Die Tafel - Was hat es damit auf sich? Diese Frage stellte sich mir...

...als ich im Rahmen meiner Arbeit beim ambulanten Sozialdienst einen Kühlschrank reinigte und nach dem Zustand der Lebensmittel schaute. Es zählt mit zu meinen Aufgaben, Gesundheitsschäden - durch verdorbene Nahrungsmittel - vorzubeugen. Viele meiner Klienten sehen nicht mehr gut oder sind oft so verwirrt, dass sie nicht merken, wenn etwas verdorben ist. An diesem Tag fand ich nichts Spektakuläres, nur ein paar Packungen, auf denen das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war. Das mit dem MHD ist immer ein wenig zwiespältig, es heißt schlussendlich nur, dass ein Lebensmittel mindestens bis zu dem aufgedruckten Datum haltbar ist. Danach verdirbt es nicht schlagartig über Nacht und kann auch verzehrt werden, sofern es gut riecht und gut aussieht.

Nahrungsmittel, deren MHD überschritten ist, dürfen - mit einen Hinweis darauf - verkauft werden. In Supermärkten werden sie oft mit dem Zusatz "MHD überschritten" verbilligt abgegeben.
Ich weise die Dame darauf hin, dass das aufgedruckte Datum überschritten ist. Mehr kann ich nicht tun, in einer Gemeinschaftsverpflegung müßte ich solche Nahrungsmittel entsorgen. Falls nicht, drohen empfindliche Geldstrafen. Ich fragte noch, wo sie denn die Sachen bezogen habe, sie antwortete, dass am Tage zuvor wieder "Tafel" gewesen sei.
                                                                 
"Tafel" - gehört hatte ich das schon. Aber ich wollte mehr darüber wissen und recherchierte ein wenig.
                                                                                        

Die Tafel - das ging mir im Kopf herum


Die Idee der Tafel wurde in Amerika geboren. Bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es dort Menschen, die bedürftig waren. Die Absicherung bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit war in den Staaten immer sehr grobmaschig und es kann schnell eintreten, dass jemand bedürftig wird. John van Hengels aus Phoenix, Arizona hatte die Idee, nicht mehr verkäufliche aber dennoch einwandfreie Lebensittel zu sammeln. Dafür boten sich Supermärkte, Großbäckereien und andere Lebensmittel verkaufende oder produzierende Großmärkte an. Diese stimmten zu, wohl auch, um die Entsorgungskosten zu sparen. Die längerfristig haltbaren Nahrungsmittel wurden in großen Hallen gelagert. Auf diese Weise entstand 1963 die erste Food Bank. Die Lebensmittel aus deren Bestand wurden an Bedürftige verteilt. Der Bedarf wuchs stetig und es gab immer mehr dieser Food Banks.
In Deutschland gab noch keine Hilfe in dieser Form. Die Qualität der Nahrungsmittel sollte verbessert werden und das Lebensmittelkennzeichnungsgesetz wurde geändert. 1982 wurde das Mindesthaltbarkeitsdatum in das Lebensmittelgesetz aufgenommen und muss seit dem angegeben werden.

Ich erinnere mich daran, dass nicht verkauftes Obst und Gemüse in den 80er Jahren in Deutschland vernichtet wurde. Ebenso wie Milch und Milchprodukte und viele Produkte die in Verpackungen eingeschweißt waren. Nahrungsmittel, deren MHD am Wochenende ablief, wurden ebenfalls entsorgt. Es kam zu Kündigungen, weil Mitarbeiter zum Einstampfen verurteilte Lebensmittel nicht entsorgten, sondern mitnahmen. Nein, nicht aus Profitgier, sondern einfach, weil es ihnen gegen den Strich ging, Essen wegzuwerfen. Außerdem war die Entsorgung der Nahrungsmittel ein Tabuthema.

