Der Aufstieg des Nationalsozialismus

Dem Abdriften Deutschlands in die nationalsozialistische Diktatur und damit dem Ende der Weimarer Republik vor 85 Jahren ging eine Phase schwerer politischer Konflikte voraus, in der sich unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise von 1929 das demokratisch gewählte Parlament als unfähig zur positiven Politikgestaltung erwies, so dass Deutschland letztlich "unregierbar" wurde. Die eigentliche Ursache aber war die mangelnde Koalitions- und Kompromissbereitschaft der demokratisch gewählten Politiker.

So war 1930 die zwei Jahre zuvor gebildete Große Koalition aus SPD, DVP (Deutscher Volkspartei), Zentrumspartei und DDP (Deutscher Demokratischer Partei) unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller auseinandergebrochen, weil sie sich nicht auf einen Kompromiss bei der Reform der Arbeitslosenversicherung hatte einigen können. Die Regierungsgewalt wurde nun von Präsidialkabinetten übernommen, also von Regierungen, die abhängig waren vom Reichspräsidenten, wobei das Kabinett Brüning als die letzte halbwegs verfassungskonforme Regierung betrachtet werden kann.

Dennoch gilt Heinrich Brüning als der Reichskanzler, der zum "Totengräber" der Weimarer Demokratie wurde, und zwar, weil er die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929 durch eine strikte Spar- bzw. Deflationspolitik zu bekämpfen versuchte und dabei in Kauf nahm, dass große Teile der Bevölkerung arbeitslos wurden und daraufhin bei den Reichstagswahlen den Nationalsozialisten ihre Stimme gaben, so dass die NSDAP schließlich stärkste Partei wurde. Das aber war für die Gegner der Demokratie, allen voran Reichspräsident Paul von Hindenburg, ein willkommener Anlass, Brüning zu stürzen und den Übergang zur nationalsozialistischen Diktatur einzuleiten.

Eine politische Alternative zur Diktatur

Nach Meinung des Historikers Heinrich August Winkler war der Weg Deutschlands in die Diktatur nicht zwingend. Denn Reichspräsident von Hindenburg hätte nach seinem Sieg bei der Reichspräsidentenwahl im April 1932 Brüning im Amt belassen können, und es gab auch keine Notwendigkeit, den Reichstag aufzulösen. Eine Neuwahl stand erst im September 1934 an, und für diesen Zeitpunkt konnte man bereits mit einer wirtschaftlichen Erholung, sinkenden Arbeitslosenzahlen und einem deshalb nachlassenden Zulauf zu den radikalen Parteien rechnen. In jedem Fall wäre es Winkler zufolge ein Gebot der Vernunft und der Verantwortung gewesen, die gemäßigte Form der Präsidialregierung so lange wie möglich beizubehalten. Hätten sich Hindenburg und alle, die Einfluss auf ihn hatten, von dieser Einsicht leiten lassen, wäre Hitler, wie Winkler betont, vermutlich nicht an die Macht gekommen.

 

Eine Alternative zur Sparpolitik

Ebenso wie es eine politische Alternative zum Sturz Brünings und zum darauffolgenden Abdriften Deutschlands in die Diktatur gegeben hätte, so wäre auch – wie die Historikerin Ursula Büttner nachgewiesen hat – eine andere Wirtschaftspolitik als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 möglich gewesen und damit ein Erstarken der Nationalsozialisten wahrscheinlich von vornherein verhindert worden.

So sind Büttner zufolge von deutschen Wirtschaftsexperten aus Politik und Verwaltung 1931/32 Konzepte ausgearbeitet worden, die eine Alternative zur Brüningschen Deflationspolitik darstellten. Und zwar beruhten diese auf der von dem britischen Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes entwickelten Theorie der "antizyklischen Wirtschaftspolitik" und des "deficit spending", demzufolge bei sinkender privater Nachfrage der Staat mit kreditfinanzierten Aufträgen einspringen müsse, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Büttner zufolge erläuterte Keynes in den Jahren 1930 bis 32 in Deutschland in einer Reihe von Vorträgen und Zeitungsartikeln seine Theorie und stieß dabei auf großen Widerhall.

Ein besonders markantes Beispiel für die von Keynes angeregten Alternativen zur Brüningschen Sparpolitik war ein vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund vorgelegter Plan, der die – über Kredite finanzierte – Beschäftigung von 1 Million Arbeitsloser mit öffentlichen Arbeiten vorsah. Die SPD-Führung lehnte jedoch einen solchen kreditfinanzierten Plan ab, weil sie befürchtete, dass dieser eine neue Inflation oder zumindest neue Inflationsängste in der Bevölkerung auslösen könnte. Die verheerende Inflation vom Anfang der zwanziger Jahre war noch in unguter Erinnerung.

