Zum Inhalt: Einschleusen in das Straflager

Während seiner aktiven Laufbahn als KGB-Agent machte sich Leo wenig Gedanken um die Zustände der Straflager. Ebenso wenig um die Schicksale derer, die er verhaftete und in die Gulags gebracht wurden. Doch nun holt ihn diese Ära ein. Zum ersten Mal erfährt er die menschenverachtende Grausamkeit aus nächster Nähe. Doch warum verschlägt es ihn freiwillig in ein gefürchtetes Straflager? Seine Adoptivtochter Soja wurde entführt. Ihr Leben hängt vom Gelingen der Forderung durch die Entführer ab. Er lässt sich als Gefangener an den äußersten Rand von Sibirien bringen und in den Gulag 57 einschleusen. Befreit er den Mann, den er am Anfang seiner Geheimdienstkarriere verhaftete und in das Straflager bringen ließ, kommt Soja wieder frei. Leben gegen Leben – so lautet die Forderung der Entführer. Verzweifelt tritt Leo die Reise auf dem Gefängnisschiff mit anderen Gefangenen in die Hölle an. Er weiß, nur so kann er seine Adoptivtochter Soja aus den Händen der Entführer befreien.

 

Leo Demidow - ehemaliger KGB Agent

Wer ist Leo Demidow? Das skrupellose und grausame Gesicht des sowjetischen MGB Agenten, später KGB-Agenten zu Zeiten des stalinistischen Russlands begegnet dem Leser erstmals im Thriller "Kind 44". Die vom Autor exakt recherchierten Schilderungen über die Vorgehensweisen des russischen Geheimdienstes geben tiefe Einblicke in ein radikales Überwachungssystem mit seiner diktatorischen Gewalt. Der Leser erfährt geschichtliche Ereignisse, unter denen die Bevölkerung im Stalinismus zu leiden hatten. Im Laufe des Romans ändert sich Leo. Er erkennt das diktatorische Regime, die Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Gewaltherrschaft. Seine bis dahin unerschütterliche Loyalität bröckelt.

 

In " Kolyma" ist Leo erneut gefordert, Schicksale zu meistern

Bereits in der fortgeschrittenen Geschichte im Thriller "Kind 44" ruft Leo ein Morddezernat ins Leben. Ein waghalsiges Unternehmen. Denn im Kommunismus durfte es offiziell keine Verbrechen wie Raub und Mord geben. Solche Vorkommnisse wurden ausschließlich dem dekadenten Westen zugeschrieben. Doch seit seinen Ermittlungen wegen der Kindermorde im ersten Teil kommt Leo nicht zur Ruhe, er jagt echte Verbrecher. Er erzwingt keine falschen Geständnisse mehr. Von Menschen, die unschuldig sind und einer Ideologie geopfert werden.

 

Die Vergangenheit holt Leo Demidow ein

Im Thriller "Kolyma" lernt der Leser einen noch jungen Leo Demidow kennen, als er noch beim MGB war. Die Geschichte beginnt mit seinem Verrat eines Priesters, der durch Leos Wirken verhaftet und in den Gulag nach Kolyma geschickt wird. Sieben Jahre später bearbeitet Demidow Mordfälle im von offizieller Seite verleugneten Morddezernat. Sein Martyrium beginnt, als er den Tod von zwei Geheimdienstlern aufklären soll. Was es dabei mit Fotos von Gefangenen und einem Stapel schriftlicher Textauszüge auf sich hat, erfährt Leo später selbst am eigenen Leib.

 

Die geheime Rede Chruschtschows

Wie bereits im ersten Teil der Trilogie bildet auch in "Kolyma" ein wichtiges geschichtliches Ereignis ein weiteres Gerüst für die Story. Gemeint ist die geheime Rede von Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KpdSU im Februar 1956 in Moskau. Diese Rede war ein Wendepunkt in der Geschichte der Sowjetunion. Chruschtschow gab die Verbrechen Stalins bekannt, verurteilte und distanzierte sich von ihnen. Nachdem die geheime Rede allmählich in der Bevölkerung durchsickerte, wurden die ehemaligen Jäger, die im Auftrag des Geheimdienstes agierten, zu Gejagten. Frajera, die Frau des Priesters, den Leo seinerzeit verhaften ließ, hat sich sehr verändert. Sie ist inzwischen eine wory Anführerin von einer Gruppe Krimineller. Sie konfrontieren zwei ehemalige wichtige KGB Agenten mit schriftlichen Auszügen der geheimen Rede. Durch das Bekanntwerden ihrer Tätigkeiten bricht deren sorgfältig unter Verschluss gehaltene wahre Identität zusammen wie ein Kartenhaus. Sie ziehen die Konsequenzen und begehen Selbstmord. Da hier jedoch Mord vermutet wird, kommt Leo ins Spiel.

 

 

Ungeklärte Mordfälle – Leo Demidow ermittelt

Nikolai, der frühere Chef von Leo, wendet sich verzweifelt an ihn. Er war der Mann, der Leo seinen ersten Auftrag gab, nämlich den Priester zu verhaften. Seine Erbarmungslosigkeit war damals legendär. Noch am selben Abend treffen sich die beiden Männer. Doch Leo ist abwesend wegen familiärer Probleme. Eine seiner beiden Adoptivtöchter, deren Eltern in seiner Gegenwart vor Jahren von MGB-Agenten erschossen wurden, hasst ihn abgrundtief. Nachts steht sie wie schon öfter mit einem Messer an seinem Bett, fest entschlossen, ihn zu töten. Doch der Anruf von Nikolai vereitelt ihr Vorhaben. Nikolai ist nicht mehr ganz nüchtern. Er zeigt Leo Fotos von den Menschen, die er verhaftet hat. Doch Leo ist in Gedanken, hört ihm kaum zu und vertröstet ihn auf den nächsten Tag. Am folgenden Tag ist Nikolai tot. Außer dem toten Nikolai werden die Leichen seiner Frau und seiner beiden Kinder in der Wohnung gefunden. Leo wird gerufen.

