Elfriede Jelinek - Die Klavierspielerin
Eine Buchrezension des 1983 erschienenen Werkes "Die Klavierspielerin" von Elfriede JelinekDie Klavierspielerin | Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.471, D... | "Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek - P... |
Inhalt und Interpretation
Erika lebt mit Ende 30 immer noch mit ihrer Mutter in einer Wohnung, die für sie eher als Gefängnis gilt. Sie ist ihrer Mutter vollkommen untergeordnet, denn diese entscheidet immer noch über die Wahl von Erikas Kleidung, wann und mit wem sie sich trifft und wie sie ihre spärliche Freizeit gestaltet. Sie wurde von Kindheit an von ihrer herrschsüchtigen Mutter dazu gezwungen Pianistin zu werden, der Traum der Mutter, dass Erika Weltberühmtheit erlangt, blieb aber aus. So ist sie zur erzählten Zeit des Romans Klavierlehrerin, gibt aber manchmal Wohnzimmer-Konzerte, bei denen die Mutter immer noch hofft, dass ihre Tochter entdeckt und berühmt wird.
Wegen dieser Unterdrückung durch die Mutter verliert Erika immer mehr jegliche Fähigkeiten Emotionen zu empfinden, aber auch, sie bei anderen zu tolerieren. Um diese Tatsache zu verdrängen, fügt sie sich selbst absichtlich Schmerzen zu, nur um nicht ganz den Bezug zu Empfindungen zu verlieren.
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Logischerweise kann sie deswegen auch keine Beziehungen zu Männern aufbauen, ihre bisherigen Verhältnisse zu Männern waren kurz und ohne jeglichen Spaß für sie. Selbst sexuelle Lust zu empfinden ist ihr fremd, obwohl sie es genießt anderen dabei zuzusehen. So geht sie, wahrscheinlich um die innere Leere, die durch das Fehlen dieser natürlichen sexuellen Lust hervorgerufen wird, zu kompensieren, regelmäßig in Peep-Shows und spannt im Wiener Prater, wo andere Paare miteinander schlafen. Ein anderer Grund dafür könnte aber auch ihre Wissbegierde sein, denn sie liebt es das Verhalten anderer zu analysieren und zu bewerten. Vielleicht hofft sie daher Neues lernen zu können, das sie sich aneignen und selbst anwenden kann, falls gebraucht.
Egal aber um welchen ihrer Charakterzüge oder um welches Verhalten ihrerseits es sich handelt, den wahren Grund dafür wissen kann man nicht, nur erraten oder interpretieren.
Genau dieses Gleichgewicht zwischen detaillierten Erklärungen und dem Nicht-einschätzen-können ihrer Persönlichkeit ist es nämlich, das das Buch spannend für den Leser macht. Man wird automatisch gezwungen die Gefühle selbst zu empfinden, um wissen zu können wie sich die Protagonistin fühlt und um möglicherweise auch ihre Gedanken und Taten nachvollziehen zu können, obwohl das meist sehr schwer fällt.
Ein Wendepunkt in dem Roman ist der Beginn der Beziehung zu Erikas Schüler Walter Klemmer, nicht nur für den Verlauf der Geschichte, sondern auch für Erikas Charakter und ihren Umgang mit anderen Menschen, vor allem mit ihrer Mutter. Erika will eindeutig eine Beziehung zum Klemmer, allerdings nur nach ihren Spielregeln. Sie gibt ihm klare Anweisungen, wie die Beziehung ablaufen soll, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünscht als Liebe und Anerkennung, aber das würde sie niemals zugeben, zumindest anfangs nicht. Sie ist es so gewohnt vor ihrer Mutter zu "buckeln", dass sie das Gefühl der Überlegenheit genießt und bis zum Äußersten auskostet. Anfangs macht dem Schüler Walter das auch noch Spaß, weil es für ihn ebenfalls eine neue Situation ist und weil er stolz ist Erikas "Auserwählter" zu sein. Doch Erika übertreibt es, schreibt ihm Briefe mit Anleitungen, wie er sie beim Sex zu behandeln hat, sie ist zu ehrlich mit ihren sadomasochistischen Wünschen und Neigungen, die sie aber eigentlich ohnehin nicht ernst meint. Sie manövriert sich selbst in einen Machtrausch, von dem sie nicht mehr loskommt. Dem Schüler Walter wird dies alles zu viel und er zieht sich immer mehr zurück. Als Erika begreift was ihre Taten und Aussagen für Konsequenzen haben, geht sie aufs Ganze, nimmt ihren ganzen Mut zusammen und gesteht mit viel Überwindung ihre wahren Gefühle für ihren Schüler Walter Klemmer.
Der Leser ist schockiert, zum ersten Mal werden Erikas Gefühle ganz offen dargelegt und mit so einem Einblick in die Gefühlswelt der Protagonistin hat man als Leser absolut nicht gerechnet. Obwohl dieser Wandel offensichtlich positiv ist, kann man Erika dadurch als Person komischerweise überhaupt nicht mehr ernst nehmen, weder der Leser, noch Walter Klemmer. Dieses plötzliche Zugeständnis von Emotionen lässt Erika in einem ganz anderen Licht dastehen, sie wird einem automatisch unsympathischer und man kann als Leser überhaupt keinen Bezug mehr zu ihr herstellen. Dem Klemmer scheint es ähnlich zu gehen, denn ab diesem Punkt ist die Beziehung zwischen den beiden erst recht zum Scheitern verurteilt. Nach einem kurzen sexuellen Fiasko, bei dem Walter seine Lehrerin Erika vergewaltigt, ist das Verhältnis zwischen den beiden endgültig beendet und Erika ist wieder ganz sicher selbst überlassen. Auch das Ende des Romans, bei dem sie sich selbst mit einem Messer in die Schulter sticht, ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass sie wieder in alte Verhaltensweisen zurückfällt. Es ist unklar, ob sie diesen Zwischenfall überlebt und jeder kann sich seine eigene Fortsetzung der Geschichte ausdenken. Der Leser ist, genau wie Erika Kohut, sich selbst und seinen Gedanken ausgesetzt und kann nicht umhin über den Verlauf des Inhalts nachzudenken.
