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Ein sympathischer Jammerlappen

Nach einer Messerattacke Helens und einiger Zeit der Trennung fasst Joan-Marc den Entschluss, seine Ehe zu retten, und als Ort der Versöhnung fungiert eine Art Kurhotel, wo Vorgreise und "Mumien" ein letztes Stück Glück aufschnappen wollen. Das ist ein verzweifelter Rettungsversuch, den er auch bei seiner zweiten Frau, an die der uferlose Bericht adressiert ist, anzuvisieren scheint. In einer Kombination aus Selbstrechtfertigung und gnadenloser Selbstentblößung schüttet er sein verdorrtes Herz aus, vielleicht in der Hoffnung, seine zweite Frau zu erweichen und zurückzuholen. Gonzalo Torné wählt einen Ich-Erzähler, der, im Grunde ein Jammerlappen, durch die Kompromisslosigkeit seiner Darstellung und die klugen Grübeleien um Sympathien wirbt und sie bei einigen Lesern wohl auch erhält. Der Ich-Erzähler Joan-Marc ist ein sprachlicher Virtuose, ein empfindsamer Equilibrist und scharfsinniger Geist – große Fähigkeiten, die ihm aber bei der Meisterung des Daseins nichts nützen. Besonders frei fließen die Worte bei der Schilderung von Szenen und Handlungen. Dann strömt es förmlich, ein unwiderstehlicher Sprachsog entsteht und Torné gelingen glänzende Formulierungen. Anders bei den weitschweifigen Analysen von Erlebtem. Hier gerät der Motor ins Stocken, der Schriftsteller ergeht sich ein wenig in barocker Umständlichkeit, deren Liebreiz beschränkt ist.

 

Der endgültige Zusammenbruch

Aus Abwechslungsgründen kommt es Joan-Marc in den Sinn, alte Bekannte aufzusuchen, die er lang gemieden hat, "weil sie etwas Klebriges ausstrahlten". Intensiver wird es bei einem ehemaligen Freund, der sich operativ in eine Frau verwandeln ließ und nun als Edel-Prostituierte arbeitet, und einem anderen, der seine Wohnung zu einem Museum von verstaubter Ungemütlichkeit umkrempelte. Indessen geht der tägliche Kleinkrieg mit Helen weiter, die "trockenen Phasen des Zusammenlebens" verkürzen sich radikal und der normale Alltag rückt in weite Ferne. Geradezu rührend bei beiden ist die Verehrung des jeweiligen Vaters, was beinahe an Ehrfurcht grenzt und die eigene, im Erlöschen begriffene Ehe massiv behindert. "Ich aß kaum, weil ich befürchtete, sie könnte mich mit Pilzen vergiften...". Beim Entlieben, kurz vor dem Durchdrehen gerät Joan-Marcs brennendes Gemüt in ungewohnte Wallungen, er hat schräge Fantasien und träumt unter anderem von gefesselten, weinenden Frauen. Am Ende steht er auf selbsterrichten Trümmern und wird sich der Überbewertung seiner Koitusmaschine bewusst, die er lange dazu zwang, diese Frau zu penetrieren. Insgesamt ist dies eine schonungslose Selbstanklage und vor allem eine Anklage – der Ehe. Warum erzählt er das alles seiner zweiten Frau, wenn nicht im Versuch des Zurückholens jener, die er "nicht festhalten" konnte? Gewiss, der mit einem Schwulenhass behaftete Protagonist ist manchmal ein Ekelpaket, aber es ist das authentischste und liebenswerteste, das man sich vorstellen kann, zumal Joan-Marc automatisch Empathie aufkeimen lässt. Gonzalo Torné ist in mehrerer Hinsicht, aber vor allem in einer ein großer Meister: Er zeigt, wie ein mit Humor durchsetzter Zynismus und Selbstironie jemanden aufrechterhalten können.

Gonzalo Torné: Meine Geschichte ohne dich. Roman. Aus dem Spanischen von Petra Strien. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017, 380 Seiten.

 

Autor seit 10 Jahren
505 Seiten
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