Inhalt der Kriminalgeschichte: Der soziale Abstieg des Christian Wolf

Christian Wolf hilft seiner Mutter nach dem Tod des Vaters die Gastwirtschaft "Sonne" zu führen. Früh gibt er sich dem Müßiggang hin und führt ein Lotterleben. Da er wegen seines unangenehmen Äußeren verspottet wird, verwendet er zudem viel Geld für Eitelkeiten und versucht die Liebe Hannchens durch Geschenke zu gewinnen. Die Wirtschaft läuft allerdings nur schlecht, und so bessert er sein Einkommen im Alter von zwanzig Jahren durch Wilderei auf. Sein Nebenbuhler im Freien um Hannchen, der Jagdgehilfe Robert, kommt ihm auf die Schliche. Die Geldbuße verschlingt Wolfs ganzes Vermögen. Völlig verarmt ist er nun zum Wildern gezwungen, wird erneut gefangen und für ein Jahr ins Zuchthaus gesteckt. Nach seiner Entlassung will er ehrlich arbeiten, doch stellt ihn niemand mehr ein. Robert überführt ihn ein drittes Mal des Wilddiebstahls.

Nun wird Wolf gebrandmarkt und zu drei Jahren Festungsarbeit verurteilt. In der Kerkerfeste verderben ihn seine Mitgefangenen vollends, seine Rachsucht und sein Hass auf die Gesellschaft wachsen. Wieder in Freiheit meiden ihn selbst die Kinder seiner einstigen Heimatstadt. Seine Mutter ist tot, das leichtfertige Hannchen von der Syphillis gezeichnet. Hatte er früher aus Leichtsinn und Notwendigkeit gesündigt, so tut er es nun aus Vorsatz. Er wildert, lässt das Wild meist verwesen und erschießt eines Tages von Rachegelüsten übermannt den Jäger Robert.

Der Räuber Sonnenwirt – ein Verbrecher aus verlorener Ehre

Von seiner eigenen Tat entsetzt flieht er über die Landesgrenze und trifft im Wald auf einen Räuber. Nachdem der teuflische Fremde bei einem gemeinsamen Trunk erfährt, dass er den berüchtigten Sonnenwirt vor sich hat, führt er ihn begeistert mit sich. In einem an die Hölle erinnernden Abgrund liegen einige Hütten versteckt. Die dort lebenden Räuber nehmen ihn als einen der ihren auf und ernennen ihn zu ihrem Anführer. Bald verbreitet sein Name Angst und Schrecken. Nach einem Jahr erkennt er jedoch die Schattenseiten des Räuberlebens: Hunger, Neid und Argwohn bestimmen den Bandenalltag, Wolf lebt in ständiger Furcht um sein Leben und wird von Gewissensnöten geplagt. Sein Menschenhass richtet sich nun gegen ihn selbst. Reuig hofft er auf die Möglichkeit einer Umkehr, seine Gnadengesuche an den Landesfürsten bleiben allerdings ohne Antwort.

Die Umkehr des Verbrechers – Flucht und Geständnis des Sonnenwirts

Der Sonnenwirt entflieht seiner Bande und fasst den Entschluss, beim preußischen König in den Soldatendienst zu treten. Den erfahrenen Torwächter einer Stadt erfüllt der Anblick des Fremden allerdings mit Misstrauen. Der Richter erkennt seinen gestohlenen Pass als echt an, Wolf hält seine Freundlichkeit jedoch für eine Falle: Mitten in einer Menge Schaulustiger gibt er seinem Pferd panisch die Sporen. Die Flucht endet in einer Sackgasse, er wird übermannt und vor den Richter geführt. Barsch befragt streitet Wolf jegliche Schuld ab und muss eine Nacht im Turm verbringen. Als er erneut vor dem Richter steht und dieser ihm mit Respekt begegnet, gesteht er ihm um Milde bittend seine wahre Identität: "Ich bin der Sonnenwirt."

Interpretation: Verlorene Ehre als Ursache von Verbrechen

"Der Verbrecher aus verlorener Ehre" stellt eine Kriminalgeschichte im Sinne August Gottlieb Meißners dar, weist im Unterschied zu anderen Texten des Genres jedoch ein größeres Maß an Fiktionalität auf. Literaturgeschichtlich ging die Kriminalgeschichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus juristischen Fallsammlungen hervor. Sie versuchte auf die Ursachen einer Tat einzugehen und dem zuvor verteufelten Verbrecher dadurch ein menschliches Antlitz zu geben.

Friedrich Schiller – Kritik an Gesellschaft und Justiz

Dies will auch Schiller in seiner Erzählung: Fehlende väterliche Autorität, Spott und Ablehnung der Umwelt sowie Verirrungen in der Liebe sollen im Fall des Christian Wolf den Weg zum Laster und in die Kriminalität nachvollziehbar machen. Die gegen ihn verhängten Strafen tragen ihrerseits zur Kriminalisierung bei: Durch die Geldbuße wird ihm die Existenzgrundlage entzogen, Brandmarkung und das Stigma der Festungshaft verschließen ihm den Weg zurück in ein geregeltes Leben.
Der Sonnenwirt ist ein lebenslanger Außenseiter, der schrittweise an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird und schließlich über diesen hinausfällt. Als Paria bleibt ihm nur das soziale Umfeld der Räuberbande, in der er (scheinbar) Wärme und Anerkennung erfährt. Schiller stellt somit kritisch eine Teilschuld von Gesellschaft und Justiz heraus.

Der Verbrecher aus verlorener Ehre – sittliche Größe wider Todesstrafe

Gleichzeitig schildert er eine konträr verlaufende innere Entwicklung des Protagonisten, der sich über sein Leiden moralisch emanzipiert. In seiner freien Entscheidung zur Umkehr, dem Willen zur Wiedergutmachung und der Selbstauslieferung erlangt er letztlich sittliche Größe. Allerdings darf der reuige Sünder – hier wird zusätzlich eine Kritik an der Todesstrafe erkennbar – im Unterschied zum biblischen verlorenen Sohn keine Gnade erwarten. Er wird hingerichtet, "aber die Leichenöffnung seines Lasters unterrichtet vielleicht die Menschheit und – es ist möglich, auch die Gerechtigkeit".

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