Hierzulande änderten sich die politischen Verhältnisse und das soziale System wurde immer mehr beschnitten. Gleichzeitung wurden Arbeitsplätze rationalisiert und die Zahl der Arbeitslosen stieg an. Viele standen vor dem finanziellen Aus und wurden bedürftig. In Berlin gründete Sabine Werth mit einigen Frauen die erste Tafel. Sie hatten von den amerikanischen Food Banks gehört und erkannt, dass es auch hierzulande bedürftige Menschen gibt, Die Idee wurde umgesetzt und angenommen. 1994 gab bereits 4 Tafeln in Deutschland. Auch hier wuchs der Bedarf stetig, aus diesem Grunde gründete sich 1995 der Verein Tafel e.V. Die meisten deutschen Tafeln sind darin eingebunden.
Über 30.000 ehrenamtliche Mitarbeiter der Tafeln sorgen bundesweit dafür, dass die Lebensmittel eingesammelt und verteilt werden. Viele von ihnen sind Harz IV Empfänger, Frührentner oder Menschen, die krankheitsbedingt keiner Arbeit im Erwerbssinne nachgehen können.
Die Bedürftigen können die Nahrungsmittel einmal in der Woche abholen. Etwa 1 Millionen Menschen erhalten auf diesem Wege 1x pro Woche knapp 3,5 kg Lebensmittel, welche "übrig" geblieben sind. Früher wurden demzufolge 3,5 Millionen kg Nahrung weggeschmissen, so meine Schlussfolgerung.

Neben der Möglichkeit des Abholens und Selbstkochens gibt es etwa 145 Suppenküchen in Deutschland. Das macht etwa 17% der Tafeln aus. Dieses Angebot des gekochten Essens richtet sich vor allem an Menschen, die keine Möglichkeit haben, sich selbst etwas zuzubereiten. ¼ der Bedürftigen sind Kinder und Jugendliche.

Die Tafeln bieten auch gebrauchte Kleidung, Möbel und Bücher an. Dieses Angebot ist möglich, weil viele Privatleute ebenfalls spenden.
Die Anzahl der Tafeln hat sich seit 1994 bis 2010 auf etwa 900 gesteigert.

Sabine Werth und die Berliner Tafel - Hier können Sie einen Einblick gewinnen

An der Tafel darf jeder teilnehmen...

Um Lebensmittel entgegen zu nehmen, muss man die Bedürtigkeit nachweisen. Jeder der etwas erhält, zahlt einen Obolos von 1 €. Mancherorts ist der Andrang so groß, dass Nummern ausgegeben werden müssen, um Rangeleien an den Ausgabestellen zu vermeiden.

Die Menschen, die an einer Tafel teilnehmen, kommen aus unterschiedlichen Gründen dorthin. Die Gründe sind Arbeitslosigkeit, Krankheit oder sehr schmale Renten. Ich kenne einige von ihnen persönlich, teilweise gehen sie 1 € Jobs nach, leiden an multipler Sklerose oder sind manisch depressiv. Viele der erkrankten Menschen hatten früher recht hochdotierte Jobs. Durch die Umstände ihrer Krankheit sind die eigenen finanziellen Mittel inzwischen aufgebraucht.

Die Leute, die einmal in der Woche zur Tafel gehen, nehmen niemanden etwas weg; die Lebensmittel würden sonst vernichtet, weil sie nicht mehr rentabel verkäuflich sind.

Es gibt auch Gegner der Tafel. Die Kritik richtet sich nicht an die Bedürftigen, sondern an die Politiker. Es gibt immer weniger Arbeitsplätze und immer mehr Menschen bleiben auf der Strecke. Die Bedingungen für die Arbeitnehmer werden immer härter, oft grenzt das in vielen Berufen schon an Ausbeutung und erinnert an den frühen Kapitalismus. Zeit etwas zu ändern...

 

 Bilder pixabay

Autor seit 13 Jahren
50 Seiten
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