Und ehe der Vorwurf kommt, ich sei einer dieser Retro-Hipster, der Kaffee ausschließlich über eine am Flohmarkt erworbene Melitta-Kaffeemaschine von 1974 zubereitet und die Plörre genussvoll aus der "Free Tibet"-Tasse schlürft: Ich besitze selber eine Nespresso und bin mir bewusst, dass es sich um ein überteuertes Lifestyle-Produkt handelt. Genauso wie, och, ein iPhone oder eine Marken-Handtasche, die alleine deshalb dreimal mehr als das gleichwertige Konkurrenz-Modell kostet, weil irgendeine überschminkte Mailänder Designer-Domina ihren Schriftzug hergegeben hat. Geschmack kann man eben nicht kaufen, dessen bin ich mir bewusst.

KaffeekAPPsel! Ich bin ein Marketing-Genie! Gebt mir Geld!

Was hat es nun mit der Nespresso Prodigio auf sich, deren italienischer Name völlig unbescheiden "Wunder" bedeutet? Macht sie Blinde wieder sehend? Besser, viel besser: Sie lässt sich über eine App steuern! Jedenfalls teilweise. Was meiner gar nicht zu gering einzuschätzenden Meinung nach genauso sinnbefreit ist, wie einer dieser ans Web angeschlossenen Kühlschränke, die automatisch Milch bestellen, auch wenn der Besitzer intolerant gegen Laktose ist. Zugegeben: Diese Technologie hat sich noch nicht durchgesetzt, Betonung auf "noch". In den 1990ern hätte ja auch kaum jemand geahnt, dass Millionen nicht besachwalterte Menschen Furz-Klingeltöne auf ihr Handy laden würden. Das sind übrigens jene Menschen, die über ihr Wahlrecht unser aller Leben bestimmen. Die Wunderwelt der Demokratie, Ladies and Gentlemen!

Insofern kommt es keinem Wunder gleich, wenn der bloße Gedanke, seine Kaffeemaschine mit einer App steuern zu können, bei so manchem Zeitgenossen für feuchte Händchen sorgt. Feucht vom Wischen übers Smartphone-Display natürlich, was dachten Sie denn? Ich darf dich doch siezen?

Via Bluetooth lassen sich mehrere Funktionen der Nespresso Prodigio steuern. Am Prominentesten ist natürlich die Funktion, den Brühvorgang zu starten. Einfach das Smartphone einschalten, App anwählen, Startvorgang initiieren, fertig. Ganz easy im Gegensatz dazu, einen Knopf an der Kaffeemaschine zu drücken. Das ist ja so was von Neandertal, püh! Und damit nicht genug: Dank dieser App kann man die Nespresso-Kapseln direkt im Nespresso-Shop bestellen! Auch wenn ich enttäuscht davon bin, dass die Kapseln nicht als "KaffeekAPPsel" bezeichnet werden – was ist los, Nestlé? Wofür beschäftigt ihr eine Marketingabteilung, wenn irgendein Typ im Internet mit einem IQ von 95 euch die Ideen liefern muss? -: Das ist einfach klasse und eine großartige Vereinfachung gegenüber dem langweiligen Bestellvorgang im Online-Nespresso-Shop. Oder so.

"Hallo! Ich bin der Latte, den Sie ...

"Hallo! Ich bin der Latte, den Sie bestellt haben!" - "Nee, sorry, das war das Samsung vom Tisch gegenüber" (Bild: https://pixabay.com)

Kann mal jemand die Regierung entkalken?

Und es kommt noch besser: Die App gibt an, wenn die Nespresso entkalkt werden muss! Ein tolles Service, das man sich auch für die Regierung wünschen würde, gäbe es ein geeignetes Mittel für verkalkte Wasserköpfe. Sicher, die Nespresso-Kaffeemaschinen stellen ohnehin den Betrieb ein, wenn sie verkalkt sind, und zeigen dies mit blinkenden Knöpfchen an. Stylisher ist es aber, sich über die App zu vergewissern, dass es Zeit für "Operation Kalkstein" ist. Immerhin beweist der User damit sogar seine Lesefähigkeiten. Im Jahr 2016 keine Selbstverständlichkeit mehr.

