Braunschweigische Landschaft

Die Anthologie "Raabe inspiriert" ist als Resultat einer Ausschreibung des Vereins Braun-schweigische Landschaft und des Literaturzentrums Raabe-Haus entstanden. Anlass dieses literarischen Wettbewerbs war der 10. Todestag des Schriftstellers am 15. November 2010.
Die Aufgabe war, sich von einem Raabe-Text, egal ob Erzählung oder Roman, zu einer Kurzgeschichte anregen zu lassen, die einen Bezug zur Gegenwart hat.
22 Kurzgeschichten wurden in den Band aufgenommen, Quellen der Inspiration waren: "Abu Telfan", "Stopfkuchen", "Die Chronik der Sperlingsgasse", "Holunderblüte", "Pfisters Mühle", "Unruhige Gäste", "Zum Wilden Mann", "Else von der Tanne".
 
Braunschweigische Landschaft e.V. ist ein regionaler Verein mit verschiedenen Arbeitsgruppen, neben der AG Literatur gibt es weitere, die sich der plattdeutschen Sprache widmen, der Denkmalpflege, Geschichte, Kunst, Natur und Umwelt. Und es gibt noch mehr.


www.braunschweigischelandschaft.de

Raabe-Haus - Museum und Literaturzentrum

Als Ergebnis literarischer Wettbewerbe wurden bereits mehr als zehn Anthologien veröffentlicht, darunter Bände mit Lyrik und Kurzgeschichten sowie Braunschweig Krimis mit dem Titel "Mörderische Landschaft".

 

Im Raabe-Haus, in dem der Schriftsteller Wilhelm Raabe tatsächlich gewohnt hat,

befinden sich ein Museum und das Braunschweiger Literaturzentrum.

 

www.literaturzentrum-braunschweig.de

 

Vorgestellt wird die Anthologie "Raabe inspiriert" in Braunschweig auf einer literarischen Exkursion vom Raabehaus zum Raabezimmer im Gasthaus Grüner Jäger, die jeweils am 6. Mai und 10. Juni 2012 stattfindet. Auf Etappen werden dabei die Kurzgeschichten der drei Preisträgerinnen gelesen:

"Auf einen Kristeller!" von Lisa Kurkoski

"Die Friedhofsmauer" von Kirsten Döbler

"Eine Mühle und drei Menschen" von Annett Volmer

 

Raabe inspiriert, Hrsg. von der Arbeitsgruppe Literatur der

Braunschweigischen Landschaft e. V., Appelhans Verlag, ISBN 978-3-941737-64-8

Mit einer preisgekrönten Geschichte kann ich an dieser Stelle zwar nicht aufwarten, dafür aber mit meinem eigenen Text, der in die Anthologie aufgenommen wurde. Dazu habe ich mich von Wilhelm Raabes Erzählung "Die schwarze Galeere" anregen lassen, mit dem Blick auf der aktuellen Thematik posttraumatischer Belastungen nach Auslandseinsätzen.

Verwundeter Held - Autorin: Frida Kopp

Der Wind klatscht den Regen gegen die Fensterscheiben — was für ein Kontrast zur Hitze im Golf von Aden. Immerhin: Das Unwetter spiegelt, wie es in mir aussieht. Also, wenn Mira das jetzt hören würde — ich glaube, sie wäre begeistert. Schließlich bohrt sie dauernd nach, nervt mich immer wieder mit der Fragerei, was in mir vorgeht! Am liebsten würde ich jetzt pennen, aber der Sturm lässt mich nicht.

Vor Somalia war es meistens die Hitze, die Schlaf verhinderte. Ansonsten ist der Alltag auf einem Marineschiff vor allem eins: eng. Weshalb einer der Funker unsere Fregatte die Galeere genannt hat. Weil alle viel zu dicht aufeinander hocken und sich gegenseitig auf die Nerven gehen. Diejenigen, die zu Hause eine Braut haben, nerven mit ihren Zweifeln, ob die Schlampe auch treu ist. Wenn ich ehrlich bin, wenigstens mir selbst gegenüber, war ich auch nicht besser.

 

Mira und ich, wir kennen uns schon seit der Schulzeit, und als ich zur Marine gegangen bin, hat sie angefangen zu studieren, ausgerechnet Sozialpädagogik, und ist in so 'ne Studenten-WG gezogen. Inzwischen ist sie fertig und steckt in einem Praktikum, für das sie so wenig Geld kriegt, dass es nie und nimmer für eine eigene Wohnung reichen würde. Ich war echt bereit, sie zu unterstützen, mehr als einmal hab' ich ihr angeboten, dass wir zusammenziehen. Sie hat sich glatt geweigert — obwohl ich doch sowieso die meiste Zeit nicht da gewesen wäre.

