Inhalt: Gustav von Aschenbach und die Reise nach Venedig

Aschenbach reist mit dem Schiff nach Venedig. Auf der Fahrt bemerkt er inmitten einer Gruppe junger Leute einen Greis in jugendlicher Gewandung, in der Hafenstadt angelangt kommt es zu einer seltsamen Begegnung mit einem düsteren Gondoliere. Ein um das andere Mal ist es ihm, als verzerre sich die Welt ins Sonderbare und Fratzenhafte. Nichtsdestotrotz bezieht er ein Hotel am Strand. Unter den Gästen befindet sich ein 14-jähriger polnischer Knabe, der ihm von vollkommener Schönheit zu sein scheint. Aschenbach beobachtet den anmutigen Jungen beim Essen und am Strand. Tadzio wirkt sanft und ernst, seine Schönheit geht mit einer gewissen Kränklichkeit einher.

Da er die drückende Sommerhitze nicht verträgt, entschließt sich der Schriftsteller bedauernd für die Heimkehr. Allerdings wird sein Koffer in die falsche Richtung aufgegeben. Aschenbach kehrt ins Hotel zurück und erkennt, dass Tadzio allein der Grund seines schweren Abschieds war.

Der Knabe Tadzio: Schönheit und Sehnsucht

Der sonst so disziplinierte Geist beobachtet Tadzio und genießt glückselig die müßigen Tage am Strand. Unter dem Eindruck der Schönheit des Knaben entstehen eineinhalb Seiten bald sehr berühmte Prosa. Den Jungen zu berühren und zu grüßen scheitert dagegen an seiner Aufregung – beides hätte zur Ernüchterung führen können. Stattdessen steigert sich Aschenbach in einen Rausch, durchwacht unruhige Nächte und ergötzt sich an Sonnenaufgängen. Eines Abends lächelt Tadzio ihn unerwartet an. Aschenbach flieht überwältigt, wirft sich auf eine Bank und gesteht der Nacht seine Liebe.

Ein dunkles Geheimnis: Die Seuche in der Stadt

Währenddessen reisen immer mehr Deutsche und Österreicher ab, Gerüchte von einer Seuche verbreiten sich in der Stadt. Aschenbach begrüßt die Krankheit als Durchbrechung des Alltags und stellt weiter Tadzio nach. In einem Reisebüro erfährt der Schriftsteller endlich die Wahrheit: Eine indische Cholera grassiert in Venedig und hat bereits viele Todesopfer gefordert. Die Obrigkeit vertuscht diese, da die Geschäfte um keinen Preis beeinträchtigt werden sollen. Aschenbach erwägt erneut abzureisen, aber dies würde den Außer-sich-Stehenden zu sich zurückführen – dazu ist er nicht bereit, und so gesellt sich zum Geheimnis seiner Liebe das der Stadt.

Aschenbach: Niedergang und Tod in Venedig

In einem archaischen Untergangstraum Aschenbachs huldigen Menschen in Wollust dem "fremden Gott". Der Dichter schließt sich ihnen an. Sein Widerstreben erlischt gleich der gesellschaftlichen Vorsicht und er verfällt völlig der Begierde. Von nun an begafft und verfolgt er Tadzio unverhohlen. Auch in der Stadt bricht allmählich der Schein der Ordnung zusammen. Aschenbach kaschiert derweil sein Alter mit Kosmetik und wandelt fiebrig durch das faulende Venedig. Schwindelnd, von Angstgefühlen und Verzweiflung gepeinigt erfährt er von der nahen Abreise der Polen. Ein letztes Mal beobachtet er Tadzio am Strand. Engelsgleich stolziert der eine Sandbank entlang und scheint dem Schriftsteller zu winken – Gustav von Aschenbach scheidet aus dieser Welt.

Gondoliere in Venedig

Interpretation: Innenwelt und Außenwelt bei Thomas Mann

"Der Tod in Venedig" ist die Geschichte eines Niedergangs. Dieser vollzieht sich parallel in der Innen- und Außenwelt Aschenbachs: Das bisherige Leben des Schriftstellers bricht als Konstrukt zusammen wie der Alltag in der seuchengeplagten Küstenstadt. Seine Liebe zu dem Knaben ist ein Traum, muss ein Traum bleiben und verweht als solcher am Strand. Die Schönheit, die er in dem jungen Tadzio sieht, bedingt zugleich ein verzweifeltes Aufbegehren gegen das eigene Altern. Sie konfrontiert den vergeistigten Aschenbach mit dem Körperlichen.

Anfangs kann er seine Gefühle mit seiner Kunst kompensieren, überträgt seine Eindrücke auf diese und erschafft so eines seiner Meisterwerke. Zunehmend entgleitet ihm jedoch das eigene Leben, wird er abhängig vom Anblick des Jünglings. Der Verfasser von "Ein Elender" wird selbst zum Elenden. Getrieben von unerfüllter Leidenschaft und selbstzerstörerischer Sehnsucht gewinnt das Chaos die Oberhand über ihn.

Gegensätze in Manns Novelle: Jugend und Alter, Liebe und Tod

Gleich dem Greis auf der Schiffsreise versucht Aschenbach sein Äußeres künstlich zu verjüngen. Aber die Vergänglichkeit kann nicht auf Dauer vertuscht werden. In Form der Krankheit legt sie sich über die "Serenissima" – der sittenstrenge Aschenbach jedoch wandelt sich in einen lüsternen Faun, wird zum Schatten seiner selbst. Er verfällt innerlich und verliert seine Würde, während die einst große Stadt um ihn durch ihre Lüge ebenfalls moralisch ver- und dem Chaos anheimfällt.

Künstlertum: Der Dichter im Rausch der Schönheit

Der Prediger der Strenge, der sich gegen das Verworfene gewandt und dem Abgrund die Sympathie gekündigt hat, verliert sich somit durch seine blinde Verehrung der Schönheit – die zwangsläufig mit dem Eros, mit Rausch und Begierde verbunden ist und in Form Tadzios ein unerreichbares Ideal darstellt, an dem der Künstler scheitern muss – zunehmend selbst. Der Dichter vermag sich nicht mehr aufzuschwingen, sondern nur noch auszuschweifen. Und so öffnet sich vor ihm der Abgrund, dem er einst zu entkommen glaubte, und verschlingt ihn schließlich: Die parallel verlaufende Innen- und Außenwelt verschmelzen in seinem Tod, die äußere und die innere Krankheit laufen im Ende zusammen.

Der Tod in Venedig: Anspielungen auf Mythos und Bibel

Die Novelle besitzt zahlreiche Anspielungen auf den griechischen Mythos und die Bibel. Aschenbachs Traum beispielsweise erinnert an die biblische Geschichte vom Goldenen Kalb, der schweigsame Gondoliere an den dunklen Fährmann über den Styx. Zudem baut Thomas Mann Gegensätze auf: Chaos und Disziplin, Liebe und Tod, Schönheit und Vergänglichkeit sowie Alter und Jugend präsentieren sich als unversöhnliche und zugleich untrennbar verbundene Pole in einem zeitlosen Kampf.

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