Sadie Jones: "Jahre wie diese" – Rezension des Romans
Die britische Autorin hat nun einen Theaterroman vorgelegt, bei dem die Liebe etliche Irrwege geht. Gelungene Milieuschilderungen in England Anfang der 70er-Jahre.
Sadie Jones
© Deutsche Verlags-Anstalt
Wie füreinander bestimmt
Was den Aufbau des Romans anbelangt, steuert er auf das Schicksal zweier Personen zu: Luke und Nina, deren Vergangenheit durch Rückblenden zurückgeholt wird. Luke, der mit einem trunksüchtigen Vater und mit einer in der Nervenheilanstalt dahinvegetierenden Mutter geschlagen ist, zeigt seinen Eltern gegenüber trotz seiner egomanischen Aufwallungen erstaunlich viel Milde und Geduld. Nina ist fragil und sensibel und steht unter der Fuchtel ihrer Mutter, die ihr keinen Raum zur Entfaltung lässt. Wie sie zur Schauspielerei gerät, ist fraglich: "Und damit stand fest, dass Nina, für die jede Zurschaustellung eine Qual war, sich ebendiese zum Beruf machen würde." Was dann geschieht, ist nur ein Wechsel von Knast zu Knast, sie verlässt ihre Mutter und heiratet den Theaterproduzenten Tony, der von ihr sexuelle Unterwerfung fordert und sich auf den "jungfräulichen Teil" der Frau kapriziert. Trotz der intensiven Rückblicke auf Kindheits- und Jugenderlebnisse erklären diese Passagen nichts über den weiteren Werdegang von Luke und Nina. Das, was sie schließlich geworden sind, lässt sich nicht durch aus der Adoleszenz herrührende, nette und eindringliche biografische Persönlichkeitsanalysen herleiten. Nur eins scheint klar zu sein: Dass die beiden ein Paar werden.
Verschiedene Geschmacksrichtungen: Sexuelle Differenzen
Wie das geschieht, ist eine der großen Leistungen des Romans. Als sie sich zum ersten Mal sehen, "geschieht" mit beiden etwas, das ein dumpfes, aber drückendes und verlockendes Gefühl hervorruft. Sadie Jones beginnt jetzt nicht den Fehler, sich auf die Innerlichkeit zu verlegen und die jeweiligen Seelenregungen bloßzulegen. Ihre Sprache ist zwar manchmal personal gebunden, aber sie bleibt mehr an der Oberfläche des Geschehens haften und vermeidet (Tiefen-)Psychologie. Die Annäherung geschieht langsam, vom regelmäßigen Auflauern vor dem Theater zur Garderobe bis hin zum Bett, wo Nina einen rauen Ehemann betrügt, der sich gelegentlich auch homosexuelle Erfrischungen gestattet. Als sich der Leser allmählich auf ein dauerhaftes Verhältnis einrichtet, ereignet sich das Unerwartete: Nina verlässt Luke, und zwar wegen erotischen Unvermögens. Von Tony gewohnt, hart rangenommen zu werden, findet sie urplötzlich Geschmack an dieser etwas bizarren Variante und fordert vom verblüfften Luke das Gleiche. Aber der versagt. Erloschen ist die Glut, zerstoben die Liebe, und das wegen einer einmaligen Angelegenheit. Hier ist wohl Sadie Jones gar nichts mehr eingefallen, also musste irgendein halbwegs plausibler Vorwand für die Trennung herhalten. Bei Luke klingt da so: "Alles hatte so klar geschienen, so vertraut. Als sei der Pfad vom Schicksal für sie bereitet worden...Die Vision hatte sich aufgelöst. Nichts war geblieben. Sie war nicht diese Jungfrau. Er nicht dieser Heilige. Sie wollte nicht gerettet werden."
Buchcover
© Deutsche Verlags-Anstalt
Ein unerwartetes Glück
Als Luke zwei Jahre später in New York zur Premiere seines neuen Dramas auftaucht, hat er sich nach einer psychischen Rekonvaleszenzzeit recht gut erholt. Verschroben wie er ist, halten ihn wie immer seltsame Motive davon ab, zur Premiere zu erscheinen. Zum Glück ist Leigh zur gleichen Zeit in der Stadt - sie hat einen Auftritt in einer Premiere – und in Luke glimmt wieder etwas von der alten platonischen Liebe zu ihr auf. Dieses Gefühl potenziert sich ruckartig, bis es bei ihm einschlägt und er werbend vor ihr steht wie ein demütiger Hund. Ein hastiges Finale, überraschenderweise kommt doch noch en passant ein vielversprechendes Glück zustande, das leider ein bisschen angeklebt wirkt. Aber trotz besagter Misshelligkeiten, trotz der überflüssigen Details und weitschweifigen Marginalien ist Sadie Jones ein lesenswertes Buch gelungen, das schnell zu einem Lesesog führt. Nicht die Darstellung von Swinging London war ihr Ziel, sondern die Illustration des Theaterlebens zu dieser Zeit. So ist ein Theaterroman entstanden, in einem Stil, der gleichmäßig wie ein Fluss dahinzieht, mit leichter Distanz geschrieben, ohne ins Trunkene, Schwärmerische oder Weihevolle abzugleiten. Die Figuren sind schon deshalb interessant, weil sie ein obsessives Verhältnis zum Theater haben.
Sadie Jones: Jahre wie diese. 2015 Deutsche Verlags-Anstalt, München. 414 Seiten.
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)