Serienmord und Kannibalismus - Interview mit Petra Klages
„Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder und "Serienmord und Kannibalismus in Deutschland" - Petra Klages arbeitet als Therapeutin mit Pädosexuellen, Mördern, Serienmördern.Serienmord und Kannibalismus in Deutschland (Bild: Petra Klages)
Petra Klages - Kriminologin, Pädagogin und Therapeutin
Petra Klages ist Kriminologin, Pädagogin und Therapeutin. Sie beschäftigt sich mit der Entstehung verschiedener Arten abweichenden Verhaltens, hierbei legt sie Schwerpunkte auf gewalttätige Kriminelle bis zu sexuell motivierten Serienmördern.
Sie arbeitet seit mehreren Jahren mit Pädosexuellen, Mördern, Serienmördern und dem Kannibalen Armin Meiwes. Sie ist darüber hinaus auch Autorin, einige der "Nebenprodukte" ihrer Arbeit, finden sich in ihren Büchern, wobei Sie großen Wert auf Opferschutz und Persönlichkeitsrechte legt und weitgehend Namen und Daten anonymisiert.
2009 begann sie mit Armin Meiwes, der als der Kannibale von Rothenburg bezeichnet wird, zu arbeiten; seit mehreren Jahren arbeitet sie mit zwei sadistischen Serienmördern, einer davon ist Frank Gust, der so genannte Rhein-Ruhr-Ripper. Seit Ende 2010 analysiert sie ebenfalls einen Doppelmörder, der seine Mutter und Großmutter tötete.
Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch "Brieffreundschaft" mit einem Serienmörder und im Juni dieses Jahres veröffentlichte Petra Klages das Buch Serienmord und Kannibalismus in Deutschland.
Autorin, Kriminologin, Pädagogin und Therapeutin (Bild: Petra Klages)
Interview mit Petra Klages
Frau Klages, an wen richten Sie sich mit ihrem neuen Buch?
P. Klages: An alle, die sich für reale Schwerstkriminalität, für die Hintergründe und Ursachen der Taten, die zugrunde liegenden Phantasien und für die Lebensläufe der Kriminellen interessieren. Das Buch ist verständlich verfasst und richtet sich an ein breites Publikum und auch Fachkräfte unterschiedlicher Disziplinen. Auf unnötig blutrünstige Schilderungen wird zwar "weitgehend" verzichtet, bestimmte Details können jedoch nicht ausgeblendet werden, von daher enthält mein Buch durchaus auch Schilderungen realer Grausamkeiten und ist nichts für eher "zart Besaitete".
Ein Schwerpunkt meiner eigentlichen Arbeit betrifft die Entwicklung zum Kriminellen, aus diesem Grunde werden Lebenskarrieren genauer beschrieben. Ein Mensch ist nicht "von jetzt auf gleich" ein Mörder oder Serienvergewaltiger, es gibt "Symptome" in der Entwicklung der späteren Intensivtäter die beachtet werden müssen.
Viele Täter werden bereits früh - in der Kindheit oder Jugend - zu Opfern extremer Gewalt, teilweise handelt es sich um intrafamiliale Gewalt, sexueller Missbrauch ist besonders traumatisierend und beeinflusst die Entwicklung späterer Täter merklich. Die sadistischen Mörder mit denen ich zu tun habe, sind Opfer schwerster sexueller Gewalt gewesen, sie konnten die erlittene Gewalt nicht verarbeiten, ihre Psyche wurde schwer verletzt, sie "erprobten" die späteren grausamen Taten an Menschen im Vorfeld an unglaublich vielen unterschiedlichen Tieren. Auch Frank Gust wurde schwer sexuell missbraucht und gefoltert, das schädigte seine kindliche Psyche dauerhaft und beeinflusste seine späteren Tatmuster, den Modus Operandi und auch seine Signatur. Er war einer der Pferde-Ripper.
Von extremer Gewalt betroffene Kinder isolieren sich häufig von ihrer Umwelt, werden beispielsweise zu notorischen Lügnern, fangen an, einzunässen oder Brände zu legen; einige Kinder werden wie Frank Gust, Peter Kürten, Ronny Rieken, Carl Großmann - um den es ebenfalls in meinem Buch geh - Ted Bundy, Jeffrey Dahmer und zahlreichen anderen, zu Tierquälern und töten sie sogar. Das ist sozusagen das "höchste Warnsignal" in der Entwicklung zum späteren Kriminellen. Obwohl die Mehrzahl der Serienmörder angab, auch Tiere zu quälen – hierzu zählt selbstverständlich auch die Sodomie bzw. Zoophilie, wird dieser wichtige Aspekt in Deutschland ignoriert. Das ist mehr als tragisch, denn wenn ein Fall von Tierquälerei ernst genommen wird, angemessen mit dem Kind umgegangen wird und es beispielsweise aus der gewalttätigen Familie genommen und therapiert wird, könnten später schwere kriminelle Delikte am Menschen vermieden werden. Erwachsene Tierquäler fallen schon in eine andere Kategorie und können in vielen Fällen als hochgradig gefährlich eingestuft werden, ihre Taten die häufig sexueller Natur sind, müssen vom Strafgesetzgeber ebenfalls entsprechend sanktioniert werden. Fatalerweise fehlt hierfür in Deutschland die gesetzliche Grundlage.
