Buchcover

 

Dekorationsmalerei in Italien

Der Schreibstil wirkt zunächst abschreckend, de Kerangal präferiert in ihren langen Sätzen das scheinbar Komplizierte und Kapriziöse, aber bei genauerem Lesen erweist sich ihre Diktion doch als gut goutierbar. Lange Satzpassagen und Sequenzen behindern nicht, sofern nicht unnötig verschachtelt, den Lesegenuss. Anders verhält es sich allerdings mit dem Inhalt: hier wird viel zu viel Fachliches mitgeteilt, über Farben, Pinsel, Materialien etc. Derartige Beschreibungen führen mitunter an die Grenzen der Belastbarkeit. Wen interessiert es außer dem Kenner, welchen Pinsel sie zu irgendeiner Spezialarbeit benötigt? Da wird ein Insider-Kreis angesprochen, zu dem viele Leser*innen keinen Zugang haben. Die eigentlichen Handlungen sind wesentlich spannungsreicher. Als Paula orientierungslos in ihrer Brüsseler Wohnung herumhängt, taucht Jonas auf: "Plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen, kleine, harte Tränen...der reinste Springbrunnen". Paula glaubt, dass ihre Beziehung etwas Einzigartiges sei. Das kommt alles ein wenig schnell, zumal zuvor wenig über Paulas Seelenleben mitgeteilt wurde. Sie hangelt vom Kleinauftrag zu mittlerem Auftrag, hat Pausen dazwischen und wird irgendwann von einer Bekannten ins Ägyptische Museum nach Turin geholt, wo sie die Leinwände nur grundieren darf. Ihre Baustellen liegen fast ausschließlich in Italien: "Sie hat sich der Schar der Arbeitsnomaden angeschlossen, jenen, die jahrein, jahraus auf Achse sind, manchmal weit weg, je nach ihren Verträgen, und die sich deutlich unterscheiden von den Twitter- und Instagramstars..." Insgesamt hat Paula wenig Geld, sie ist dem Kunstprekariat zuzurechnen, nicht dem Proletariat, dafür geht es ihr doch zu gut, außerdem stößt sie auf viel Kollegialität.

 

Die Höhle von Lascaux

Unsicherheit entsteht nur durch den notorischen Wechsel ihrer Lebensverhältnisse, eine Unstetigkeit mit Anpassungsvermögen, kontrastierend zum spießigen Leben anderer Frauen in ihrem Alter. Beängstigend zu diesem Zeitpunkt ist Jonas' Schweigen, er hat permanent Aufträge und möchte eigentlich Maler werden. Große Filmnamen werden genannt in diesem Buch, da Paula an Filmstätten arbeitet, an ihrem aktuellen Arbeitsplatz in Rom lernt sie den "Scharlatan" kennen, einen leichtlebigen Genussmenschen, mit dem sie eine Affäre eingeht. Jonas taucht wieder auf, beide haben glühende Glasaugen. Von einem Spannungsfeld kann man bei diesem Hin- und Hergerissensein wahrlich nicht sprechen. Maylis de Kerangal nimmt wieder das Tempo heraus, wechselt von einer Autobahn zu einer Landstraße. In der Dordogne scheint Paula ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben: Sie wurde zur Höhle Lascaux "gerufen", wo sie bei der Nachbildung mitwirken soll. Wichtig scheint der Ort insofern zu sein, als die Autorin eine hohe Seitenzahl dafür verwendet. Während des 2. Weltkriegs eröffnet, fiel die Höhle von Lascaux dem Massentourismus zum Opfer und wurde im April 1963 geschlossen. Hier wird noch einmal deutlich: es wird kopiert und nicht imitiert. Für Jonas ist das "das ultimative Faksimile" und Paula hält das Ganze für eine "Zauberfabrik", hier geht sie auf, findet ihre Erfüllung und trifft wieder – Jonas. Dieses Buch behandelt also nicht nur eine kunstgewerbliche Angelegenheit, sie ist auch eine Lovestory. Und nicht die schlechteste. Sieht man einmal von den verwendeten Materialien und den Arbeitsprozessen ab, ist das durchaus eine angenehme Lektüre.

 

Maylis de Kerangal: Eine Welt in den Händen. Übersetzt von Andrea Spingler. Suhrkamp Berlin 2019. 270 Seiten.

 

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