Kindheit und Jugend

Zunächst erfährt der Leser Näheres über die Kindheit und Jugend des Peter Hartz. Und zwar wurde Hartz 1941 in einem kleinen Ort im Saarland geboren und war der jüngste von drei Brüdern. Seine Familie lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen. Aber die Eltern waren sehr darauf bedacht, dass die Jungen in der Schule gut abschnitten, auch wenn der Besuch einer höheren Schule nicht möglich war, und dass sie nach der Schulzeit einen Beruf erlernten. Sie haben ihren Söhnen sozusagen "eingeimpft", dass es nur einen Weg gab, um aus der Armut herauszukommen, nämlich durch gute Leistungen in der Schule und im Beruf. Und bei diesen fielen diese Ratschläge auf fruchtbaren Boden. Peter Hartz hat bei einem mittelständischen Armaturenhersteller eine kaufmännische Lehre absolviert, dann neben seiner Berufstätigkeit das Abendgymnasium besucht, dort die mittlere Reife erworben und an der Fachhochschule Betriebswirtschaft studiert. Dadurch gelang ihm in seiner Firma eine beachtliche berufliche Karriere. Zuletzt war er dort kaufmännischer Direktor. Der älteste Bruder brachte es zum Bürgermeister und Landtagsabgeordneten, der dritte Bruder wurde Unternehmer. Durch den Einfluss seines ältesten Bruders wurde Hartz Mitglied der IG Metall und auch der SPD. Er wurde ferner stark geprägt durch den starken Zusammenhalt innerhalb der Familie, durch den christlichen Glauben seiner Eltern und durch die berufliche Misere seines Vaters, der, weil er wegen seiner angeschlagenen Gesundheit seine Tätigkeit als Facharbeiter nicht mehr ausüben konnte, zum Hilfsarbeiter degradiert und, wie Hartz erzählt, "in seiner Firma überall herumgeschubst wurde".

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Aufstieg des Peter Hartz zum Top-Manager großer deutscher Industrieunternahmen. Und zwar wurde Hartz Mitte der siebziger Jahre zunächst Arbeitsdirektor in einem Unternehmen der Stahlbranche. Zu dem Zeitpunkt zeichnete sich bereits der dramatische Niedergang ab, der in den darauffolgenden Jahren über die deutsche Stahlindustrie, die ja vor allem im Saarland und im Ruhrgebiet angesiedelt ist, hereinbrechen sollte. Etliche Stahlunternehmen verschwanden ganz von der Bildfläche, die verbleibenden schlossen sich zusammen. Im Saarland entstand dadurch ein Firmenkonglomerat, und Peter Hartz rückte als Arbeitsdirektor an dessen Spitze. Nach eigener Aussage verdankt er den Wechsel in die Stahlbranche und den Aufstieg zum Arbeitsdirektor der gesamten saarländischen Stahlindustrie der IG Metall. Bereits im Saarland betätigte sich Hartz als Sozialreformer, und zwar als Initiator der sogenannten Stahlstiftung, einer Art Betreuungs-, Vermittlungs- und Beschäftigungsgesellschaft, die die Stahlarbeiter auffing, die sonst arbeitslos geworden wären.

Die unkonventionelle Sanierung von VW

1993 nahm – wie in dem Buch detailliert geschildert wird - Ferdinand Piech, der Vorstandsvorsitzende des Volkswagenkonzerns, Kontakt mit Hartz auf, um ihn als Arbeitsdirektor und Personalvorstand für VW anzuwerben. Vorausgegangen war wiederum ein Hinweis von Seiten der IG Metall. Zu dem Zeitpunkt hatte der VW-Konzern in Deutschland 30 000 Mitarbeiter zu viel, so dass Hartz wusste, dass hier eine harte Sanierung bevorstand. Deshalb zögerte er lange, bis er das Angebot von Piech annahm. Ausschlaggebend für seine Zusage war, wie er betont, dass Piech ihm zusagte, Maßnahmen mitzutragen, mit denen ein Personalabbau verhindert werden konnte. Wie Hartz eindringlich schildert, hat Piech deshalb seinem Vorhaben, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, zugestimmt, weil er als Vorstandsvorsitzender von Audi hautnah die Verzweiflung der Menschen miterlebt hat, die sein Personalchef entlassen hatte. Das war für Piech ein Schlüsselerlebnis gewesen. Konkret wurden bei VW Entlassungen dadurch verhindert, dass die vorhandene Arbeit auf die 100 000 Mitarbeiter, die VW damals in Deutschland hatte, durch die Einführung der Vier-Tage-Woche sozusagen gerecht verteilt wurde. Dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit dienten zwei weitere Projekte, die Hartz in Wolfsburg initiiert hat, nämlich die Errichtung einer Produktionsstätte für ein neues Modell von VW, für die 3800 Arbeitslose eingestellt wurden, sowie das Projekt der Halbierung der Arbeitslosigkeit in Wolfsburg, das der Stadt zu ihrem 60. Geburtstag im Jahr 1998 "geschenkt" worden ist.