Tiere dienen unterschiedlichen gewalttätigen Kriminellen offensichtlich als "Probeopfer" für Menschen; sie bluten, leiden und sterben wie wir, sie sind die hilflosesten Kreaturen und "leicht verfügbar". Interessant ist bei dieser Betrachtung auch, dass über 30% der Pädosexuellen ebenfalls Sodomie verüben. Unverständlicherweise ist die Gesetzgebung in Deutschland gerade bei der Tierquälerei wozu in jedem Fall die Sodomie gehört, überaus defizitär und bedarf dringender Veränderungen. Der Schritt vom tierischen zum menschlichen Opfern ist erschreckend klein. Die Tierrechtsorganisation PETA klärt ebenfalls großflächig über diese Delikte auf, auf diese überaus wichtigen Bereiche gehe ich natürlich in meinen Büchern ein.
Der Titel sagt ja bereits aus, dass es um Serienmorde und Kannibalismus geht. Wie sieht ihre Arbeit mit diesen Tätern aus?
P. Klages: Meine Arbeit besteht aus persönlichen Terminen und Korrespondenz mit den Tätern, ebenfalls sichte ich häufig parallel die Gerichtsurteile, Protokollbände die meist aus tausenden von Seiten bestehen, Gutachten usw. Der längste Brief, den ich in den letzten Jahren erhielt, bestand aus 18 Seiten. Ich benötigte ein ganzes Wochenende zur Bearbeitung. Meine Arbeit besteht also auch aus sehr viel "Schreibtischarbeit", Analysen, Recherchen, das ist auch notwendig, da ich interdisziplinär arbeite d.h. ich beziehe kriminologische, psychologische und pädagogische Aspekte in meine Untersuchungen ein.
Die Termine mit den einzelnen Tätern dauern i. d. R. mindestens 1,5 bis 6 Stunden. Teilweise sitzen wir an einem Tisch in einem großen Besucherraum, was intensive Auseinandersetzungen recht schwierig macht oder in einem separaten, aber dann verglasten und für die Beamten einsehbaren Raum, und bearbeiten die unterschiedlichen Bereiche.
Warum werden Menschen zu Serienmördern? Liegen immer negative Erfahrungen in der Kindheit zu Grunde?
P. Klages: Es gibt immer auslösende Ursachen, Faktoren und Prozesse. Allerdings gibt es nicht "den einen Punkt" im Leben eines Menschen, und er wird plötzlich zum Täter, es sind immer Ursachen – und Faktorenbündel, die versuche ich in meiner Arbeit mit den Tätern herauszukristallisieren, das dauert lange. Meistens sind sehr negative Erfahrungen, also massive Verletzungen der Psyche in der Kindheit und Jugend die Grundlage für abweichendes und späteres kriminelles Verhalten. Aus Gutem entsteht selten Böses, eine schlichte Wahrheit.
Sind Sie bei der Kriminalpolizei angestellt, oder werden Sie von ihr beauftragt?
P. Klages: Ich arbeite selbständig und vorrangig wissenschaftlich; die Kripo kann mich zwar engagieren, aber ebenfalls werde ich von Tätern angeschrieben, die hoffen, dass ich ihnen bei der Aufarbeitung der Ereignisse und der Reflektion behilflich bin. Fachliche Hilfen erhalten die Inhaftierten selten. Zwar steht im Vollzugsplan so mancher Inhaftierter, dass sie regelmäßig psychologisch betreut werden, das "regelmäßig" ist aber sehr dehnbar und besteht durchaus auch nur aus einem Termin innerhalb von 12 Monaten. Das ist natürlich sinn- und nutzlos. Außerdem halte ich Vorträge und bin ich als Dozentin tätig.
Würden Sie einem bestimmten Personenkreis empfehlen ihr Buch nicht zu lesen?
P. Klages: Generell würde ich dringend davon abraten, dass meine Bücher von Kindern oder Jugendlichen gelesen werden.
Was empfinden Sie, wenn Sie mit den Tätern arbeiten?
P. Klages: Das ist ganz unterschiedlich und abhängig von den Themen, die wir bearbeiten. Es gibt zwar immer wieder emotional absolut schockierende Schilderungen aus der Kindheit der Täter oder auch detaillierte Beschreibungen der Tötungen und Folterungen – die ich übrigens fast nie in meiner Literatur aufführe – i. d. R. behalte ich während meiner Arbeit allerdings eine "gesunder Distanz". Empfindungen spielen also keine Rolle, das wäre sicherlich auch kontraproduktiv und würde die Täter hemmen, offen zu kommunizieren.
