Buchcover

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Zwischen Dorfidylle und wild wogender Großstadt

Die intervallartig unternommenen Familienbesuche sind die mit Abstand langweiligsten Abschnitte des Buches, zumal sich die Gespräche gleichen, nur neu variiert werden und nach der x-ten Wiederholung keinen Mehrwert erzeugen. Kenner dieses Milieus mögen sich wegen des Wiedererkennungseffekts zufrieden im Ohrsessel zurücklehnen, aber auf Dauer geht der anfängliche Reiz schlichtweg verloren. Das ist auch der Ort, wo am intensivsten ein Dialekt gesprochen wird, der für Bewohner anderer Bundesländer, die davon abweichende auditive Signale gewohnt sind, zum kleinen Ärgernis auswachsen kann. Besser wird es sogleich, wenn Hilla nach Köln zurückkehrt, sich in ihre durchs Germanistik-Studium forcierte Buchwelt zurückzieht und mit den zunehmend rebellierenden Studenten konfrontiert wird. Es fängt alles ganz harmlos an, mit Protesten und Sit-ins (Sitzstreiks) gegen Fahrpreiserhöhungen der KVB und einem teilweise christlich gefärbten Ostermarsch. Noch ist die Welt in Ordnung, doch spätestens nach der Liquidierung Benno Ohnesorgs findet eine allgemeine Radikalisierung statt, die an Hilla nicht spurlos vorüberzieht.

 

Das studierende Arbeiterkind im Großbürgertum

Nun, trotz der eruptiven Ereignisse ist an Hillas christlicher Einstellung nicht zu rütteln, sie wechselt nicht von der Kirche zum SDS. Schade nur, dass der unantastbare Glaube an "Dendaoben" dermaßen ausgewalzt wird, und das in einer Gegenwart, die der damaligen rheinischen Intensität unreflektierten Gottvertrauens etwas fremd gegenübersteht. Und mit Hugo kommt ein Partner ins Spiel, der keinen Gegenpart bildet, sondern ebenfalls auf der gleichen Christus-Welle reitet. Es ist ein gar sehr harmonisches Liebesleben, zunächst von Hillas Kuss-Scheu geprägt, dann jedoch in eine fleischestrunkene Sättigung mündend. Eine ungetrübte Partnerschaft kann schnell in die Klischeefalle abgleiten, zumal die Autorin auf eingeschobene Streitereien und Trennungsandrohungen verzichtet. Immerhin gelingt es Ulla Hahn, die Szenen melodischer Zweisamkeit erträglich, ja sogar glaubwürdig zu gestalten. Um der Geschichte mehr Würze zu verleihen, hat sich das Kenk vun nem Prolete mit einem Sohn reicher Eltern eingelassen, eine Konstellation, die eine gewisse gesellschaftliche Brisanz, eine Konfliktsituation herbeiführt. Selbstverständlich lehnt das Großbürgertum eine aus der Arbeitersphäre ab: Das ist kein Umgang für das – aus der Art geschlagene – Eigengewächs.

 

 

Ulla Hahn

Ulla Hahn (Bild: © DVA)

Dichterisch erhöhte Autobiografie

In der Darstellung des in jeder Hinsicht großbürgerlichen Ambientes erweist sich Ulla Hahn als genaue Beobachterin, ihr gelingen glänzende Passagen, und das nicht nur hier. Wenn sie ihren Lauf und sich in einer Sequenz warmgeschrieben hat, zeigt sie sich als Meisterin des Erzählens, aus der mit spielerischer Leichtigkeit treffsichere, gut akzentuierte Formulierungen hervorsprudeln. Leider begeht sie den Fehler – und das liegt an ihrem Vermeiden von Raffung und Verdichtung -, bei einer Schilderung zu lange zu verharren und sich mitunter festzuschreiben. Nun ist es aber auch so, dass Ulla Hahn mit diesem Epos ihr Leben in Romanform niederschreibt und am liebsten nichts auslassen möchte. Man könnte hier von einer dichterisch erhöhten Autobiografie sprechen, die zudem Verweise auf alte Romane beinhaltet ( z.B. Hansegon in "Ein Mann im Haus"). Deshalb auch die teilweise uferlosen Eskapaden der zunehmend politisierten Studenten, deren Wunsch nach permanenter Revolution mitunter skurrile Formen annimmt: Rudi Dutschke gemäß Mao, mitsamt der damals aktuellen Kampfsprüche, die eine fast komplette Vokabular-Sammlung der 68er ergeben. Ohne Zweifel, die Autorin ist der Rückerinnerung eines heute verstaubten Zeitgeistes verpflichtet. Teile der Studenten tauchten ins Hippietum ab, Haare und Bärte wucherten unkontrolliert und maßlos und Pumphosen nebst Batikkleidung, also Asien-Importe feierten fröhlich Urständ. Originell, aber etwas überzogen ist die Darstellung von Hugos Tante, die von dieser Anti-Mode vollständig ergriffen wird. Leute, die diese Zeit durchlebt haben oder aus Büchern und Filmdokumentationen kennen, erhalten hier noch einmal einen konkreten Abriss. All das nimmt Hilla Palm in sich auf, sie wird davon berührt und gerät ebenfalls ins Politisieren, geht aber ihren anscheinend vorgezeichneten Weg unbeirrt weiter. Vorerst. Gewiss, das ist teilweise brillant erzählt, aber: Weniger wäre mehr gewesen.

Ulla Hahn: Spiel der Zeit. 2014: Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House, 608 Seiten.

 

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