Um auf den Punkt zu kommen: Das Design der Nespresso Prodigio wurde leicht modifiziert. Technisch funktioniert sie wie die handelsüblichen Nespresso-Maschinen, abgesehen von der App-Spielerei. Und mehr als eine Spielerei ist es wahrlich nicht. Sämtliche Funktionen muss der Anwender wie gewohnt übernehmen: Wasser einfüllen, Kapsel einlegen, Kaffeetasse unter den Auslauf stellen, sogar das George-Clooney-Lächeln muss mühsam vom Mund abgespart werden. Wie muss ich mir die Arbeit im Nespresso-Headquarter vorstellen?

Das ist übrigens meine derzeitige Nespresso, die ich empfehlen kann
DeLonghi Nespresso EN 750.MB Lattissima Pro
EUR 499,00  EUR 316,23

Gelangweilt von Milliardenumsätzen tüfteln 22-jährige BWL-Studenten und 30-jährige Spätberufene, die "irgendwas mit Medien" studiert haben herum, wie sie eine weitere Produkt-Linie auf den Markt werfen können, plötzlich leuchtet über einem dieser schlauen Köpfe eine Energiesparlampe auf (ganz langsam, die brauchen ja eine gewisse Zeit, bis sie die volle Helligkeit erreichen) und er/sie/es ruft: "Heuschrecka! Ich hab's! Wir machen irgendwas mit einer App, die sich übers iPhone steuern lässt!", der Vorstand nickt die Idee achselzuckend ab, und fünf Tage später spucken gigantische Förderbänder die Nespresso Prodigio aus? Falls ja, hier noch eine Meckerei, ihr Marketing-Fuzzis: Wieso nennt ihr die Maschine nicht nAppspresso? Muss ich euch wirklich alle Ideen liefern? Kleines n, gleich dem kleinen i im iPhone? Meine Hackfresse! Ich habe einen unterdurchschnittlichen IQ und nicht einmal die Hauptschule geschafft, und ihr habt studiert und bildet euch was auf eure zwei Auslandssemester in England ein, aber auf das Offensichtliche kommt ihr nicht.

Und das passiert, wenn die App abstürzt

Und das passiert, wenn die App abstürzt (Bild: https://pixabay.com)

Hilfe! Mein Brusthaarentferner hat kein WLAN!

Etwa das Offensichtliche, dass diese App sinnloser als jede "Transformers"-Fortsetzung ist. Ja, sicher, ich kann mir ein Szenario bildlich vorstellen, bei dem Nerdie McNerdgeek seinen Hipster-Freunden breitmaulgrinsend vorexerziert, wie er mittels iPhone den Brühvorgang seiner neuen Nespresso Prodigio startet. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, wie Angela Merkel den Song Contest gewinnt – seid also nicht zu stolz auf eure Neuentwicklung!

Fazit: Wenn euch ungeheuer langweilig ist und ihr euch schon lange darüber geärgert habt, dass es neben dem elektrischen Brusthaarentferner und Omas altem Eierkocher mit der Nespresso ein Gerät ohne WLAN oder Bluetooth gibt, so haben die Götter ein Einsehen mit euch. Freuet euch, o Menschenkinder. Ich bleibe denn doch bei meiner toothlosen Nespresso, was eventuell auch damit zusammenhängen könnte, dass mein Smartphone in Wahrheit ein Dumbphone ist, mit dem man nur telefonieren, SMSen und Tischtennis spielen kann. Womit es auch wunderbar zu seinem Besitzer passt. Aber das ist eine andere Geschichte und nicht jugendfrei.

PS: Euer Reißverschluss ist offen. Der lässt sich neuerdings auch mit einer App steuern.

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