Rezension zu: Till A. Mohr, Kehret zurück, ihr Menschenkinder
Der Autor möchte mit seiner Studie nachweisen, dass der Glaube an Reinkarnation nicht im Widerspruch zum Christentum steht, sondern vielmehr ein Kernelement des christlichen Glaubens darstellt.Ursprung und Verbreitung des Glaubens an die Reinkarnation
Zunächst stellt Mohr klar, dass der Glaube an wiederholte Erdenleben nicht aus dem fernen Osten stammt. Diesen Glauben habe es vielmehr bereits bei Naturvölkern gegeben, bei den Mayas, im alten China, sowie bei den indoarischen und indoeuropäischen Völkern wie den Griechen und den Kelten. Im römischen Reich habe sich die Lehre von der Wiedergeburt durch den Hellenismus ausgebreitet, insbesondere durch die geistige Strömung der Gnosis bzw. des Manichäismus. Auch im Judentum sowie im Islam, vor allem bei den Schiiten, gebe es Vorstellungen von einer Wiedergeburt.
Im frühen Christentum standen, wie Mohr zeigt, der Übernahme des Glaubens an die Reinkarnation andere Lehren entgegen. Aber dennoch hätten frühe Kirchenväter wie Origines und Clemens von Alexandrien den Glauben an die Reinkarnation vertreten. Von den Reformatoren des Mittelalters habe sich nur Huldrych Zwingli im positiven Sinne über die Reinkarnation geäussert. In der Neuzeit wären demgegenüber viele grosse Denker Anhänger der Lehre von der Wiedergeburt gewesen. Mohr nennt hier explizit Giordano Bruno, der 1600 als Ketzer verbrannt wurde, Immanuel Kant, Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin, Arthur Schopenhauer, Wilhelm Busch, Hermann Hesse, Leo Tolstoi, Sören Kierkegaard.
Mohr setzt sich in diesem Zusammenhang auch auseinander mit den Vorstellungen von der Wiedergeburt, wie sie in der Anthroposophie Rudolf Steiners, in der New-Age-Bewegung und im Spiritismus bzw. Spiritualismus oder auch Geistchristentum zu finden sind. Grundsätzlich kommt man aber – so Mohr - wenn man sich mit Reinkarnation beschäftigt, nicht an der Frage vorbei, ob es ein Leben nach dem Tod, eine Postexistenz, gibt
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Postexistenz
Mohr verweist auf eine Reihe von wissenschaftlichen Werken, die seiner Meinung nach bei der Erforschung eines möglichen Lebens nach dem Tod Meilensteine gesetzt haben. Das erste Werk ist der Bericht des Pfarrers Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) über wiederholte Begegnungen mit seiner früh verstorbenen Frau. Weiter erwähnt Mohr die in der Zeit des 1. Weltkriegs von dem dänischen Domprobst von Roskilde Hans Martensen-Larsen angelegte Sammlung von glaubwürdig bezeugten, übersinnlichen Wahrnehmungen und Erlebnissen im Zusammenhang mit dem Tod.
Eine noch weit wichtigere, für die Erkenntnis vom Leben nach dem Tod grundlegende Arbeit stellt für Mohr das 1936 bzw. 1939 erschienene, dreibändige Werk "Das persönliche Überleben des Todes" des Parapsychologen Dr. Emil Mattiesen da. Von besonderer Bedeutung sind für Mohr auch die interkulturelle Erforschung der Sterbebettvisionen von über tausend Patienten in den USA und Indien durch Karlis Osis und Erlendur Haraldsson und der Bericht über Nahtoderlebnisse, der von dem Chefarzt der von Bodelschwingschen Anstalt Bethel und Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Tübingen Eckart Wiesenhütter 1974 vorgelegt wurde.
Abschliessend verweist Mohr auf die bahnbrechenden Arbeiten der Sterbeforscher und Vertreter der These eines Lebens nach dem Tod Elisabeth Kübler-Ross, George Ritchie, Raymond A. Moody und Michael Sabom, wobei Sabom seiner Meinung nach mit dem spektakulären Fall "Pamela Reynolds" den glänzenden, bisher noch fehlenden Schlussstein in der Argumentation gesetzt habe, dass die Nahtoderlebnisse hinsichtlich ihrer Transzendenzerfahrungen keine Projektion des Gehirns darstellen und letztlich überhaupt nicht durch physikalisch-chemische Ursachen erklärbar sind.
