"Kein Ding an sich", PhiloFiktion ...

"Kein Ding an sich", PhiloFiktion von Stephan Weiner (Bild: Katti Mieth)

 

 

 

Im Stil dieser brandneuen Erzählform aus Kriminalstory und geisteswissenschaflicher Betrachtung, der "PhiloFiktion” beschreibt Weiner die Verzweiflung seines Hauptcharakters über ein, dem Mord vorangegangenes Wortgefecht zwischen ihm mit dem Opfer und dem sich anschließenden Schlag mit dem verstellbaren Schlüssel (Engländer; laut Wikipedia ein Verstellschlüssel zum Lösen und Anziehen von Sechskant-Schraubverbindungen) aus der Werkzeugsammlung neben ihm. Der Elektriker ist sofort tot.

Kein Ding an sich - neues Werk von ...

Kein Ding an sich - neues Werk von Stephan Weiner (Bild: Katti Mieth)

Achtung Philosophie!

 

 

Nach seinem Debütwerk "Ellenbogenland” über einen frisch von der Uni kommenden Studenten der Geisteswissenschaften im Wirrwarr der Stellensuche legt der Autor nun sein zweites Schriftstück vor, wird mit "Kein Ding an sich” zum Erfinder dieser völlig neuen Erzählform.

 

Aber Achtung: hier kommt die Philosophie auf keinen Fall zu kurz. Gut, wenn Sie wenigstens einen Grundkurs dazu besucht haben oder in der Schule bereits etwas über Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Platon & Co. gehört haben.

Für Nichtwisser ist Weiners Neuveröffentlichung keine leichte Kost, dennoch für alle eine große Bereicherung.

Wagen Sie das Buch!

 

 

Begeben Sie sich in den Wechselstrom zwischen aufwühlendem Tathergang und kopflastiger Analyse eines Mörders rund um seine Tat und seine und anderer Leute Weltanschauungsphilosophien - all das gewürzt mit Zitatender klassischen Philosophen.

Bedarf an tiefgründiger Betrachtung herrscht in diesen Zeiten genug.

"Kein Ding an Sich" PhiloFikton von ...

"Kein Ding an Sich" PhiloFikton von Stephan Weiner (Bild: Katti Mieth)

Definition "Mord” und "Welt”



 

In Weiners neuem Werk geht es um ein Tötungsdelikt in unserer Welt, jenem "Ding an sich”.

Im Wechsel durchziehen Betrachtungen zum Sein und zur Welt und der Mord-Handlungsstrang das handliche Buch.

Und immer wieder versuchen sich Weiners Protagonisten in der Definition von beidem: Tat und Welt.

 

Wikipedia stellt dazu fest:

"Die Welt” bezeichnet all das, was ist. Der Begriff umfasst also nicht Einzelerscheinungen, sondern eine Totalität. Diese Allheit des Vielen in Einem, eine Welt, kann aufgefasst werden als Gesamtheit der bezogenen Objekte und als Ganzes der geteilten Beziehungen.

 

Definition "Der Mord”

 

"Der Mord” steht allgemein für ein vorsätzliches Tötungsdelikt, dem gesellschaftlich ein besonderer Unwert zugeschrieben wird. In der Regel unterscheiden historische und aktuelle Strafrechtssysteme zwischen einer einfachen oder minder qualifizierten vorsätzlichen Tötung und einer besonders verwerflichen Form, nach deutschem Sprachgebrauch dem "Mord" (Wikipedia).

Und weil das in unserer Gesellschaft so definiert ist, beschließt Mörder Morlock nach der Bluttat in seinem Kopf Angst zu haben und sich der Leiche entledigen.

 

Den in Säure aufgelösten Elektriker entsorgt er in der Baugrube des Parkplatzes. Warum sollen nicht Autos auf Bernocks Grab parken.

 

Noch während Morlock seine Tat und deren Verschleierung hin und her wiegt, sie aus allen Winkeln betrachet, tritt ein Bodengutachter auf den Plan - will dort am Hang, am Parkplatz, wohin Morlock die Lorke aus Säure, Fleisch und Knochen gekippt hat, Erdproben nehmen.