Nichts für jedermann
Alles in allem ist das Buch sehr aufwühlend, oft kann oder möchte man nicht mehr weiter lesen, weil man die ewigen inneren Monologe von Erika nicht mehr aushält. Diese Negativität ihrerseits zieht den Leser immer mehr hinunter und bald fühlt man sich selbst so elend wie die Protagonistin. Jelinek schafft es durch diesen Erzählstil nämlich tatsächlich, dass man sich als Leser selbst mit den Protagonisten identifiziert, versucht zu verstehen und das Geschriebene als Realität wahrnimmt. Man hat das Gefühl, dies sei die Geschichte von jedem, der auf der Straße an einem vorbeigeht. Es ist gleichzeitig hautnah aber auch völlig surreal, faszinierend und abstoßend.
Wer dieses Buch lesen will, muss Nerven bewahren, es zahlt sich aber eindeutig aus, denn so etwas gibt es kein zweites Mal.
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Über die Autorin
Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag geboren und ist eine österreichische Schriftstellerin. Sie ist verheiratet und ihr Zuhause hat sie in Wien und München.
Kindheit, Jugend und Ausbildung
Durch die frühe psychische Erkrankung ihres Vaters Friedrich Jelinek, kümmerte sich um die Erziehung ausschließlich ihre Mutter Olga. Jelinek besuchte einen katholischen Kindergarten und eine Klosterschule, was für sie, mit ihrem Taten- und Bewegungsdrang, eine große Einschränkung war. Sie verarbeitete diese Erfahrungen in ihrem Essay "In die Schule gehen ist wie in den Tod gehen".
Um den Grundstein für eine große Musikerkarriere zu legen, bestand ihre Mutter außerdem seit frühester Kindheit darauf, dass sie Musikunterricht in großem Ausmaß erhielt, wodurch sie das Spielen diverser Instrumente erlernte. Mit 13 studierte sie bereits am Wiener Konservatorium, während sie zeitgleich die Mittelschulausbildung absolvierte.
Jelinek als Schriftstellerin
Kurze Zeit nach ihrer Matura verbrachte sie, verursacht durch einen psychischen Zusammenbruch, ein Jahr ohne Kontakt zur Außenwelt in ihrer Wohnung. In dieser Zeit entstanden ihre ersten Gedichte, die in Zeitschriften und von kleinen Verlagen gedruckt wurden.
"die liebhaberinnen" war der Roman der ihr 1975 zum literarischen Durchbruch verhalfen.
Die Thematik ihrer Bücher behandelt die Missstände der österreichischen Gesellschaft, sowohl in politischer, öffentlicher als auch in privater Hinsicht. Auszeichnend sind ihr provokanter Schreibstil mit einem großen Teil Sarkasmus und einer vulgären Ausdrucksweise.
2004 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur.
Elfriede Jelinek (Bild: http://s201.photobucket.com...)
Parallelen zu Jelineks Leben
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Elfriede Jelinek in ihrem Werk "Die Klavierspielerin" selbst Erlebtes, Empfindungen aus ihrer Kindheit und Jugend und möglicherweise sogar die Beziehung zu ihrer Mutter verarbeitet bzw. in die Geschichte einfließen lässt.
In der Erzählung ist die Protagonisten Klavierlehrerin, wobei ihre Mutter immer noch hofft, dass das wahre Talent ihrer Tochter, ob eingebildet oder nicht, eines Tages doch von jemandem entdeckt wird und sie eine große Karriere beginnt.
Im wahren Leben wurde Jelinek ebenfalls von ihrer Mutter gedrängt, eine Musikausbildung zu absolvieren, sogar mit der gleichen Motiven. Es sieht so aus, als hätte Jelinek diese Art von Förderung und Forderung seitens der Mutter eher einschränkend und unangenehm empfunden.
Wenn man die Beschreibung der Beziehung zwischen der Protagonistin Erika und ihrer Mutter bedenkt, könnte man sogar darauf schließen, dass die gesamte Mutter-Tochter-Beziehung eher negativen Charakter hatte und von Jelinek als Einengung erlebt wurde.
Das Werk im Film
2001 erschien die gleichnamige Verfilmung vom österreichischen Regisseur Michael Haneke, die mit 2,5 Millionen Kinobesuchern ein Riesenerfolg war und als erfolgreichster österreichischer Film der letzten Jahre an der Spitze steht. Die Originalsprache des Films ist französisch, deshalb auch der Originaltitel "La Pianiste".
In der Hauptrolle als Erika Kohut spielt Isabelle Huppert, den Schüler Walter Klemmer übernimmt Benoit Magimel.
Die Klavierspielerin | DVD Edition Der Standard (02) Die Klavierspielerin Nur EUR 11,99 |
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)