Klar, dass auch ich zu denen gehört habe, die 'rum wunderten, ob ihre Braut sich nicht mit einem anderen vergnügt. Klar, dass auch ich zusammen mit einigen von unseren Jungs und den Franzosen in diese Bar gegangen bin, wo es echte Rassefrauen gibt, die sich einem geradezu an den Hals werfen. Superweiber — aber die Gelegenheiten zum Landgang sind selten, und wenn man da festhängt, die meiste Zeit auf dem Schiff mit anderen Kerlen zusammengepfercht — da braucht ein Mann nun mal ein bisschen Abwechslung. Das ist doch keine Untreue!

 

Die meisten von uns waren scharf auf das zusätzliche Geld — aber nicht wenige auch auf das Abenteuer. Klar, Piratenjagd — das klingt verlockend, sogar nach Heldentum. Davon hatte ich dann zum Schluss sogar mehr als genug. Wenn ich daran zurückdenke, an die Befreiung eines Frachtdampfers aus Piratengewalt: Da kann ich richtig stolz auf mich sein. Rein theoretisch. Denn ich bin ein verletzter Held, zur Zeit nicht diensttauglich. Wenn es mich wenigstens in einem richtigen Kampf erwischt hätte! Aber nein! Ausgerechnet so ein dämlicher Querschläger musste es sein, der mich an der Schulter erwischt hat.

Ich finde, wenn Mira sich schon für so einen sozialen Beruf entschieden hat — könnte sie da nicht ein bisschen mehr Verständnis für mich haben? Obwohl... wenn ich ehrlich sein soll, habe ich wirklich die Schnauze voll von Psycho-Freaks, die mir posttraumatische Belastungsstörungen unterjubeln wollen. Schon allein dieses Wort-Monster klingt bedrohlich — viel schlimmer als Piraten.

Und Mira — als ich sie gestern angerufen hab', wollte sie nicht mal herkommen, hat vorgeschlagen, dass wir uns morgen in einem Café treffen — nicht mal in 'ner anständigen Kneipe!

 

"Hallo Hannes. Na, wie geht's?" Diese Begrüßung wird begleitet von einem Küsschen auf die Wange.

"Wie soll's schon gehen? Hast du nochmal drüber nachgedacht?"

"Du meinst...?" Ungläubig sieht sie ihn an.

"Na, die gemeinsame Wohnung. Und warum nicht mit Brief und Siegel?"

"Du meinst: Heiraten?"

"Ja, klar."

"Wäre das nicht etwas voreilig? Schau, es ist viel Zeit vergangen... Und wir beide, wir haben sehr unterschiedliche Leben geführt. Meinst du nicht auch, du solltest erstmal deine Kampfwunden kurieren?"

Offenbar nicht, denn sein Gesicht zieht sich zu einem verkniffenen Ausdruck zusammen.

"Ich meine jetzt nicht die körperliche Sache," fügt Mira hastig, hinzu. "Da bist du sicher in guten Händen. Aber ihr habt doch bei der Bundeswehr auch Psychologen..."

"Nicht Bund. Marine!"

Die Serviererin bringt ihr eine Tasse Kaffee und ihm ein Bier, und Mira müht sich mit dem mickrigen Milchdöschen, dann rührt sie um.... und um..., den Blick starr auf ihre Tasse gerichtet.

"Ich glaube, es gibt da doch einen anderen."

"Nein. Gibt es nicht."

 

Oh wei. Mein kaputter Held. Und jetzt möchte er zur Abwechslung den Ritter in schimmernder Rüstung mimen, der die arme Mira aus der Armut und dem harten Berufsleben rettet. Allmählich reicht's mir wirklich. Lange genug habe ich versucht, ihm schonend beizubringen, dass wir schon längst keine gemeinsame Basis mehr haben. Falls wir die überhaupt jemals hatten. Bleibt mir wirklich nur die harte Tour?

 

So weit hat sie mich gebracht! Dass ich hier in der Kälte und Dunkelheit stehe und ihr Haus beobachte! Natürlich nicht ihr's, sondern das, in dem diese WG haust. Kein Licht hinter ihrem Fenster. Was nicht viel bedeuten muss — im Gegenteil: Wenn sie einen ander'n hat, dann wird sie ja wohl zu dem gehen. Wer will schon in einer Wohngemeinschaft...