Genau an der Stelle, wohin der Täter das Opfer entsorgt hat.

 

 

"Kein Ding an sich" Stephan Weiner

"Kein Ding an sich" Stephan Weiner (Bild: Katti Mieth)

Eine Baustelle – ein Engländer und eine Leiche

 

 

Die Baustelle fordert ihm so einiges ab.

Und Maler Morlock hat den Engländer genommen, den verstellbaren Schraubenschlüssel, der seit ein paar Tagen nutzlos auf dem Tisch liegt und ihm (dem Elektriker Bernock) damit auf die Stirn geschlagen.

Wäre Morlock nicht Maler sondern Gärtner würde er kurzerhand aus der Leiche Rindermulch machen.

 

In seiner Blutlache liegt der Tote nun vor ihm - im nahen Baumarkt findet der Mörder alle Utensilien, um die Leiche verschwinden zu lassen.

Es bleibt ihm keine Wahl, denn eine alles zusammenhängende "Welt”, ein Ding an sich, über die Elektro-Bernock schwadronierte, kann es nicht – nicht – nicht geben!

 

Er, Maler Morlock befindet sich im absoluten Eins mit sich, seinen Trieben, seinen Emotionen, seinen Hormonen und all den anderen chemischen Prozessen seines biologischen und endlichen Körpers. Alles, was er bewusst wahrnimmt, aber in gar keinem Fall eine alles zusammenhängende "Welt”, ein Ding an sich.

 

 

 

 

"Kein Ding an sich" Stephan Weiner

"Kein Ding an sich" Stephan Weiner (Bild: Katti Mieth)

Warum der Elektriker sterben muss

 

 

In des Anstreicher Morlocks Welt darf es keine Emotionen geben, deshalb muss er die Tat verschleiern und das Opfer verschwinden lassen.

Der Grund für den Tod des Elektikers waren dessen emotionale Äusserungen zu Gemeinschaft und Gesellschaft.

Und weil ihm Morlock verbal nicht beikommen konnte, musste er den Elektromann vollständig mundtot machen.

Er, Morlock hält sich selbst für einen geistigen, kognitiven Menschen.

 

Die Gesellschaft ist nur für eine kleine Gruppe von Vorteil. Nämlich derjenigen, die die Gesellschaft aufrechterhalten will, den Unterdrückern, dem Staat, den Behörden und so weiter. Und weil Bernock offensichtlich Teil dieser Unterdrücker sein wollte, oder dies zumindest plante, musste er aufgehalten werden. Zum Wohle einer, wenn auch nur von einem Bruchteil der Menschen bevorzugten Gemeinschaft.

 

Was ihn (Morlock) rasend macht: was er von einem Lebewesen denkt, das es nicht auf die Reihe bringt, von Vernuft zu sprechen und gleichzeitig unvernüftig zu handeln. Der Mensch also, der Moral und Anstand, Pflichtbewusstsein und Disziplin, Gesetze und Strafen predigt, gleichzeitig über seine Triebhaftigkeit nicht hinaus kommt. Etwas was Morlock auch stört. Ach was, stört, rasend machen könnte. Diese ganzen Heuchler. Diese postfaktischen Sklaven ihrer eigenen Lasterhaftigkeit. Morlock weiss, warum er sich zurück gezogen hat. Warum er es unter den Menschen schlichtweg nicht aushält. Der Mensch ist unzuverlässig. Spricht davon moralisch zu sein, Regeln zu leben, Regeln vorzugeben, Vernuft zu leben, weiss aber gleichzeitig, dass er eigentlich unfähig ist, den eigenen Maßstäben gerecht zu werden, Das wäre traurig, wenn es nicht so verachtenswert wäre.

 

 

 

"Kein Ding an sich" Stephan Weiner ...

"Kein Ding an sich" Stephan Weiner - PhiloFiktion (Bild: Katti Mieth)

Die Tat – eine emotionale Handlung

 

 

Da schwing Molock den Engländer hoch, erhöht die Geschwindigkeit, fokussiert einen Punkt zwischen Bernocks Augen und lässt den schweren Schlüssel genau auf diesen Punkt herabfallen.

