Buchcover:

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Ein Buch für Handwerker und Heimwerker

Der Schriftsteller, Jahrgang 1973, bevorzugt eine sehr lakonische Diktion, durch die mitunter etwas Poesie hindurchschimmert, aber leider zu selten. Auffällig sind die vielen detaillierten Handlungsbeschreibungen, die ins Infinitesimale gehen. Im Grund ist das ein Buch für Innenarchitekten, Handwerker und Heimwerker mit Hobby-Keller. All die Umbauten im Haus werden mit äußerster Sorgfalt geradezu buchhalterisch und perfektionistisch aufgezeigt, als sei die Genauigkeit im Pragmatischen das Ziel. Dazu kommen noch zahlreiche Verrichtungen in der Küche, die Zubereitung des Essens, das Essen selber und Etliches mehr. Und die zwischengeschalteten Dialoge erreichen oft spielerisch die Grenze von Belanglosigkeit und Langeweile. Die interessantesten Figuren sind nicht die streitbaren und progressiv denkenden Frauen, sondern – Onni. Jener Mann, der Lahja und ihre Tochter Anna "übernahm", zwei gemeinsame Kinder, Johannes und Helena, hinzufügte und ein exemplarischer Häuslebauer ist. Er ist ein fürsorglicher, guter Vater, aber kein guter Gatte und ein miserabler Liebhaber. Eheliche Zärtlichkeiten gibt es nicht, Onni schreckt davor zurück. Kurz, er ist in Wahrheit homosexuell, und das in einem Maße, dass er Berührungsängste bei Frauen hat und vor ihrer Libido davonläuft. Unter diesen Umständen wundert man sich, wie die beiden gemeinsamen Kinder überhaupt zustande gekommen sind.

 

Ein falscher Ehemann

Die Sache ist nämlich die, dass Onni des öfteren Tagesausflüge nach Oulu unternimmt, um sich mit einem Mann zu treffen. Was Lahja schon lange geahnt und in sich hineingefressen hat, verdichtet sich bald zur Gewissheit. Um dem Treiben Einhalt zu gebieten, schreibt sie der Polizei einen Brief mit der Bitte, sie möge doch ihren Onni vor diesem Mann beschützen. Das Schreiben ist gleichzeitig eine implizite Denunziation Onnis, und zwei Jahre später (1959) wird er nach einem Gespräch mit dem Polizeikommissar vor Gericht vorgeladen. Das Tragische an dieser Person ist der permanente Selbstekel: Er verabscheut sich wegen seines Triebs, gibt ihm aber immer wieder nach und fühlt sich als ein falscher, verräterischer Ehemann. Mit zunehmenden Alter werden Maria und ihre Tochter Lahja verbiesteter, kühler und egozentrischer. Aus den einstigen Herzensmenschen sind aufgrund von Altersverbohrtheit zwei ausgetrocknete Zicken geworden. Immerhin entrollt Kinnunen ein gewaltiges Panorama, beide Weltkriege verändern die Menschen und das Städtchen, das in den 60er-Jahren eine Art Konsumrausch erlebt. Am stärksten ist der Roman, wenn ohne Dialogunterbrechungen freiweg erzählt wird, bis Kinnunen einen Lauf hat und ein ungetrübter Lesefluss entsteht. Ansonsten ist das doch eine sehr anstrengende Lektüre.

 

Tommi Kinnunen: Wege, die sich kreuzen. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2018. 331 Seiten.

 

 

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