Auch Brüning wandte sich strikt gegen diesen Plan, weil er zum einen seine Deflationspolitik für "alternativlos" hielt und zum anderen befürchtete, dass sich ein solches Vorhaben negativ auf seine Politik in der Reparationsfrage auswirken könnte. Das heißt: Brüning wollte einerseits mit Hilfe seiner rigorosen Sparpolitik die Staatsfinanzen sanieren und dadurch die Voraussetzungen für die Gesundung der Wirtschaft schaffen, und er wollte andererseits die westlichen Regierungen davon überzeugen, dass die Reparationszahlungen, die Deutschland als Verlierer des 1. Weltkriegs leisten musste, das Land wirtschaftlich überforderten, und dadurch eine Beendigung dieser Zahlungen erreichen. Ferner befürchtete Brüning – und wie sich später herausstellen sollte, zu Recht – dass ein staatliches Beschäftigungsprogramm von den Nationalsozialisten übernommen und für Propagandazwecke missbraucht werden könnte.

 

Die tieferen Ursachen des Scheiterns der Weimarer Republik

Brünings mangelnde Aufgeschlossenheit gegenüber einer Alternative zu seiner Deflationspolitik, wie sie die Keynesianische Theorie einer antizyklischen Wirtschaftspolitik bot, entsprang aber nicht zuletzt einer rückwärts gerichteten Geisteshaltung, die er mit vielen Zeitgenossen teilte, die noch von der Monarchie geprägt worden waren. Diese waren mit der überaus progressiven Weimarer Reichsverfassung schlichtweg überfordert, auch wenn sie, ebenso wie Brüning, keine Anhänger einer Diktatur waren.

Diejenigen, die zunächst heimlich und dann immer offener den Weg in die Diktatur befürworteten, gehörten zumeist den alten Eliten und damit den Gruppierungen an, die durch die Weimarer Demokratie ihre Privilegien bedroht sahen. Dies verweist, wie Winkler gezeigt hat, auf einen schwerwiegenden "Geburtsfehler" bei der Entstehung der Weimarer Demokratie, der letztlich ihren Untergang herbeigeführt hat, nämlich die Übernahme des alten monarchistischen Staatsapparats und damit die mangelnde Konsequenz der Revolution von 1918/19. Das heißt: in dieser von der SPD angeführten Revolution war zwar die Monarchie abgeschafft worden, aber Besitztümer und Machtpositionen der diese tragenden Eliten waren nicht angetastet worden.

So hatte 1918/19 niemand eine Enteignung der ostelbischen Rittergutsbesitzer und damit derjenigen alten Führungsschicht gefordert, die sich, wie Winkler betont, bald als der entschlossenste Gegner der jungen Republik erweisen sollte und die im Januar 1933 bei der Machtübergabe an Hitler die Schlüsselrolle spielte. Das zeigt, dass ein wirklicher republikanischer Neubeginn nicht nur gesellschaftliche Veränderungen verlangt hätte, sondern auch einen moralischen Bruch mit dem Kaiserreich. Und dieser unterblieb nicht zuletzt deshalb, weil die Sozialdemokraten, nachdem sie vier Jahre lang Kriegskredite bewilligt hatten, nach 1918 davor zurückscheuten, die Kriegsschuld der deutschen Reichsleitung offen beim Namen zu nennen.

Nutznießer war die politische Rechte, die die deutsche Kriegsschuld beharrlich leugnete, was zum einen in ihrer Agitation gegen das "Diktat von Versailles", einer Diffamierung des Vertrages, mit dem der 1. Weltkrieg beendet worden war, und zum anderen im Erfinden der "Dolchstoßlegende" zum Ausdruck kam. Letztere war eine Verschwörungstheorie, in der behauptet wurde, Deutschland sei auf den Schlachtfeldern selbst unbesiegt geblieben und hätte den Krieg nur deshalb verloren, weil Sozialdemokraten und andere linke Gruppen, statt das Militär in der Heimat zu unterstützen, "diesem mit einem Dolch in den Rücken gefallen seien". Die Dolchstoßlegende war eine dauerhafte Belastung für die Weimarer Republik.

Die Nationalsozialisten als Profiteure

Die Nationalsozialisten waren im doppelten Sinne zunächst Profiteure der Brüningschen Deflationspolitik (Geldwertsteigerungspolitik). Zum einen haben sie davon profitiert, dass die Massen, die durch die horrende Arbeitslosigkeit im Gefolge der Deflationspolitik verelendet waren, sich von der Weimarer Demokratie abwandten, und zum anderen übernahmen sie einen aufgrund der Deflationspolitik ausgeglichenen, also schuldenfreien, Staatshaushalt und hatten damit eine solide Basis für eine aktive Arbeitsmarktpolitik.

