Der Mädchenfänger lauert im Chat

Die 13-jährige Lainey ist mit ihrem jungen Leben komplett überfordert: An der neuen Schule ist sie eine Außenseiterin, ihre Mutter nervt den ganzen Tag lang, der Stiefvater macht ihr Angst und ihr kleiner Bruder ist ein Ausbund an Boshaftigkeit. Nur im Internet findet sie Leute, mit denen sie ungezwungen quatschen und Spaß haben kann. In einem Chatroom lernt sie "El Capitan" kennen, einen etwas älteren Jungen, der unverschämt gut aussieht, ihre Sorgen versteht und sie tröstet. Lainey verliebt sich in ihren Chatpartner und ist völlig aus dem Häuschen, als er ihr ein Treffen vorschlägt. Natürlich willigt sie sofort ein – nicht ahnend, dass "El Capitan" in Wahrheit ein Psychopath ist, der sie prompt entführt, in ein Verlies sperrt und grausam quält.

FBI-Agent Bobby Dee widmet sich seit langem der Suche nach vermissten Kindern. Sein Motiv entspringt einem persönlichen Schicksalsschlag: Katy, seine einzige Tochter, verschwand vor einem Jahr spurlos, was seine Ehe, wie auch sein Leben völlig zerstörte. Als einem Reporter entsetzliche Gemälde mit der Post geschickt werden und kurz darauf eine Mädchenleiche gefunden wird, erhärtet sich sein Verdacht: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen, der seine jungen Opfer in Chatrooms kennenlernt und dermaßen geschickt manipuliert, dass sie ihm bedingungslos vertrauen. So wie Lainey. Und vielleicht auch Katy ...

Vertraue niemandem!

"Mädchenfänger" ist ein ungemein fesselnder Psychothriller, der sich zeitgemäßen Phänomenen wie "Facebook" oder "Twilight" äußerst glaubwürdig nähert. Dabei vermeidet Jilliane Hoffman die naheliegende Versuchung, das Internet als Hort des Bösen und Abartigen zu schildern, wie es etwa der Film "Untraceable" suggerierte. Der Roman stellt völlig sachlich fest, dass es sich beim Internet lediglich um ein Werkzeug handelt – wie es genutzt wird, liegt in der Verantwortung der Benutzer.

Auch hierbei beweist Hoffman ungemeines Einfühlvermögen und schildert Lainey nicht als heillos naives oder gar dummes Mädchen, das dem "Mädchenfänger" leichtfertig auf den Leim geht. Im Gegenteil: Es sind die äußeren Umstände, ihre eigene Unsicherheit und letztendlich die Gerissenheit des Täters, die Lainey in dessen Einfluss treiben. Die Pubertierende kann niemandem trauen und schenkt dieses ausgerechnet jener Person, die jenes Vertrauen schamlos ausnutzt.

Spannender Pageturner "Mädchenfänger"

Von der ersten Seite weg zieht der Roman die Spannungsschrauben an. Obwohl der Einstieg zunächst harmlos erscheint, wird er doch von einer dunklen Bedrohung überschattet, denn: Im Gegensatz zu Lainey weiß der Leser, mit wem sie es zu tun hat. Gerade dadurch erzeugt Hoffman weitaus mehr Sympathie für das spätere Opfer, als würde sie es sogleich sadistischen Folterungen aussetzen.

Während Lainey äußerst glaubwürdig und liebenswert gezeichnet wird, erhalten Protagonist Bobby Dee und der anfangs anonym bleibende Killer weitaus weniger Profil. Besonders der Polizist strotzt nur so vor genreüblichen Klischees, inklusive des mit dem Fall verbundenen Schicksalsschlages.

Trotzdem erweist sich "Mädchenfänger" als klassischer Pageturner, den man einfach nicht mehr aus der Hand legen kann. Immer wieder werden neue Wendungen oder Bedrohungsszenarien aus dem Köcher gezogen, die beständig für Neugierde sorgen.

Wenn der Roman eine Schwäche besitzt, dann den Showdown. Hierbei überschlagen sich die Ereignisse in hektischer Abfolge, als hätte Hoffman unter Zeitdruck gestanden, das Manuskript abzuschließen. Die Auflösung des Rätsels, wer der Killer ist, fällt denn doch ein wenig enttäuschend, weil vorhersehbar aus. Über die Motive schweigen sich Roman, wie auch Killer weitgehend aus. In diesem Punkt fehlt jene Konsequenz, die das Buch ansonsten auszeichnet.

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Grandiose Andrea Sawatzki

Das im Argon Verlag produzierte und erschienene Hörbuch "Mädchenfänger" wird von Andrea Sawatzki gelesen. Als "Tatort"-Kommissarin bekannt geworden, stellt Sawatzki einmal mehr unter Beweis, dass sie nicht nur über eine einprägsame, klare Stimme verfügt, sondern diese auch optimal einzusetzen versteht. Jede Figur erhält eine individuelle Stimme mit einem ganz bestimmten Sprachrhythmus. Während etwa die junge Lainey eine unbeschwerte, jugendliche Sprache an den Tag legt, ist jene des Killers äußerst bedacht und gewählt. Somit kommt an keiner Stelle jene Monotonie auf, die sich in weniger perfekten Produktionen oftmals einschleicht.

Jilliane Hoffman: Von der Staatsanwältin zur Bestsellerautorin

Die 1967 geborene Autorin Jilliane Hoffman weiß, wovon sie schreibt, hat sie doch einige Jahre als stellvertretende Staatsanwältin in Florida gearbeitet und an Polizeischulen unterrichtet. Gleich ihr Debütroman "Cupido" hatte die Bestsellerlisten gestürmt. "Mädchenfänger" (Originaltitel: Pretty Little Things) ist ihr bereits vierter Roman.

Fazit: Makellose Vertonung eines packenden Psychothrillers. "Mädchenfänger" erzeugt Lust, Jilliane Hoffmans weitere Romane zu lesen, respektive anzuhören.

Nikakoi, am 06.12.2013
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Bildquelle:
W. Zeckai (Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)

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