Ein dumpfes Geräusch ist zu hören. Sonst nichts.

Der Engländer prallt ab und Morlock lässt ihn fallen. Bernock sinkt kerzengerade zu Boden. Blut läuft ihm aus der Wunde auf der Stirn. Es sprudelt auf den Boden. Breitet sich aus.

Morlock ist erleichert. Die Welt des Hasses ist vernichtet.

Allerdings nicht mit Logik, so wie es sich Morlock gewünscht hatte. Sofort setzen tausend reflexive Fragen ein: Gewalt ist Ausdruck des Hasses. Eine Emotion.

Der finale Schlag

 

 

Weil es ihm so vorkam als wolle der Elektriker ihn von seinem eigenen Standpunkt und seiner eigenen Weltanschauung überzeugen, der alles auflösende Griff zum Schaubenschlüssel bis zum finalen Schlag.

Er hätte "Klein beigeben”, es einfach hinnehmen können, als das, was es ist: das Ende einer Debatte, die er drauf und dran war, zu verlieren. Statt dessen ist er aus der Haut gefahren. Man kann sagen, dass ihn jegliches Gerechtigskeitsempfinden verlassen hat.

 

Denn Basis der Gerechtigkeit ist zum großen Teil, besonnen zu reagieren, auch wenn man den Druck verspürt, etwas Ungerechtes zu tun. Es geht einfach um die Beherrschung seiner Triebe, seiner Gelüste, kurz: darum immer "Herr seiner selbst” zu sein. Auch wenn es auf den ersten Blick lächerlich anmutet.

Die Seele hat drei Grundvermögen: Begehren, Mut und Handeln. Und alle drei führen zu besonnenem, tapferem und weisem Handeln. Seine, Morlocks, Seele scheint diese Grundvermögen verloren zu haben.

Mord ist Mord

 

Morlock hat jemandem das Leben genommen.

Eine größere Einmischung in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Menschen dürfte es wohl kaum geben.

Alles nämlich, was im Staate nach Ordung und Gesetz geschieht, bewirkt jegliches Gute: das meiste Ordnungswidrige und schlecht Angeordnete hebt wieder anderes, was wohl angeordnet war, auf (Platon).

 

 

 

Schlagaustausch – Höhepunk: Gefängnis

 

In schneller Abfolge rast die Story dem Höhepunkt zu.

Bis Weiner der Geschichte abermals eine Wende gibt, seinen Leser in einen Wirbel aus Baustelle – Verhör – Gefängnis führt.

Während der Täter seinen Bus verpasst, der ihn zum Verhör bringen soll, scheint ihm dies als eine letzte Geste der Freiheit und des freien Bewusstseins: Im Knast ist das Denken nur noch Zwang.

 

 

Denn es gibt nicht diese eine Welt. Sondern sieben Milliarden Welten, weil sieben Milliarden Bewussteine. Mindestens. Die Welten der Tiere mit Bewusstein kommen noch hinzu. Und falls irgend jemand einmal beweisen sollte, das Pflanzen ein Bewusstein haben, dann die auch noch.

Der Autor

 

Stephan Weiner ist Autor, Filmemacher und Redakteur bei "Die Epilog-Zeitschrift zur Gegenwartskultur".

Seine Texte erschienen im Mosaik, der Zeitschrift für Literatur und Kultur, als Denkzeichen der Volksbühne Berlin, als Kurzprosa im VHV Verlag, als Spoken Word bei books without covers u.a.
Sein Dokumentarfilm "Hier sprach der Preis" lief auf zahlreichen Festivals.

"Kein Ding an sich” von Stephan Weiner ist erschienen im Verlag Edition Fatal.

ISBN Nummer: 978-3-935147-42-2

Quelle: Lektüre "Kein Ding an sich”, kursiv gestellte Textpassagen aus "Kein Ding an sich” übernommen.

Autor seit 7 Jahren
26 Seiten
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