Inhalt: Die Schatten der Vergangenheit – Walter Faber, Joachim und Hanna

Der fünfzigjährige Ingenieur Walter Faber leistet technische Aufbauhilfe in "unterentwickelten" Ländern. Als sein Flugzeug in der mexikanischen Wüste notlanden muss, lernt er den Deutschen Herbert Hencke kennen. Dieser entpuppt sich als Bruder seines alten Freundes Joachim. Nach und nach stellt sich heraus, dass Joachim mit Hanna verheiratet war, zu der Faber einst eine Liebesbeziehung hatte und die er 1936 selbst heiraten wollte – primär, um die Aufenthaltserlaubnis der Halbjüdin in der Schweiz zu sichern. Die schwangere Hanna entschied sich jedoch gegen die Ehe. Auf den gemeinsamen Entschluss, das Ungeborene abzutreiben, folgte das Zerwürfnis.
Faber begleitet Herbert spontan, und nach einer abenteuerlichen Reise durch den Dschungel gelangen sie auf Joachims Tabakplantage in Guatemala. Dort machen sie eine grausige Entdeckung: Joachim hat sich erhängt. Herbert bleibt bei den Indios, Faber kehrt in seine Wahlheimatstadt New York zurück. Er beendet das Verhältnis zu seiner Geliebten Ivy und beschließt, mit dem Schiff nach Europa zu reisen.

Eine griechische Tragödie: Homo Faber und Sabeth

Auf der Schiffsreise lernt er die blutjunge Sabeth kennen und macht ihr – nur halb im Scherz – einen Heiratsantrag. In Frankreich trennen sich ihre Wege kurzzeitig, dann reisen sie gemeinsam nach Italien. Inmitten historischer Ruinen fragt Faber nach dem Vornamen ihrer Mutter. Eine Frage führt zur nächsten, bis sich herausstellt: Hanna ist Sabeths Mutter. Faber verdrängt das Naheliegende und rechnet Joachim als Vater aus. Während einer Mondfinsternis schlafen sie miteinander.
Die Reise endet in Griechenland. Am Strand wird Sabeth von einer Viper gebissen, unter Strapazen bringt Faber sie ins Hospital nach Athen. Dort trifft er auf Hanna. Diese arbeitet mittlerweile als Archäologin, hält Vorlesungen und flickt antike Scherben – "Ich kleistere die Vergangenheit zusammen." Zunächst verschweigt sie die Wahrheit. Erst am nächsten Tag, als sie die zurückgelassene Kleidung vom Strand holen, offenbart sie Faber seine Vaterschaft. Sabeth stirbt, obwohl die Heilungschancen statistisch gut waren.

Odyssee und Ankunft – von Mexico über Zürich zurück nach Athen

Fabers rationale Welt ist angesichts der Ereignisse völlig zusammengebrochen. Sich selbst entfremdet begibt er sich auf eine Odyssee: Er reist nach Mexiko und besucht den desillusionierten Herbert. In Caracas fesseln ihn Magenbeschwerden ans Bett, hier beginnt er seinen Bericht. In Havanna fasst er den Entschluss, anders leben zu wollen. In Düsseldorf will er der Firma der Hencke-Brüder Filmaufnahmen von der Plantage zeigen – dabei flirren alle Begegnungen mit Sabeth noch einmal vor ihm über die Leinwand. Er will nicht mehr sein. Nach einem Besuch seiner Vaterstadt Zürich fliegt er nach Rom, kündigt seinen Job und kehrt am Ende seiner Irrfahrt zu Hanna nach Athen zurück. Im Krankenhaus auf seine lange aufgeschobene Magenoperation wartend, verfasst er die letzten Seiten seines Berichts.