Auf jeden Fall ist da irgendwas im Busch, das spüre ich: Inzwischen will sie sich mit mir nicht mal mehr im Café blicken lassen — angeblich, weil ich zu laut werde, wenn mir was nicht passt! Einen Spaziergang im Park hat sie vorgeschlagen. Egal wie das Wetter ist. Sie behauptet, dass sie unbedingt frische Luft und Bewegung braucht, weil sie bei ihrem Praktikum den ganzen Tag drinnen ist. Und das soll ich ihr glauben?! Wo sie mir klipp und klar gesagt hat, ich soll nicht so oft anrufen?! Also, wenn ich mich nicht melde — würde sie es überhaupt jemals tun?!

 

Der Himmel ist grau, der Boden von feuchtem Laub bedeckt wie meistens im November, aber immerhin ist es trocken von oben. Trotzdem hat Mira ihre Kapuze über den Kopf gezogen.

In scharfem Ton fragt Hannes: "Wo warst du gestern?"

Sie starrt auf ihre Stiefel und presst die Lippen aufeinander.

"Zu Hause warst du jedenfalls nicht," setzt er nach.

Mira stößt hörbar den Atem aus und sieht ihm direkt in die Augen. "Ja. Es gibt einen anderen Mann in meinem Leben."

Während sie hastig weiter spricht, macht sie einen Schritt zurück: "Es ist nichts wirklich Ernstes. Ich meine... Wir planen nichts mit gemeinsamer Wohnung und so... eben nicht so festgelegt..."

"Du... Du Schlampe. Du elende Schlampe!!" Er packt sie an den Schultern und drückt sie mit dem Rücken gegen den nächsten Baum. Ja, er will sie haben, für sich allein, will sie in Besitz nehmen — doch Mira wehrt sich, schlägt mit der geballten Faust gegen seine Schulter. Sie trifft genau da, wo es noch weh tut. Ganz in der Nähe kläfft ein Hund. Irritiert schaut Hannes in Richtung des Gebells, und Mira nutzt die Gelegenheit, stößt ihn von sich und läuft...

 

Wenn meine Mitbewohner nicht so viel Druck gemacht hätten — ich glaube nicht, dass ich mich zu diesem Schritt überwunden hätte. Immer wieder hat er angerufen und tauchte sogar vor der Tür auf. Also: Ich an seiner Stelle — ich hätte mich geschämt. So auszurasten!

Natürlich habe ich mich verleugnen lassen, aber nach ein paar Tagen war ich so fertig, dass ich nicht mehr zur Arbeit gehen konnte. Außerdem habe ich mich nicht getraut — was, wenn er da auch noch Krawall gemacht hätte? Am liebsten hätte ich einfach die Flucht ergriffen, eine Freundin besucht, in der Hoffnung, dass er irgendwann aufhören würde mit diesem Wahnsinn.

Meine Mitbewohner mussten mich erst darauf hinweisen, dass sie dann immer noch hier wären. Da war ich drauf und dran, zu ihm raus zu laufen und ihm zu gestehen, dass ich diesen anderen Mann nur erfunden habe.

"Und dann?"

"Dann ist es eben wie gehabt. Ich treffe mich ab und zu mit ihm..."

Yvonne hat nicht locker gelassen: "Wollte er dich nun vergewaltigen oder nicht?"

Also habe ich es getan.

 

Eine gerichtliche Verfügung! Sie hat mir tatsächlich so einen Wisch zustellen lassen. Da steht drin, dass ich nicht mal mehr bei ihrer blöden WG an der Tür klingeln darf! Ich wollte doch nur wissen, wer der Kerl ist!

Inzwischen war ich bei diesem Psycho-Fritzen, wo ich die ganze Zeit nur geschimpft habe. Er hat gesagt, das wär' in Ordnung. Für den Anfang. Aber dann hat er geschwafelt, dass es eben nicht immer leicht wär, wieder in unsere Gesellschaft zurück zu finden.

Da muss ich ihm Recht geben. Manchmal denke ich, dass es diese Somalis doch richtig gut haben. Garantiert gehen die anders mit ihren Frauen um, und bei denen ist das was ganz Normales.

frida, am 24.03.2012
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Bildquelle:
W. Zeckai (Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)
dco-Verlag (Rezension: Wenn dich jemand sieht)

Autor seit 12 Jahren
16 Seiten
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