Zu diesen ökonomischen Aspekten aber kommt noch eine sozio-kulturelle Dimension hinzu. So war – folgt man Winkler - die Weimarer Republik ein Versuch, den Grundwiderspruch des Reiches von 1871, nämlich den Gegensatz zwischen wirtschaftlicher und kultureller Modernität auf der einen und politischer Rückständigkeit auf der anderen Seite, aufzulösen. Die Restauration eines bürokratischen Obrigkeitsstaates unter Brüning markierte das Scheitern dieses Versuchs. Die Wahlerfolge der Nationalsozialisten können deshalb auch als ein populistischer Protest gegen die fortschreitende Ausschaltung der Massen gedeutet werden. Hitler profitierte mit anderen Worten nicht nur von der autoritären Tradition, sondern auch von der Teildemokratisierung Deutschlands vor 1918. Er war auch Nutznießer der Widersprüche des deutschen Modernisierungsprozesses.

Lehren aus dem Scheitern der ersten deutschen Demokratie

Wenn man sich mit dem Ende der Weimarer Demokratie beschäftigt, stellt sich natürlich sofort die Frage, welche Lehren man daraus für die Gegenwart ziehen kann. Hier ist zunächst festzustellen, dass die Demokratie, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, über Jahrzehnte ein Hort der politischen Stabilität war, in dem keine rechtsextreme Partei nennenswert Fuß fassen konnte, und auch die Wiedervereinigung Deutschlands war ja auf friedlichem Wege erreicht worden.

Umso größer war das Erschrecken, als bei der letzten Bundestagswahl am 24. September 2017 die rechtspopulistische AfD, nachdem sie bei der Bundestagswahl 2013 noch an der 5-Prozent-Hürde gescheitert war, drittstärkste Partei wurde. Denn hier zeigten sich erstaunliche Parallelen zum Aufstieg der NSDAP. So war diese bei der Reichstagswahl 1928 mit 2,6 Prozent der Stimmen ebenfalls noch eine Splitterpartei und wurde dann bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 mit 18,3 Prozent der Stimmen bereits zweitstärkste Partei.

Nun liegen die Gründe für den Wahlerfolg der NSDAP, der letztlich zur Kanzlerschaft Adolf Hitlers führte, wie ich gezeigt habe, auf der Hand, nämlich die schwere Wirtschaftskrise und das damit einhergehende Massenelend. Die heutige Berliner Republik ist demgegenüber eines der wirtschaftlich stärksten Industrieländer mit Massenwohlstand. Also muss es in der Berliner Republik andere Gründe geben, die viele Menschen in die Arme der Rechtspopulisten treiben. Am plausibelsten ist wohl die Vermutung, dass diese Menschen Angst haben vor kultureller Überfremdung. Und diese Angst rührt daher, dass die Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts ein von politischen Krisen, Konflikten und Kriegen geschüttelter Ort ist, so dass mittlerweile viele Millionen Menschen auf der Flucht sind und auch Schutz suchen in Europa, insbesondere in Deutschland. Und darunter sind eben auch zahlreiche Menschen aus anderen Kulturkreisen. Deshalb findet eine offen ausländerfeindliche Partei wie die AfD bei vielen Wählern großen Anklang.

Vor diesem Hintergrund wird die Berliner Republik mittlerweile erschüttert von Konfrontationen zwischen Einheimischen und Fremden, zwischen politisch "rechts" und politisch "links" Stehenden, die in ihrer Heftigkeit durchaus an Weimarer Verhältnisse erinnern. Ferner ist zu bedenken, dass es in Deutschland zwar kein Massenelend infolge einer Deflationspolitik mehr gibt, aber durchaus in anderen Ländern Europas. Das heißt: Anfang des 21. Jahrhunderts wird vor allem in den südeuropäischen Ländern zur Bewältigung der wirtschaftliche Probleme auf internationalen Druck hin eine Sparpolitik praktiziert, die in ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung ebenso desaströs ist wie seinerzeit die Brüningsche Deflationspolitik. Und wenn nun noch die Furcht vor kultureller Überfremdung infolge der vielen Flüchtlinge hinzukommt, ist es nicht verwunderlich, dass mittlerweile in zahlreichen europäischen Ländern Rechtspopulisten bei Wahlen große Erfolge erzielen und in einigen Ländern sogar die Regierung stellen.

Nun könnte man einwenden, dass rechtspopulistische Parteien wie die AfD nicht mit der NSDAP "in einen Topf geworfen werden dürften", da es sich dabei um verfassungskonforme Parteien handle, die keinen Staatsstreich planen würden. Das mag zunächst stimmen. Aber es ist auch Fakt, dass dort, wo Rechtspopulisten Regierungsverantwortung übernehmen und ihre ideologischen Grundsätze in praktische Politik umsetzen, von einer Demokratie, wie wir sie kennen und schätzen, nicht viel übrig bleibt.

Quellennachweis:

https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/2298/Winkler.pdf?sequence=1&isAllowed=y

http://geschichte-wissen.de/foren/viewtopic.php?t=3581

http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2016/03/weimarer-republik-demokratie-staerke/komplettansicht

http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossier-nationalsozialismus/39537/zerstoerung-der-demokratie?p=all

Bildnachweis:

veggieman/pixabay.com

 

 

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