Der Aufbau des Romans: Hanna und Sabeth, Irrfahrt und Wandel

Der Roman besitzt einen dreigeteilten Aufbau: Die erste Phase beinhaltet die Vergangenheit Fabers mit Hanna sowie die Ereignisse vom Flugzeugabsturz bis zum Tod von Sabeth. Die zweite Phase gibt seine Irrfahrten, die dritte seinen Krankenhausaufenthalt wider. Vorausdeutungen und Rückblicke durchbrechen die Chronologie und verweben das Geschehen gleichzeitig. Alle Handlungsphasen werden durch Faber unterschiedlich wiedergegeben: Die erste Phase schreibt er rückblickend als Bericht nieder, es folgen Tagebucheinträge seiner Reisen und (kursiv wiedergegebene) handschriftliche Tagebuchaufzeichnungen im Krankenhaus. Ihnen entsprechen unterschiedliche Stationen einer inneren Entwicklung des Protagonisten.

Interpretation: technisches Weltbild versus menschliche Natur

Anfangs besitzt Faber ein klar strukturiertes, technisches Weltbild. Er glaubt nicht an Fügung oder Schicksal, sondern an die Berechenbarkeit der Welt: Wahrscheinliches und Unwahrscheinliches unterscheiden sich für ihn nicht im Wesen, sondern lediglich in ihrer Häufigkeit. Alles ist mathematisch erklärbar, "und wenn es einmal eintritt, das Unwahrscheinliche, so besteht für unsereinen keinerlei Grund zur Verwunderung, zur Erschütterung, zur Mystifikation". Kunst und eine tiefere Beziehung zu Menschen bleiben Faber fremd, sein sprachlicher Ausdruck – sei es bei Gesprächsthemen, Vergleichen oder Gedankengängen – ist stark auf die Technik bezogen. Hanna formuliert die damit einhergehende Beschränkung folgendermaßen: Technik "als Kniff, die Welt so einzurichten, dass wir sie nicht erleben müssen". Faber erlebt nicht direkt, sondern distanziert durch eine rationale Schablone. In diese starre Gedankenwelt brechen das Unwahrscheinliche und das Unbewusste mit voller Kraft ein.

 

Max Frisch: Bildnisgedanke, Rolle und Identität

Das bereits dem Roman "Stiller" zugrunde liegende Bildnismotiv findet sich im Homo Faber wieder: Faber hat eine Rolle eingenommen, die dem modernen Männerbild des technischen Menschen und dem Bildnis, das sich die anderen von ihm machen, Rechnung trägt. Wie Stiller leidet er unter der Rollenhaftigkeit seines Dasein und den Erwartungen seiner Umwelt.
Sein unterdrücktes Ich meldet sich bereits am Anfang des Romans mit Magenbeschwerden, Schwindelanfällen und den für ihn untypischen spontanen Reiseplanänderungen zurück. Die folgenden Zufälle, die seinen Berechnungen völlig zuwiderlaufen, konfrontieren ihn mit seiner Rolle und werden so zu (seinem) Schicksal. Der Inzest vor den antiken Kulissen des abendländischen Mythos und der tragische Tod Sabeths werfen ihn schließlich völlig aus seiner gewohnten Bahn: Er kündigt den ihm fremd gewordenen Job. Auf der folgenden Odyssee ändert sich seine Sprache, er lässt seinen Emotionen freien Lauf, öffnet sich dem (Er-)Leben. Seine Reise ist eine Reise hin zu seinem wahren Ich, zu seiner Identität. Am Ende wünscht sich Faber ein natürliches Dasein: Der Homo Faber ist tot, der Mensch Faber geboren.

Übrigens: Die Figur der Hanna weist bezüglich der historischen Situation biografische Bezüge auf. Max Frisch war in seiner Jugend mit der Berliner Jüdin Käte liiert, zeigte sich über deren Kinderwunsch beunruhigt und wollte sie wegen einer Aufenthaltsgenehmigung heiraten.

 

Bildquelle: www.pixelio.de

(c) Rudolpho Duba / pixelio.de

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