Gerstenbergk und Theaterboss Carl von Holtei – pflegte Johanna, die sich den Titel Hofrätin von ihrem verstorbenen Manne angeeignet hat, eingehenden Kontakt zu Goethe, dessen geistige Tyrannei im Literatursalon sie stillschweigend ertrug und dem sie zeitlebens mit kritikloser Demut gegenüberstand. Was Goethes immensen Weinkonsum anbelangt, ganz zu schweigen von Gattin Christiane Vulpius und Sohn August, legt Stern sich, wie übrigens viele Biografen, äußerste Zurückhaltung auf. Immerhin, Goethes gelegentliche raubtierhafte Gefräßigkeit wird einmal durch eine Quelle erwähnt.
Weibliche Entsagungsgeschichten
Devianz und Mimikry? Carola Stern schildert Johanna im Spannungsfeld von Anpassung und versuchter Emanzipation. Einerseits bemühte sie sich, ihren eigenen Weg zu gehen, andererseits wollte sie immer zu den Reichen und Gebildeten gehören, und das bedeutete Kompromissbereitschaft, ja Opportunismus. Ihre Briefe an die Verleger sind von Geschäftstüchtigkeit, fordernder Kühnheit und Flehen geprägt, bei Höhergestellten schreibt sie eher devot, wie es damals üblich war. Als ihr Vermögen aufgrund des Zusammenbruchs ihrer Bank massiv schrumpfte, litt darunter ihr immer karger ausgestatteter, nicht mehr so kulinarischer Literatursalon, und sie beschloss, Berufsschriftstellerin zu werden. In der Tat, ihre Kunstbetrachtungen, Romane und Erzählungen machten sie erfolgreich. Um dem Zeitgeist zu entsprechen, waren ihre Geschichten weibliche Entsagungsgeschichten. Carola Stern lobt Johannas kaufmännische Geschicklichkeit bei Verlegern, ihren Geschäftssinn – doch das Geld wurde schnell wieder verpulvert, weil sie, ganz comme il faut in der besseren Gesellschaft, über ihre Verhältnisse lebte. Johanna Schopenhauers Leben war ein Balanceakt, eine Vorläuferin der Frauenbewegung ist sie nicht. Ihre Bücher werden so gut wie nicht mehr gelesen. Aber sie ist auch heute noch interessant: Als Mutter von Arthur Schopenhauer und als intensive Bekannte Goethes. Trotz einiger Mängel ist diese Biografie lesenswert, nicht zuletzt wegen der vielen historischen Bezüge, etwa die Französische Revolution, Napoleons Einzug in Weimar und die Restaurationspolitik nach dem Wiener Kongress.
Carola Stern: Alles, was ich in der Welt verlange. Das Leben der Johanna Schopenhauer. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 319 Seiten
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)