Buch-Cover

© Deutsche Verlags-Anstalt

 

Unkonventionelle Menschen mit konventionellen Wünschen

Der Roman beginnt schwach, trocken, wortarm. Wer Enright nicht kennt, läuft Gefahr, den Roman nach dem ersten Kapitel aus mangelnden Unterhaltungsgründen und sprachlichem Minimalismus vorzeitig wegzulegen. Die früh sich ankündigende Theaterleidenschaft der Tochter Hanna wird ausgebreitet, später, in erwachsenen Jahren, ist sie eine gescheiterte Schauspielerin, die nur noch an der Flasche und ihrem Baby hängt. Dan, ein weiterer Sohn, möchte unbedingt Priester werden – was von Rosaleen rundweg abgelehnt wird ("Ich habe ihn dazu gemacht, wie er ist. Und ich mag nicht, wie er ist"). Im nächsten Kapitel, elf Jahre später, ist Dan tief in die New Yorker Schwulenszene eingetaucht, in diesen Künstlerkreisen dominieren Analexzesse, Treue- und Wechselwünsche und physische Paralyse - wegen Aids. Kaum wechselt das Sujet, wird die Sprache wesentlich einfallreicher, derber auch, denn in der Szene geht es zuweilen unsentimental und kompromisslos zur augenblicksfixierten Sache. Das nächste Kapitel ist der Tochter Constance gewidmet, die, über ein gebärfreudiges Becken verfügend, insgesamt vier Kinder produziert, sich für das bürgerliche Lager entscheidet, in dem leider – zumindest in ihrem Fall – auch der Krebs lauert. Emmet, der vierte Nachwuchs aus Rosaleens genetischer Wucht, ist ein Entwicklungshelfer in Mali, der einen von seiner Geliebten angeschleppten, von den Einheimischen verhassten Straßenköter am Hals hat. Der Hund wird vom – nachgeholfenen - Schicksal ausrangiert, und auch die Partnerin. Der weitgehend altruistische Emmet ist eine einigermaßen sympathische Figur – beim ominösen Weihnachtstreffen ist er mit der abwesenden Niederländerin Saar liiert.

 

Die selbstsüchtige Mama ruft zum Fest

Alle vier Kinder werden mal akribisch, mal bruchstückhaft dargestellt, letztlich bedeutet das Weihnachtstreffen das große Finale. Anne Enrights Dialoge hängen anscheinend von der literarischen Tagesform ab: Was hier noch geistvoll-spritzig klingt, ist dort schon abgebrühte Routine einer versierten, sich in psychologisch Verständliches rettenden Schriftstellerin. Viel zu langatmig ist die verspätete, in die Provinz verlegte Familienvereinigung. Das künstliche Arrangement dient im Grunde nur der Kenntlichmachung der verschiedenen Charaktere, die trotz ihrer intellektuellen Kompetenzen immer wieder als allzumenschliche Kreaturen mit allzumenschlichen Schwächen aufgedrängt werden. Richtig lieben kann die selbstsüchtige Rosaleen, die ihre ganzes Leben auf etwas gewartet hat, das nie eingetreten ist, nicht: Bei ihrer suizidaffinen Weihnachtsflucht glorifiziert und verteufelt sie ihren verstorbenen Gatten, genauso ihre Nachkommenschaft. Ha, was sie wohl denken, wenn ich einfach so hinwegsterbe! Zum Glück wird dem Leser erspart, dass sie sich, überfließend vor Rührung, die Tränen der Hinterbliebenen vorstellt. Einiges an diesem Roman mag konstruiert klingen. Immerhin ist es Anne Enright gelungen, einen unglaublich großen, quasi temporal und räumlich weltumspannenden Roman zu schaffen, in dem en passant gelegentliche charakterliche Tiefenbohrungen stattfinden. Trotz gewisser Aussetzer und Nervigkeiten ist letztlich ein lesenswerter Roman herausgekommen, den man besser nicht in einem Zug herunterliest.

Anne Enright: Rosaleens Fest. Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Deutsche Verlags-Anstalt 2015. 377 Seiten.

 

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