Horrorgeschichten der Legenden wie H. P. Lovecraft

Kaum eine Anthologie des Schreckens, die etwas auf sich und seine Leser hält, kommt ohne einen Beitrag von H. P. Lovecraft aus. "Necrophobia" verschließt sich dieser Tradition nicht und druckt mit "Pickmans Modell" eines der besten Werke des früh verstorbenen Neuengländers ab. Auf nur wenigen Seiten entfaltet die Horrorgeschichte zunächst stilles Unbehagen, das sich zu unverhohlenem Grauen steigert und in einer nur als genial zu bezeichnenden Schlusspointe mündet.

Einen weiteren Höhepunkt der Erzählsammlung liefert Lovecrafts Zeitgenosse und Brieffreund C. A. Smith, dessen "Die Rückkehr des Hexers" freilich ebenso wie "Pickmans Modell" zuvor bereits in anderen Anthologien abgedruckt worden war und Kennern des Genres somit bestens vertraut sein dürfte.

Doppelt hält besser: Brian Lumley abseits der „Necroscope“-Reihe

Als einziger Autor ist der Brite Brian Lumley mit gleich zwei Beiträgen in "Necrophobia" vertreten: Zum einen mit dem zwar flüssig zu lesenden, aber letztendlich etwas unbefriedigenden "Die dünnen Leute von Barrows Hill", sowie dem Gänsehaut erzeugenden "In der letzten Reihe". Auch Lumley zählt längst nicht mehr zu den Geheimtipps, sondern hat sich vor allem dank der "Necroscope"-Reihe an der Spitze der Genrevertreter etabliert.

Das Augenmerk der Anthologie ist zwar auf Horrorgeschichten aus den USA und England gerichtet. Doch darüber hinweg wird trotzdem nicht ganz auf die inzwischen fast völlig in Vergessenheit geratenen Wurzeln aus deutschsprachigen Ländern verzichtet. Leider kann Gustav Meyrinks "Das Präparat" mit den übrigen Texten nicht mithalten und präsentiert sich als solide, jedoch spannungsarme Erzählung.

Bram Stoker: Mehr als nur der Mann hinter „Dracula“

Dass der Ire Bram Stoker weitaus mehr zu bieten hatte als den neben "Frankenstein" wohl berühmtesten Horrorroman überhaupt, beweist die Kurzgeschichte "Die Squaw". Auch wenn es naturgemäß schwerfällt, sich vom übermächtigen Schatten des Dracula zu lösen: Stoker war ein begnadeter Geschichtenerzähler und formidabler Stilist, der sich auch vor seinen literarischen Erben nicht verstecken muss. Im Gegenteil: Mit "Die Squaw" liefert er einen der Glanzpunkte der Anthologie ab.

S. P. Somtows blutiger „Summertime Blues“

Der gewiss umstrittenste Anthologie-Beitrag stammt vom exzentrischen Thailänder S. P. Somtow. "Summertime" ist ein psychologisch komplexes Roadmovie zum Lesen. Ein Serienmörder weiht seinen Sohn in die tieferen Geheimnisse seiner Profession ein. Denn: Nicht Geltungsdrang oder morbide Gelüste veranlassen ihn zu seinen Taten, sondern ein wahrhaft göttliches Motiv …

Trotz des betulichen Einstiegs in den Text und die lakonische, mitunter wehmütige Erzählweise entfesselt "Summertime" einen Tornado an Abscheulichkeiten, der blitzschnell über den Leser hinwegfegt und Beklommenheit zurücklässt. Dabei gelingt es Somtow sogar, grimmigen Humor einzubinden und Mitgefühl für die Protagonisten zu erzeugen. Zart besaitete Gemüter seien jedoch gewarnt: Der Konsum dieser Geschichte kann den Appetit für längere Zeit verschlagen!

Geheimtipp Simon Clark

Inmitten von Genre-Giganten wie F. Paul Wilson, Ramsey Campbell oder Richard Laymon sticht ein (noch) unbekannter Name heraus: Simon Clark serviert mit "Schluck die üble Saat" die vielleicht sogar beste Geschichte der Anthologie. Zwei vom Regen durchnässte Wanderer suchen Zuflucht im Haus eines pensionierten Ex-Polizisten. Dieser zeigt sich von dem unverhofften Besuch der freundlichen jungen Leute erfreut, jedoch nur, bis er den Grund für deren nervöses und merkwürdiges Verhalten am eigenen Leibe herausfindet …

Spannend von der ersten bis zu letzten Zeile, glaubwürdige Charakterisierung, ein originelles Horrormotiv und ein Abschluss, der selbst beim Sonnenbaden Frösteln verursacht. Den Namen Simon Clark wird man sich dank dieses Meisterwerks nur zu gerne merken!

Versammelte Meister der Angst in „Necrophobia“

Fazit: "Necrophobia – Meister der Angst" stellt eine der qualitativ besten Horroranthologien der letzten Jahre dar und kann jedem Genrefreund besten Gewissens ans Herz gelegt werden. Einige weniger gelungene oder bereits in anderen Geschichtensammlungen erschienene Texte trüben den hervorragenden Gesamteindruck nur unwesentlich. Alleine Simon Clarks, Bram Stokers und S. P. Somtows Beiträge rechtfertigen den Kauf dieser Anthologie.

Übrigens wurden in der gleichnamigen Hörbuchreihe "Necrophobia" nur wenige ausgesuchte Geschichten vertont. Wer die drei Hörbuch-Teile besitzt, sollte trotzdem zum Buch greifen, um in den vollen Genuss literarisch veredelter Kostbarkeiten der Angst zu gelangen.

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