 

Auswirkungen der geheimen Rede treffen auch Leo

Es dauert nicht lange, bis auch Leo mit schriftlichen Auszügen der geheimen Rede konfrontiert wird. Er findet heraus, dass die Frau des Priesters hinter diesen Racheaktionen steckt. Als Anführerin der kriminellen Gruppe geht sie rücksichtslos gegen ehemalige KGB-Agenten vor. Besonders mit Leo begleicht sie ihre Rechnung. Sie will ihn leiden sehen. So, wie sie unter seinem Verrat und ihrer Verhaftung sowie die ihres Mannes litt. Zur gleichen Zeit lehnt sich die ältere Adoptivtochter Soja in der Schule öffentlich gegen Stalin auf. Seit dem Tod ihrer Eltern ist sie von Hass erfüllt. Sie gibt Leo die Schuld dafür. Leo, der alles versucht, um ein glückliches Familienleben zu führen und den beiden Schwestern ein behütetes Zuhause zu geben, scheitert an ihr. Frajera, die Anführerin, kennt seinen wunden Punkt. Sie entführt Soja. Will Leo und seine Frau Raisa Soja lebend wiedersehen, muss er ihren Mann aus dem Gulag im Gebiet von Kolyma befreien.

 

Leo als Gefangener auf dem Weg in den Gulag 57

Leo bricht auf. Zusammen mit seinem Kollegen und Freund Timur bringt man ihn mit dem Gefängnisschiff nach Magadan. Der Hafen gilt als Eingang zur Hölle. Leo schlüpft in die Rolle eines Gefangenen. Timur dagegen schlüpft in die eines Stellvertretenden Lagerkommandeurs. So ist der Plan, um Leo und den Priester aus dem Straflager herauszuholen. Nach einer schaurigen Schiffsüberfahrt erreichen sie Magadan. Leo wird dem Lager überstellt. Er fürchtet, als KGB-Agent erkannt zu werden und hofft auf das baldige Eintreffen seines Freundes. Der kommt jedoch nie an. Leo ist auf sich allein gestellt. Er trifft den Priester, der ihn sofort erkennt. Leos Offenbarung über seine Veränderung stößt auf Misstrauen. Ebenso das Vorhaben dessen Frau, ihn zu befreien. Die geheime Rede indes holt Leo auch im Straflager ein. Der Lagerkommandant verliest sie über Lautsprecher, was für Aufruhr unter den Gefangenen sorgt. Leo wird vom Priester und anderen Mitinsassen mit Foltermethoden gequält, die sie selbst am eigenen Leibe erdulden mussten.

 

Fazit – Kolyma, fesselnd, spannend, lesenswert

Auf 473 Seiten erzählt Tom Rob Smith erneut eine rasante Geschichte, die von Anfang bis Ende von einer Spannung in die nächste führt.

  • Kolyma als zweiter Teil der Trilogie um Leo Demidow ist in sich abgeschlossen

  • Man muss nicht den ersten Thriller kennen, um den Protagonisten zu folgen

  • Die Story beginnt im Juni 1949. Sie hat es in sich, und dies auf mehreren Ebenen

  • Da ist das verzweifelte Bemühen des ehemaligen KGB-Agenten, trotz seiner Vergangenheit und aller Schwierigkeiten, ein friedliches und glückliches Familienleben zu führen

  • Die geheime Rede von Chruschtschow als historischer Meilenstein und wesentlicher Rahmenhandlung sorgt für Aufruhr unter der Bevölkerung und für Unsicherheit bei ehemaligen KGB-Agenten

  • Auch Leo ist davon betroffen. Im Zuge von Racheaktionen wird seine Adoptivtochter Soja entführt

  • Die Entführer fordern Leben gegen Leben. Soja soll erst wieder freigelassen werden, wenn Leo einen Priester aus dem Gulag befreit. Er war seine erste Verhaftung

  • Leo lässt sich als Gefangener in die Hölle von Kolyma einschleusen

  • Der Aufstand in Ungarn 1956 bildet einen weiteren historischen Schauplatz als Teil der Handlung

 

Meine Meinung zu Leo, Raisa und Kolyma

Der Schreibstil ist klar, deutlich und stets nah an den Geschehnissen. Man fühlt sich stets, als wäre man dabei. Der Autor beherrscht das Setzten der Spannungsbögen. Dies führt dazu, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Allerdings blähen nach meinem Empfinden Teile einiger Handlungsstränge sowie darin auftauchende Personen die Geschichte ein wenig auf. Sie sind zwar in sich schlüssig, doch führen über den engen Kern der Geschichte deutlich hinaus. So etwa die Verstrickungen der Demidows mit Adoptivtochter Soja im ungarischen Aufstand. Ich empfinde Kolyma als durchaus lesenswertes Buch, wenngleich es mich etwas weniger in den Bann um Leo und seiner Frau Raisa zog als bei "Kind 44". Wer sich mit der Lektüre von Kolyma weiter in die Welt der Demidows vertiefen möchte, trifft mit dem Buch die richtige Wahl. Darüber hinaus zieht die Geschichte in die Wirren der Sowjetunion in den fünfziger Jahren, des KGB, der Gulags sowie der ergreifenden Schicksale zahlloser Menschen. Für mich ist das Buch eine klare Leseempfehlung.

 

 

Laden ...
Fehler!