Zum Verhältnis von Leib, Seele und Geistleib
Menschen mit Nahtoderlebnissen hatten – so Mohr - einen zwar nur kurzen, aber eindrücklichen Einblick in die transzendente, geistige Welt, die uns unsichtbar umgibt und die die Heimat unserer Seele ist. Und die Seele sei unsterblich, weil sie Geist von Gottes Geist ist. Das heisst: Weil Gott ewig ist, kann dessen Geist in uns gar nicht mit dem Sterben zugrunde gehen, darum muss es ein Leben nach dem Tod geben.
Grundsätzlich sind – so Mohr - Leib und Seele des Menschen verbunden mit einem geistigen Band, den die Bibel "silberne Schnur" nennt (Prediger 12,6). Solange diese Verbindung besteht, könne die Seele noch in den Körper zurückkehren, und es bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, einen Sterbenden zu reanimieren. Sobald aber die "silberne Schnur" zerrissen ist, seien alle Reanimierungsversuche vergeblich, sei der irdische Tod definitiv eingetreten. Daraufhin zerfalle der irdische Leib, während die Seele in der geistigen Wirklichkeit unserer mehrdimensionalen Welt weiterlebe.
Und zwar werde die Seele wahrgenommen mit einer feinstofflichen Gestalt, dem Geistleib, für den materielle Wände oder Gegenstände kein Hindernis darstellen. Dabei entspricht dieser Geistleib, wie Mohr betont, bis in die kleinsten Einzelheiten und persönlichen Eigentümlichkeiten hinein der Gestalt des materiellen Körpers. Allerdings sei der Geistleib im Gegensatz zum materiellen Leib heil, ganz und schmerzfrei.
Postexistenz und Präexistenz
Wenn man – so Mohr - das betrachtet, was das Alte und das Neue Testament über das Weiterleben der Seele nach dem Tod berichten, insbesondere aber was Christus darüber lehrte, würde man erstaunt feststellen, dass die Ergebnisse der modernen Sterbeforschung (Thanatologie) damit in entscheidenden Punkten übereinstimmen.
Wenn es aber ein Leben nach dem Tod, die Postexistenz, gibt, muss es Mohr zufolge auch ein Leben vor der Geburt, die Präexistenz, geben. Und zwar würde im Alten und im Neuen Testament die Lehre von der Präexistenz menschlichen Lebens vielfach bezeugt, wobei die Präexistenz Jesu, von der im Neuen Testament oftmals die Rede ist, eben nicht exklusiv zu verstehen sei, da der als Mensch geborene Jesus der Massstab für die Erkenntnis des Menschen überhaupt sei. Das heisst: Wenn Jesus wirklich auch wahrer Mensch war, dann ist seine Präexistenz – so Mohr - der Beweis dafür, dass sie auch für alle anderen Menschen angenommen und vorausgesetzt werden muss.
Reinkarnation und Auferstehung in das Reich Gottes hinein
Es muss aber Mohr zufolge deutlich unterschieden werden zwischen dem Leben nach dem Tod im Allgemeinen und der Auferstehung in das Reich Gottes im Besonderen, die Jesus Christus durch seine Auferstehung ermöglicht habe. Das heisst: Ein Leben nach dem Tod habe es für alle Menschen aller Zeiten gegeben, auch schon vor dem Kommen Christi in die Welt. Die Tore des Paradieses bzw. Himmels seien aber bis dahin verschlossen gewesen, Endstation der Seelen war, wie Mohr betont, die "Scheol", das Totenreich. Von dort habe der Geist nur durch Wiedergeburt in einem neuen Leib, also durch Reinkarnation, ins menschliche Leben zurückkehren können.
Folglich gibt es für Mohr auch eine bestimmte Ursache der Reinkarnation, aus der sich wiederum ihr Sinn und ihr Ziel ergeben. Das heisst: Nachdem die von Gott ursprünglich als reine Geister erschaffenen Seelen zum Teil von Luzifer verführt worden sind und daraufhin von Gott bzw. Christus abgefallen waren, nachdem aber auch der Versuch einer rein geistigen, nicht-reinkarnatorischen Rückkehr zu Gott über das Paradies gescheitert war, habe Gott die materielle Welt samt der Erde erschaffen, damit die nun in sterblichen Menschen verkörperten Seelen sich in verschiedenen Erdenleben bewähren können, wobei die Wiedergutmachung von Schuld im Mittelpunkt stehe.
