Gesichtsblindheit - wenn alle Menschen gleich aussehen
Prosopagnosie ist eine Art visuelle Agnosie. Es handelt sich diesbezüglich um eine Gesichtserkennungsschwäche, die mehrere Ursachen haben kann.Wodurch entsteht Prosopagnosie und was versteht man darunter?
Gesichtsblindheit kann nach Schlaganfällen auftreten, oder nach schweren Unfällen, bei denen Regionen (temporookzipitale Bereiche) im Gehirn stark in Mitleidenschaft gezogen worden, die insbesondere für die Gesichtserkennung wichtig sind.
In solchen Fällen wurde der Gyrus fusiformis (auch Spindelwindung genannt) verletzt. Die Patienten sind hernach nicht mehr in der Lage, Gesichter zu unterscheiden, können sich somit auch keine Gesichter merken, weil in ihren Augen alle gleich aussehen.
Prosopagnosie kann ebenso ein Gendefekt sein, der von Geburt an besteht und lange Zeit unbemerkt bleibt. Die genetische Ursache ist bisher noch nicht bekannt. Es ist allerdings mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Nachkömmling von Prosopagnosie betroffen sein wird, wenn ein Elternteil daran erkrankt ist.
Der deutsche Neurologe Joachim Bodamer war es, der dieses Krankheitsbild schon anno 1947 beschrieb, nachdem er bei einigen Patienten, die eine Gehirnverletzung erlitten hatten, feststellte, dass sie unfähig waren, sowohl Pflegepersonal als auch nahe Angehörige zu erkennen.
Es gibt allerdings drei unterschiedliche Typen der Prosopagnosie, die im Englischen "Face blindness" und im Deutschen "Gesichts-Blindheit" genannt wird. Es wird demnach unterschieden zwischen der apperzeptiven (bewusst wahrgenommenen), assoziativen bzw. amnestischen Prosopagnosie und der angeborenen (kongenitalen) Gesichtsblindheit.
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Von Geburt an Gesichtsblind
Prosopagnostiker sind nicht sehbehindert oder blind im eigentlichen Sinne. Sie sind nur nicht in der Lage, ein Antlitz vom anderen zu unterscheiden. Wer von Geburt an Gesichtsblind ist, merkt gar nicht, dass er "anders" ist. Jedenfalls nicht im frühen Kindesalter. Für ein Kind mit angeborener Prosopagnosie ist es vollkommen normal, dass jeder Mensch gleich aussieht. Es kennt es nicht anders.
Die vertrauten Personen, die es täglich um sich hat - wie Mama und Papa als auch Geschwister - lernt das Kleinkind schnell durch ihre Stimmen, am Gang oder anderen Merkmalen zu identifizieren. Anders sieht es jedoch bei Menschen aus, die das von Prosopagnosie betroffene Kind nur selten sieht, wie eventuell Großeltern, Tanten und Onkel. Dann kann es schon passieren, dass das Kleine zu weinen beginnt, weil es nicht weiß, wem es vor sich hat. Es wird nicht freudig reagieren, wenn Omi und Opi es herzen, drücken und liebkosen. Es verhält sich so, als hätte es Fremde vor sich, da - sofern die Besuche sehr selten stattfinden - weder Stimmen noch Gerüche vertraut sind.
Eltern und nahe Angehörige von kongenitalen Prosopagnostikern tappen ziemlich im Dunkeln. Oft wird davon ausgegangen, dass das Kind einfach nur "fremdelt". Wenn diese Phase anhält, noch hinzu kommt, dass es den Blickkontakt mit seinem jeweiligen Gegenüber meidet, befürchten Eltern, dass eventuell eine autistische Verhaltensstörung dahinterstecken könnte. Selbst Kinderärzte und Psychologen haben sich diesbezüglich schon geirrt und tatsächlich Prosopagnosie mit Autismus verwechselt.
Wie nehmen Prosopagnostiker ihr Gegenüber wahr?
Prosopagnostiker haben ein geringes Vorstellungsvermögen. So jedenfalls geht es aus einer epidemiologischen Studie hervor, die Dr. med. Thomas Grüter gemeinsam mit dem King's College in London und der Uni Bamberg durchgeführt hat. Grüter hat sich seit 2002 mit seiner Gattin, Frau Dr. med. Martina Grüter, intensiv mit der "Gesichtserkennung" befasst. Die Mediziner erbrachten u.a. den Nachweis, dass Prosopagnosie (eine erhebliche Form der Gesichtserkennungsschwäche) wesentlich häufiger als bisher angenommen vorkommt.
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Viele Betroffene können sehr wohl erkennen, ob sie einen Mann oder eine Frau vor sich haben, jedoch können sie nicht zwischen bekannten und unbekannten Gesichtern unterscheiden. Für sie können Verwandte ebenso Fremde sein.
Thomas Grüter weiß sehr wohl wie unangenehm es ist, nicht zu wissen, wen man vor sich hat. Er kennt das ungute Gefühl, was sich bemerkbar macht, wenn man nicht weiß, ob Freunde, Bekannte oder Fremde vor einem stehen, sofern die Personen schweigen. Sein Defizit: Prosopagnosie!
Wer mehr über die sogenannte Gesichtsblindheit erfahren möchte, den Verdacht hegt, selbst von Prosopagnosie betroffen zu sein, oder einen nahen Angehörigen hat, der unfähig ist, sich Gesichter zu merken, findet auf dieser Seite wichtige Informationen, Hinweise und weiterführende Links.