Schreiben gegen Burn-out
Das Burn-out-Syndrom macht viele Menschen berufsunfähig. Schreiben hilft, diese Krankheit zu vermeiden oder zu lindern.Lob der Langsamkeit
Viele berühmte Maler haben als Studenten Werke großer Vorbilder kopiert. Auf diese Weise würde man am besten lernen zu malen. Nie hat man davon gehört, dass etwa Günter Grass den "Simplicissimus Teutsch" von Grimmelshausen abgeschrieben hätte.
Würde jemand einen Text seines Lieblingsschriftstellers mit der Hand abschreiben, erführe er dabei, nach einer Phase des Unbehagens, eine gewisse Beruhigung. Leidet man an der Schnelligkeit und Flüchtigkeit im Alltag, übt man hier langsames Handeln. Damit wächst die Konzentration auf den Text. Man nimmt ihn mit dem ganzen Körper auf. Tiefer und tiefer dringt der Schreibende in die Vielschichtigkeit der Wörter ein, lässt den Rhythmus auf sich wirken und lauscht dem Klang der Sprache nach, während er sich innerlich den Text diktiert. Er erfährt, dass Schreiben eine schwere körperliche Arbeit ist. Im Gegensatz zu vielen Routineangelegenheiten im täglichen Leben, die schnell abgehandelt werden, erfordert das Abschreiben eines längeren Textes Konzentration, Geduld und Zeit. Man lebt sich in die Sprachwelt eines Buches besser ein, als wenn man es liest. Diese bildet eine Gegenwelt zur täglichen Routine. Zweck der Übung ist das Heraustreten aus dem Bedingungsgefüge, das einen krank macht. Aus einer anderen Position sieht und lebt man das Leben anders, besser seiner Persönlichkeit anepasst.
Schreib dich gesund (Bild: isinor / pixelio.de)
Lob des schriftlichen Plapperns
"Also, ich meine, die Inszenierung der ‚Turandot‘ war gelungen. Der Kalaf sang die hohen Töne mit Bravour …" Ähnliche Worthülsen verbreiten wichtigtuerische Operngänger in den Pausen beim Gläschen Sekt. Die Phrasensprache des Alltags engt Denken und Fühlen ein. Von diesem Korsett der floskelhaften Sprache befreit folgende Übung:
Der Schreibende kritzelt seine Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, Erinnerungen, ohne nachzudenken und auf Rechtschreibung oder Grammatik zu achten, möglichst schnell auf ein Blatt Papier (automatisches Schreiben).
"Die Blume pfeift eine Meodie oine shcön die ich noch Zugspitze gehört gehört gehrt hatte Tön schebn Ferne…"
Diese Übung dauert eine halbe Stunde oder länger, damit der Gewöhnungseffekt eintritt. Weiß der Schreiber nicht weiter, wiederholt er das letzte Wort oder den letzten Satz. Alle Gedanken schreibt er spontan und schnell nieder. Die hier verwendete Sprache ähnelt der Sprache des Traums. Ursprünglich stammt diese Übung aus der Psychotherapie. In Hypnose sollte der Patient alle Einfälle aufschreiben, um das Verdrängte bewusst zu machen. Diese so gewonnenen Sätze sind wie ein Spiegelbild des Menschen. Sie zeichnen seine Seelenlandschaft. Die Geschwindigkeit modernen Lebens lenkt vom Blick auf tiefere seelische Bedürfnisse ab. Durch automatisches Schreiben kommen sie wieder ans Tageslicht.
Hinführende und wegführende Texte
Nach dem spontanen Niederschreiben des Materials aus dem Unbewussten gestaltet man daraus einen neuen Text. Zwei Möglichkeiten zeigt Drawert1 auf: Der hinführende Text bringt den Leser direkt zum Ziel. Er verwandelt das spontan gewonnene Material in eine Handlung mit Spannungskurve, mit Konflikten, die gelöst werden, und mit Personen, die sich verändern. Diese Geschichte leist jeder gerne.
Der wegführende Text umspielt die Launen des schreibenden Subjekts. Er spielt mit der Sprache, beleuchtet narzisstisch den Erzähler und seine Situation, springt assoziativ von einem Punkt zum nächsten, gibt sich verbergend, wird mystisch.
Beide Arten sollen ausprobiert werden. Die wegführende Methode gleicht mehr dem automatisierten Schreiben. Die hinführende bedarf besonderer Anstrengung, den logischen Ablauf penibel zu bedenken. Ideal wäre die ausgewogene Kombination beider.
Zen-Mountain (Bild: 8678138)
Gewonnene Freiheit
Was gewinnt ein Schreiber, der sich dieser schwierigen und zeitraubenden Tätigkeit widmet? Er gewinnt größere Freiheit in der Verwendung von Sprache und bei der Gestaltung seines Lebensentwurfs. "Erzähle dich selbst" (Dieter Thomä2), hinter diesem Motto steckt die Überzeugung, dass die im inneren Monolog erzählte Lebensgeschichte künftige Handlungen vorherbestimmt. Ändert man die innere Erzählung, ändern sich die Handlungen. Mit dieser Freiheit entdeckt der Schreiber andere Lebensdimensionen, die ihn aus dem krankmachenden Milieu zeitweise oder für immer entfernen.
Das Spiel mit der Freiheit
Wenn er sich von traditionellen Verhaltensmustern gelöst hat, kann der Autor mit Möglichkeiten spielen.
"Herr F. ging die Straße entlang zum Gasthaus ‚Zur Post‘, öffnete die Tür und trat ein."
Diese sechzehn Wörter sollen auf genau 100 Wörter in einem Satz erweitert werden. Was geschieht? Ein Protokoll wird zur Erzählung. Ein weites Feld von Möglichkeiten eröffnet sich: Herr F. kann bedrückt einen inneren Monolog über seine Eheschwierigkeiten führen, er kann einem Bekannten begegnen, er kann in ein Kaufhaus gehen... Aus der nüchtern Aufzählung von Vorgängen wird ein lebendiges Bild von der Lebensweise des Mannes F.
Diese drei Übungen wirken erst bei mehrmaliger Wiederholung. Aus der Bedrückung durch die Einseitigkeit modernen Lebens gräbt man sich wie ein Maulwurf zu Alternativen durch. Burn-out entsteht, weil andere Menschen einem erzählen, wie man das Leben zu führen hat. Durch das methodische Schreiben erzählt man sich sein Leben selber und gestaltet es nach eigenen Vorstellungen. Burn-out kommt dann darin nicht vor. Das ist der Sinn dieser kleinen Übungen zum Schreiben.
Anmerkungen:
1Drawert, Kurt: Schreiben. Vom Leben der Texte, München (Beck) 2012, S. 4 f.
2Thomä, Dieter: Erzähle dich selbst. Lebensgeschichte als philosophisches Problem, München (stw) 1998, S. 10
Bemerkung:
Diese Übungen sind für alle Menschen heilsam. Sie können eine Therapie durch einen Arzt nicht ersetzen.
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)