Zur Bedeutung des Karma-Gesetzes
Die Vorstellung, dass die Reinkarnation der Wiedergutmachung von Schuld dient, verweist für Mohr darauf, dass dem im Buddhismus und Hinduismus zentralen Karma-Gesetz auch in einer christlichen Reinkarnationslehre eine besondere Bedeutung zukommt. Denn weil das Karma-Gesetz auf dem Grundsatz von Ursache und Wirkung beruhe, stelle es einen fundamentalen Bestandteil der göttlichen Weltordnung dar.
Das Karma-Gesetz ist – so Mohr - auch gleichbedeutend mit dem göttlichen Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit. Und es gelte nicht nur für das ungerechte, den Willen Gottes verfehlende, böse, schuldhafte Verhalten des Menschen, sondern ebenso für das gute, gerechte, dem Willen Gottes entsprechende. Exemplarisch dafür stünden die Aussage Jesu, dass alle, die zum Schwert greifen, durch das Schwert umkommen werden (Matthäus 26,52) sowie die Aussage des Apostels Paulus: "Was der Mensch sät, das wird er auch ernten!" (Galater 6,7). Insgesamt gilt hier für Mohr die von Jesus aufgestellte "goldene Regel": "Behandelt Eure Mitmenschen in allem so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt. Das ist es, was das Gesetz und die Propheten fordern" (Matthäus 7,12).
Der grosse Unterschied zum östlichen Verständnis des Karma-Gesetzes besteht für Mohr darin, dass es nicht automatisch wirkt, sondern dass Gott es in Weisheit, Gerechtigkeit und Güte strafend, belohnend und letztlich immer zum Heil des Menschen und aller Geschöpfe anwende. Das heisst auch: Wenn ein Leiden karmisch bedingt ist, so leidet doch ein jeder nur für das, was er selber verschuldet hat. Niemand müsse die Schuldlast eines anderen (etwa Adams und Evas) erben und tragen.
Gottes Heilsplan
Für die kirchliche Normaltheologie steht es, wie Mohr betont, ausser Frage, dass am Ende der Welt Christus wiederkommt zum Gericht und einerseits die Gläubigen gerettet und andererseits die Ungläubigen auf ewig verdammt werden. Mit dieser Vorstellung von der ewigen, d.h., endlosen Bestrafung oder Verdammung bestimmter Menschen durch Gott würde aber, wie Mohr betont, der Heilswille Gottes, der beinhaltet, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, in sein Gegenteil verkehrt und die Erlösung durch Christus zunichte gemacht. Denn: Wenn Christus, der doch für alle gestorben ist, damit in ihm alle lebendig gemacht werden, wie Paulus lehrt, nur für einige wenige die Erlösung vollbracht hätte, dann wäre – so Mohr - sein Kreuzestod, von jenen Ausnahmen abgesehen, umsonst und vergeblich gewesen. Er wäre am Kreuz gescheitert, Satan hätte gesiegt.
Insofern sei das ursprüngliche, biblisch begründete Karma-Gesetz unvereinbar mit der später entwickelten Vorstellung unendlicher Qual und ewiger Verdammnis, die die Sünder ereilen würden. Durch die wiederholten Erdenleben werde vielmehr nicht nur einigen wenigen, sondern allen die Rückkehr zu Gott ermöglicht. Und zwar muss sich die Seele in ihrer Geistleiblichkeit - so Mohr - nach dem irdischen Leben vor Gott verantworten und wird so oft wiedergeboren, bis sie zu der Vollendung gelangt, die die endgültige Heimkehr zu Gott ermöglicht.
Ferner sei das "Weltgericht" kein Ereignis, das erst – wie es die etablierte Theologie lehrt - in ferner Zukunft zu erwarten sei, sondern Jesus habe das Weltgericht schon längst im Zusammenhang mit der Erlösung durch seinen Sieg über die Mächte des Todes durchgeführt.