Das Übel der Arbeitslosigkeit

Leitlinie beim Kampf des Peter Hartz gegen die Arbeitslosigkeit ist – wie er betont - die Überzeugung, dass diese zu den größten sozialen Ungerechtigkeiten gehört. Das heißt: Für Hartz bedeutet Arbeitslosigkeit, keine Perspektive mehr zu haben, und das ist seiner Meinung nach das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Deshalb war immer sein größtes Anliegen, Entlassungen zu vermeiden. Er sei, wie er leicht scherzhaft meint, die "personifizierte Beschäftigungssicherung".  Leider würden andere Konzerne – so Hartz – die soziale Verpflichtung der Beschäftigungssicherung nicht einsehen, und er kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Einfallslosigkeit seiner Kollegen. Hartz wörtlich: " Nur Manager, die keine Ideen haben, müssen Leute entlassen und, wie es einmal so treffend hieß, "der Bundesagentur für Arbeit vor die Tür kippen"". Er teilt auch nicht die Meinung vieler Manager und Verbandsfunktionäre, der deutsche Arbeitsmarkt müsse dereguliert werden, damit neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Die viel zitierte Rigidität des deutschen Arbeitsmarktes ist seiner Meinung nach zu einem Popanz aufgeblasen worden. Vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit bekomme man allein durch die "Veränderung der Rahmenbedingungen" nicht in den Griff.

Lob der Mitbestimmung und der Problemlösung im Konsens

Ein weiteres großes Lebensthema ist für Hartz die Mitbestimmung. So ist er – auch darin unterscheidet er sich von vielen seiner Managerkollegen - der Ansicht, dass die institutionalisierte Mitbestimmung kein gesetzlich verordnetes Übel ist, sondern eine der Voraussetzungen für den Erfolg deutscher Unternehmen am Weltmarkt. Für Hartz gilt: "Gäbe es die Mitbestimmung nicht, müsste sie erfunden werden". Dieser Nutzen der Mitbestimmung für den unternehmerischen Erfolg resultiert für ihn aus einem Paradigmenwechsel auf der Arbeitnehmerseite, der darin bestand, dass die Vertreter der Arbeitnehmer das Erwirtschaften von Gewinn in einem Unternehmen als Handlungsmaxime akzeptierten und dadurch sozusagen zu Co-Managern wurden. Deshalb ist es für Hartz auch grundsätzlich möglich, alle Probleme in einem Unternehmen im Konsens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu lösen. Er selbst hat es mit dieser Einstellung geschafft, bei seinem Projekt, ein neues Modell von VW von ehemals Arbeitslosen bauen zu lassen, die Zustimmung des Betriebsrats zu einem Produktionsmodell zu gewinnen, das einer innerbetrieblichen Revolution gleichkam. Denn hier wurden die Arbeitnehmer nicht mehr nach Zeit, sondern nach Leistung bezahlt, erhielten einen niedrigeren Grundlohn, trugen jedoch ein hohes Maß an Verantwortung für die Qualität der Produkte, wurden dadurch – so Hartz – viel mündiger und selbständiger und wurden am unternehmerischen Erfolg beteiligt.

Das Zustandekommen der Hartz-Gesetze

Von besonderem Interesse ist sicherlich für den Leser, von Peter Hartz selbst zu hören, wie die Gesetze, die seinen Namen tragen, zustande gekommen sind und wie er diese Gesetze beurteilt. So wurde Anfang 2002 vor dem Hintergrund der bevorstehenden Bundestagswahl vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Kommission eingerichtet, die Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes erarbeiten sollte, und Hartz zum Leiter dieser Kommission berufen. Der Kommission gehörten, wie Hartz berichtet, 15 hochkarätige Mitglieder an, die alle relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen repräsentierten. Als die Kommission im August 2002 ihre Arbeit beendet hatte, sicherte Schröder Hartz zu, die Vorschläge der Kommission würden "eins zu eins" umgesetzt werden. Doch dann musste Hartz erleben, wie seine Reformvorschläge in die Mühlen der Ministerialbürokratien, der Parteipolitik sowie der Interessengegensätze zwischen Bundestag und Bundesrat gerieten und damit auch zum Zankapfel zwischen Regierung und Opposition wurden. Folge war, dass die Gesetze, die schließlich auf den Weg gebracht wurden, von den Vorschlägen der Kommission in entscheidenden Punkten abwichen. Es stand zwar noch – wie Hartz selber sagt – "Hartz" drauf, aber es war nicht mehr "Hartz" drin.