Manche berufliche Dinge, kann man auch in der Freizeit nicht immer ausblenden. Belasten Sie manche ihrer Arbeiten?
P. Klages: Ja sicher, aber ich versuche neben meiner Distanz auch immer einen entsprechenden Ausgleich zu schaffen. Ich lese beispielsweise jeden Abend vor dem einschlafen Comic-Hefte, am liebsten die Lustigen Taschenbücher und gehe viel mit meinen Hunden spazieren.
In Ihrem Buch kommt auch Armin Meiwes zu Wort.
P. Klages: Wer eignet sich am besten, etwas über das, was passiert ist, zu berichten? Sicherlich generell AUCH unverstellt derjenige, um den es geht. Armin Meiwes schildert innerhalb von vier Kurzgeschichten seine kannibalistisch orientierten Phantasien. Auf uns "Nicht-Kannibalen" wirkt das teilweise natürlich schrecklich bzw. furchtbar, jedoch sind diese Geschichten weitgehend gewaltfrei, ja eher romantisch verklärt. Die Einverleibung eines Menschen setzt Armin Meiwes mit einer tiefen emotionalen Bindung – einer Art Vermählung gleich. Armin Meiwes ist ein sozial kompetenter Mann, im Gefängnis ist er für viele Mithäftlinge ein guter und wichtiger Zuhörer und Ratgeber. Viele wissen nicht, dass Herr Meiwes von seinem Opfer aufgefordert wurde, ihn zu verzehren, es war also eher "eine Tötung auf Verlangen" statt Mord.
Er teilt uns in seinen Schilderungen vieles mit, lässt uns Anteil haben an der Struktur seiner Psyche, seinen tiefen Wünschen und Hoffnungen. Sicherlich sind diese Anteile im Buch insbesondere für Fachkräfte interessant, aber auch allen anderen eröffnen sich ganz andere Welten. Herr Meiwes ist ein sehr guter Literat, er schreibt sehr plastisch und ausdrucksstark. Ursprünglich verfasste er die Geschichten übrigens, um seine Phantasien zu kompensieren; seit 2004 versucht er therapeutische Hilfe zu bekommen um endlich mit seinen kannibalistischen Phantasien umgehen zu können; es entbehrt jeglicher Logik, warum er bis heute keine Therapie erhält. Armin Meiwes wird irgendwann entlassen werden, es empfiehlt sich also zwingend, therapeutisch zu intervenieren. Unsere gemeinsame Arbeit ist da nur eine wirklich kleine Hilfestellung.
Es ist schade, dass so wenige Täter zu Wort kommen und dadurch keine Möglichkeit besteht, uns in die Psyche, in die Entwicklungen hineinzudenken. In meinen Büchern versuche ich einen Ausgleich zu schaffen, die Täter kommen zu Wort. Hier steckt das beste Potential, präventiv zu arbeiten, die Täterentstehung zu verhindern und auch die Ermittlungsarbeit zu optimieren. Das FBI stellte bereits in den 70er Jahren in ihren Studien Parallelen sexuell motivierter Mörder und anderer Gewaltverbrecher dar, das beinhaltet die Chance, schon in der Kindheit anzusetzen und kriminelle Entwicklungen zu verhindern; hier knüpfe ich an - das ist kurz gefasst mein Forschungsbereich und Arbeitsgebiet. Prävention funktioniert aber nur, wenn auch die Allgemeinheit über mögliche Entwicklungsverläufe, Symptome usw. informiert ist und Studien wie Forschungen vorangetrieben werden. Im US-amerikanischen Raum ist man weiter, als wir in Europa, bei uns werden viele Bereiche ignoriert.
Wie kamen Sie zu Ihrer Spezialisierung?
P. Klages: Ursprünglich beschäftigte ich mich ausschließlich mit den Opfern schwerster Gewaltdelikte und den daraus resultierenden Störungen. Im Laufe dieser Arbeit habe ich mich den Tätern zugewendet. Einschneidend war die Konfrontation mit einer jungen Frau, die ab dem 2. Lebensjahr von ihrem Vater vergewaltigt wurde, später war auch ihre Mutter "Mitakteurin", sie hielt die Tochter während der Missbrauchsakte fest. Das Ausmaß von Gewalt war mir unverständlich, es war mir unerklärlich, wie Menschen zu derartigen Grausamkeiten fähig sein können. Ich begab mich sozusagen auf die "Spurensuche", auf die Suche nach Erklärungen für die Handlungsmotive der Täter.
Zeichnung: Selbstportrait von Armin Meiwes.
Das Interview führte Edelgard Kleefisch - Literaturportal Buechertitel.de
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)