Besonders bemerkenswerte Aussagen in Til Mohrs Reinkarnationslehre
- Es gibt keine Erbsünde.
- Jesus ist bereits am Karfreitag unmittelbar nach seinem Tod am Kreuz wieder auferstanden, also in die andere Welt des Paradieses eingetreten und aus ihr heraus erschienen, so wie Engel erscheinen, die aus dem Geistigen heraus sichtbar werden und dabei ihren Geistleib verdichten, also materialisieren und danach wieder ins unsichtbare Geistige zurückkehren. Ausserdem ist Jesus von Karfreitag bis Ostermorgen in seinem letztlich siegreichen Kampf gegen die Mächte des Todes und der Finsternis sehr aktiv gewesen.
- Mohr teilt die heute gängige Sicht der Evolution des materiellen Lebens auf der Erde hinsichtlich der zeitlichen Aufeinanderfolge der einzelnen Arten über die Jahrmillionen hinweg, aber seiner Meinung nach wird die erstaunliche Stabilität der Artgrenzen zu wenig beachtet. Ferner habe es bei der Evolution im Tierreich immer wieder abrupte Übergänge und grosse Qualitätssprünge bei der Weiterentwicklung der Arten gegeben, die so komplex waren, dass sie nicht zufällig erfolgt sein können, was umso mehr noch für die Entstehung neuer Arten gelte. Hier wird also für Mohr das schöpferische Eingreifen Gottes sichtbar. Ausserdem erfordert jede höhere Form des Lebens bzw. der Lebewesen eine entsprechend höhere Form materieller Körper. Und durch deren Belebung und Beseelung wohnt die kontinuierliche geistige Evolution der stufenweisen biologischen Evolution inne und gibt ihr die innere Dynamik und von Gott gewollte sinnvolle und zielgerichtete Kraft. Insofern vollzieht sich die eigentliche Höherentwicklung oder Evolution im Geistigen.
- Im Gleichnis vom verlorenen Sohn macht Jesus – so Mohr – deutlich, dass es sich bei den beiden Söhnen, über die hier berichtet wird, um sich selber als Sohn Gottes handelt und bei dem anderen – verlorenen - Sohn um den ursprünglichen Lichtträger, der zum Widersacher wurde, also um Luzifer.
- Eine wesentliche Erkenntnis der wissenschaftlichen Erforschung der materiellen Welt in der Neuzeit lautet – so Mohr -, dass die Wirklichkeit der materiellen Welt einschliesslich des irdischen Lebens in seiner Gesamtheit in fundamentaler Weise von der Struktur der Kreisbewegung geprägt ist. Da es aber bei diesem Kreislauf niemals eine Wiederkehr des Gleichen gibt, sondern einen beständigen Fortschritt, müsste man Mohr zufolge eher von einer Spiralbewegung sprechen, und das beste Beispiel dafür ist für ihn die Reinkarnation.
- Die in die Kreisstruktur der materiellen Schöpfung eingebettete Spiralbewegung der Reinkarnation alles irdischen Lebens aber musste deshalb geschaffen werden, um den von Gott abgefallenen Geistern letztendlich die Rückkehr zu Gott zu ermöglichen, nachdem sie auch im Paradies versagt hatten. Das bedeutet Mohr zufolge auch, dass das Paradies ein geistiger Ort war und somit auch der Sündenfall im Paradies der materiellen Schöpfung vorausgegangen ist.
- Daraus müsste man die Schlussfolgerung ziehen, dass, da das materielle Universum vor ca. 14 Milliarden Jahren entstand, der Sündenfall vor so langer Zeit stattfand. Das ist sicherlich schwer vorstellbar, aber die logische Konsequenz aus der von Mohr begründeten christlichen Reinkarnationslehre! Dazu Mohr wörtlich: "Die vollkommenen Welten des Reiches Gottes in ihrer das materielle Universum bei weitem überragenden Grossartigkeit waren längst vor der materiellen Schöpfung da und damit auch vor dem Menschen." Das würde auch bedeuten, dass irgendwann die Erde und das Universum vergehen werden, das Reich Gottes aber nicht. - Auf jeden Fall lohnt es sich meiner Meinung nach, über all das mal gründlich nachzudenken.