Die wichtigsten Kritikpunkte

Hartz ärgert besonders – hier geht es um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - dass er für einen Sozialabbau steht, den er nicht gewollt hat. So ist für ihn der Umstand, dass ein Arbeitsloser nach einem Jahr "Hartz IV-Empfänger wird", ein großer Fehler, wenn nicht sogar ein Betrug an denen, die jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Ein weiterer Kardinalfehler ist Hartz zufolge die Spaltung der Gruppe der Arbeitslosen in diejenigen, die als Bezieher von Arbeitslosengeld I von der Agentur für Arbeit betreut werden, und diejenigen, für die als Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) entweder die Kommunen oder die jeweilige ARGE zuständig sind. Eine adäquate Förderung der Hartz-IV-Empfänger bleibt dadurch seiner Meinung nach auf der Strecke. Es gebe jetzt vielmehr Arbeitslose 1. und 2. Klasse. Von einer einheitlichen Betreuung der Arbeitslosen könne also keine Rede sein. Insgesamt sei ein System entstanden, in dem die Arbeitslosen diszipliniert, bestraft werden und diskriminiert würden. Auch der Tenor, der der Arbeit der Kommission zugrundelag, nämlich die Überzeugung, dass Arbeitslosigkeit ein Problem sei, das die ganze Gesellschaft anginge, ist Hartz zufolge völlig untergegangen. Ferner seien einige wesentliche Vorschläge der Kommission überhaupt nicht aufgegriffen worden. Zudem sei der Umbau der alten Bundesanstalt für Arbeit zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen nicht gelungen. Das Urteil des Peter Hartz über die Hartz-Gesetze fällt also vernichtend aus.

Das Karriereende

Nachdem Peter Hartz aufgrund der Hartz-Gesetze bereits zum Buhmann der Nation geworden war, folgte 2005 – wie im Schlusskapitel geschildert wird - sein Absturz zur Skandalfigur, als er in den Strudel einer Affäre innerhalb des VW-Konzerns geriet, an deren Ende er wegen Untreue und Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde. Vorangegangen war die Entlassung von Mitarbeitern, denen betrügerische Machenschaften zu Lasten von VW nachgewiesen worden waren und die nun "zurückschlugen" und behaupteten, Hartz habe, um sich die Gunst der Betriebsräte zu erhalten, diesen auf Kosten des VW-Konzerns exzessive Lustreisen ermöglicht, und sich auch selbst auf Kosten von VW amüsiert. Dies wird von Hartz vehement bestritten, und dass er sich durch die Zahlung von Sonderboni an den Betriebsratsvorsitzenden strafbar gemacht habe, war ihm seinerzeit, wie er betont, nicht bekannt. Letztlich ist aber für Hartz die endgültige Vernichtung seiner Person durch die Medien, der vollständige Rufmord, infolge der VW-Affäre noch gravierender als die Verurteilung. Dass er in seinem Leben einen solchen absoluten Tiefpunkt erreichen konnte, nachdem ihm eine äußerst eindrucksvolle Karriere gelungen war, ist seiner Meinung nach auf eigenes Versagen zurückzuführen, aber auch darauf, dass er sich mit seinen Ansichten und Vorstellungen sowie den Projekten, die er in Angriff genommen habe, nicht nur Freunde geschaffen hätte.

Bewertung

Das Buch "Peter Hartz, Macht und Ohnmacht" zeigt, dass die Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes, die die von Hartz geleitete Kommission vorgelegt hatte, nur Stückwerk geblieben und wichtige Details sogar in ihr Gegenteil verkehrt worden sind, und zwar, weil hier zu viele mitreden und dabei auch noch ihr "parteipolitisches Süppchen kochen" wollten. Mich hat bei der Lektüre des Buches besonders betroffen gemacht, dass von der menschenfreundlichen Einstellung gegenüber den Arbeitslosen, die Peter Hartz an den Tag legt und die wohl von seinem positiven Menschenbild herrührt, nichts, aber auch gar nichts geblieben ist. Der Leser erfährt aber auch, warum die eigentlichen Absichten des Peter Hartz von den dafür Verantwortlichen überhaupt torpediert werden konnten. Ein wichtiger Faktor waren hier die Machtverhältnisse in Deutschland in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie begrenzt zu diesem Zeitpunkt die Macht des Bundeskanzlers war. Wenn man diese äußeren Umstände sowie die Fehleinschätzungen und Irrtümer des Peter Hartz einmal ausklammert und sich mit seinen originären Absichten und Motiven beschäftigt und mit den Projekten, die er verwirklicht hat - in dem Buch wird dies alles ja ausführlich geschildert - gewinnt man den Eindruck, dass die Hartz-Gesetze der eindrucksvollste Reformansatz der deutschen Nachkriegsgeschichte hätten werden können. Das heißt: Nach der Lektüre des Buches ist man davon überzeugt, dass die Arbeitslosen, wenn es nach Hartz gegangen wäre, als Kunden der Agentur für Arbeit wirklich zu "Königen" geworden wären - um es ein wenig überspitzt zu formulieren. Im Sommer dieses Jahres hat sich übrigens, wie ich noch hinzufügen möchte, Peter Hartz mit einem Projekt, das sich die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa zum Ziel gesetzt hat, auf der politischen Bühne zurückgemeldet (S. dazu: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/peter-hartz-ist-wieder-da-jetzt-kommt-hartz-v/10089712.html).

Autor seit 11 Jahren
163 Seiten
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