Buchcover

© Verlag LangenMüller

 

Aufbauschung durch Nebenhandlungen

Jolien Janzing bevorzugt einen antiquierten, ja altmodischen Schreibstil, der sich darin gefällt, in das Zeitalter der realen Brontës hinabzutauchen, um möglichst authentisch und zeitgenössisch zu wirken. Verstörend ist die anfangs notorische Anrede der Leserinnen und Leser. Hier reicht es, kommentarlos zu zitieren: "Aber bevor Sie mit der Heldin der Geschichte ins wuchernde Brüssel reisen [...] gestatte ich Ihnen einen Blick auf ihre Zukunft in genanntem Ort. Schauen Sie, wie die junge Lehrerin durch die Straßen von Brüssel streift." Leider können die Rezipienten nicht schauen, bestenfalls innerlich, sofern ihre Phantasie dazu ausreicht. Sicherlich, ein Autor kann die Einbeziehung des Lesers als einen Kunstgriff verwenden, wenn er originell eingesetzt wird. Nur ist das hier leider nicht der Fall – dieses Stilmittel, das an einen City Guide gemahnt, ist zu abgeschmackt. Um etwas Abwechslung in das Geschehen zu bringen, kapriziert sich Janzing auf unaufgelöste Nebenhandlungen. Da ist zum einen der attraktive, aber arme, lumpenartig gekleidete Arbeiter Emile, der mit Lumpen handelt und als ein unverwüstlicher Vertreter der Arbeiterklasse selbstverständlich gegen die Unterdrückung der Arbeiterklasse aufbegehrt. Mit der klassenhöheren Charlotte hat er eine Mesalliance anvisiert, die in einer zugleich romantischen und heroischen Auswanderung kulminieren soll. Zum anderen gibt es die standesbewusste Mama Henriette, deren Bestreben es ist, dass ihre minderjährige Tochter Arcadie dauerhaft das Bett mit dem abwechslungshungrigen, offensichtlich pädophil veranlagten belgischen König Leopold teilt. Beide Handlungsstränge werden entweder ruckartig abgebrochen (bei Emile) oder im Ungewissen gelassen, auf dass sich der bislang an der Hand geführte geneigte Leser sich seine eigenen Gedanken mache.

 

Die Liebe fällt hin, wohin sie will

Die Formulierungen der Autorin sind oft recht simpel und grenzen an die Trivialliteratur, aber manchmal wundert man sich über gelegentliche Blüten, die aus den Dornen hervorgewachsen sind. Es handelt sich hier gemäß Titel um eine geheime Liebe, bedauerlicherweise erfährt man von den Geheimnissen der Liebe fast gar nichts. Für die subtile Beschreibung einer langsam aufkeimenden, dann stetig wachsenden Liebe fehlen der Autorin die sprachlichen Mittel. Irgendwann ist das Entbrennen, die gegenseitige Glut einfach da, und erklärt wird dabei nur, dass die achso irrationale Liebe eben hinfällt, wohin sie will. Wappnen kann sich gegen dieses zeitweise unauslöschliche Gefühl anscheinend niemand, und schade ist zudem, dass an den beiden Liebenden wenig liebenswert erscheint, als handele es sich um eine Verbindung von bislang Zukurzgekommenen, die sich allmählich ihrer Affinität bewusst werden. Zu Hause angekommen im Schoß des väterlichen Pfaffen, schreibt Charlotte glühende Liebesbriefe an den in Brüssel ausharrenden, zur Treue mehr oder weniger gezwungenen Familienvater Heger. Immerhin sind die für Außenstehende sinnlosen Schriftstücke das beredte Zeugnis eines tief pulsierenden Herzens, das offensichtlich die Macht über alles Reale gewonnen hat. Insgesamt erinnert das Buch sprachlich und inhaltlich an ein missglücktes Drehbuch, das trotzdem zu einem halbwegs passablen Film geführt hat. Irgendwie schafft es die Autorin aus unerfindlichen Gründen doch, dass man beim Lesen etwas gepackt wird, nicht abspringt und partielle Anteilnahme nimmt.

Jolien Janzing: Die geheime Liebe der Charlotte Brontë. Aus dem Niederländischen von Wibke Kuhn. LangenMüller, München 2016, 318 Seiten.

 

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