Ich bin eher Denker, denn Dichter und doch kam ich an dieser Form der Literatur nicht vorbei: Slam Poetry, wobei Poetry Slam den Dichterwettstreit als solchen bezeichnet. Fasziniert von dieser ganz neuen und unkonventionellen Art, selbst erdachte Texte auf individuelle Weise, mit Zeitlimit und anschließender Bewertung vorzutragen, verfolgte ich gespannt einen solchen Wettstreit, der damit sein erklärtes Ziel zumindest bei mir ganz schnell erreicht hat: Publikum (wieder) für Literatur zu interessieren und im besten Fall zu begeistern.

Begriffe

Vorab der besseren Übersicht halber eine kurze Erklärung diverser Fachtermini:

 

  • Slamily - Szene des Poetry Slam
  • Slam Poetry - live vorgetragene Literatur (nach Boris Preckwitz)
  • Poetry Slam - literarisches Veranstaltungsformat (nach Boris Preckwitz)
  • Slam - literarische Bewegung (nach Boris Preckwitz)
  • Slammer, Slampoet, Poetry Slammer - (Bühnen-)Dichter
  • Slammaster - Veranstalter, Moderator und "Mädchen für alles"

Abgrenzung zu anderen literarischen Formaten

Poetry Slam weist im Vergleich zu herkömmlichen Vortragsarten, wie etwa Lesungen, eine ganze Reihe von Abweichungen auf. So sind die Slampoeten beispielsweise völlig frei in der Wahl ihrer Texte sowie auch in der Art der Vortragsweise. Um jedoch bei Platzierungen auf den vorderen Rängen zu landen, müssen sie sich von der Konkurrenz abheben, was oft durch eine besonders einprägsame Performance, die ein Grundelement von Poetry Slam darstellt, gelingt. Mir zum Beispiel ist eine Teilnehmerin in Erinnerung, die ein grandioses Gedicht überwiegend schreiend und wild gestikulierend vorgetragen hat. Das blieb haften; die Ausdrucksstärke faszinierte mich dabei genauso, wie die punktgenaue Wortwahl.

 

Eine weitere Besonderheit stellt der Wettbewerbscharakter dar. Der Slampoet konkurriert mit den übrigen Teilnehmern unter einem vorgegebenen Zeitlimit. Am Ende seines Vortrages folgt die Bewertung durch Publikum oder Jury. Dabei erfolgen die Sympathiebekundungen des Publikums auf ganz unterschiedliche, vorher jedoch festgelegte und manchmal sehr kreative Art und Weise. So reichen sie zum Beispiel von einfachem Applaus über Stimmzettel bis hin zu über Besenstiele geschobene Dichtungsringe oder auch am Körper des Slampoeten angebrachte Wäscheklammern. Interaktion zwischen Künstler, Publikum und Slammaster ist ein weiterer Grundgedanke des Poetry Slam.

Reglement

Die Teilnahme an einem Poetry Slam folgt bestimmten, durch die jeweiligen Slammaster festgelegten Regeln. So müssen zum Beispiel die Texte selbst geschrieben sein, dürfen jedoch die ganze Bandbreite literarischer Gattungen beinhalten. Lyrik, Prosa, Comedy - alles ist erlaubt. Hilfsmittel dürfen - abgesehen vom Mikrofon - nicht verwendet werden. Die Performance muss innerhalb einer bestimmten Zeit (im Schnitt 5 Minuten) beendet sein, ansonsten kann dem Slammer das Mikrofon entzogen werden.

Poetry Slam-Veranstaltungen

Die meistbeschäftigten Akteure der in Deutschland von Männern dominierten Slamily sind die Slammaster. Sie fungieren nicht nur als Veranstalter und Moderatoren, sondern darüber hinaus auch als Talentsucher, Berater, Journalisten und vieles mehr. 

 

Nicht immer, aber oft werden Slamtexte gerappt. Wer nun aber glaubt, auf Grund dessen seien nur englische Texte Erfolg verheißend, der irrt. Gerade unter den deutschsprachigen Künstlern gibt es wahre Meister des gesprochenen Wortes. Überzeugen Sie sich am besten selbst. Nahezu täglich finden deutschlandweit Veranstaltungen statt. Auch bestimmte Fernsehprogramme senden Poetry Slams, beispielsweise WDR und ARTE.

 

Die jährlichen Poetry-Slam-Meisterschaften Deutschlands finden in diesem Jahr voraussichtlich vom 18. bis 22.10.2011 in Hamburg statt.

Wer hat`s erfunden?

Es gibt einige Vertreter der Ansicht, Poetry Slam fuße auf vergleichbaren Veranstaltungen im Mittelalter. Dies konnte jedoch nicht unterlegt werden. Wahrscheinlicher ist, dass die heutige Form des Poetry Slam 1986 in Chicago durch Marc Kelly Smith ins Leben gerufen wurde. Auf seinem nicht aufzuhaltenden Siegeszug erreichte das Format rasch andere Länder, so auch Deutschland. Die Veranstaltungsmodalitäten variieren dabei von Land zu Land geringfügig.

Kunst oder nicht Kunst - das ist hier die Frage

Poetry Slam hat sich inzwischen international als Kunstform etabliert und so verwundert es kaum, dass weltweit auch Landesmeisterschaften ausgetragen werden. Der 2004 unternommene Versuch jedoch, Weltmeisterschaften auszurichten scheiterte am unverhältnismäßig großen Aufwand und den damit verbundenen immensen Kosten.

Was halten Sie von Poetry Slam?

Poetry Slam auf Wikipedia

Allen Interessierten seien die sehr umfassenden Erklärungen, unter anderem zum Regelwerk der Veranstaltungen sowie zu Herkunft und internationaler Entwicklung, auf Wikipedia empfohlen.

Poetry Slam mit Traumfänger

Durch den oben erwähnten Wettstreit, den ich verfolgte, inspiriert, habe ich mich selbst einmal an einem meiner Meinung nach für Poetry Slam geeigneten Text versucht. Da es auf Grund der für Poetry Slam unentbehrlichen Performance schwierig ist, dem Leser die beabsichtigte Intonation zu vermitteln, empfehle ich, den Text lautstark mit kräftiger Betonung und einem leichten Anflug von Aggression zu lesen.

Realitätsverlust
 
Der Morgen war so unverdorben,
als er mich wach küsste.
Nein! Geh doch! sagte ich.
Kam nicht klar auf seine Weisheit,
die so bar jeder Realität daherkam.
 
Da bin ich! schrie die Realität.
Der Geist, den ich rief. Dem es nicht entbehrt.
Eine entfesselte Leidenschaft, die nur eines schafft: Leiden.
 
Meine Realität. So real, wie sonst keine, ist sie eine,
die die Welt aus den Angeln hebt, morgens halb sieben in Deutschland.
In der Hinterhand ein Ass. Einen Joker, der mich auffordert zum Poker
um Schmerz, Leid, Verlust, Verzicht, Pflicht.
 
Mein Herz springt im Dreivierteltakt. Nackt.
Und elegant an der Wahrheit vorbei. Jedenfalls müht es sich darum.
Da bin ich! schreit die Realität dazwischen.
Die Wirklichkeit, die nicht vergessen werden will,
gleich einem Star, so schrill
und verzerrt verzehrt sie sich nach der anderen Wahrheit...
... der lautlosen, stillen, verborgenen.
Was meinen Sie? Gehe ich als Slampoet durch oder sollte ich doch besser beim Schreiben von Artikeln bleiben?
Autor seit 13 Jahren
8 Seiten
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