Zum Inhalt

René B. Werner schildert auf 350 Seiten, wenn man es lässig ausdrücken will, Beziehungskisten in der Großstadt, genauer gesagt, in Berlin. Noch genauer gesagt, stehen im Mittelpunkt Julia und Steve, die sich schon aus der Schulzeit kennen, zusammen leben, wieder auseinander leben, sich später immer wieder begegnen bis zu ihrem Lebensende. Das klingt bis dahin normal und langweilig, aber dem Autor gelingt es, daraus einen Spannungsbogen zu gestalten mit durchaus tragischen Ereignissen durchsetzt. Erinnerte mich spontan etwas an die "Dornenvögel".

Irgendwie stellen Julia und Steve die Protagonisten eines Paares dar, das sich im Leben zu früh kennenlernte und deshalb meint, einiges verpasst zu haben und nachholen zu müssen. Findet man öfters bei Paaren, die schon im Sandkasten zusammen fanden und später auch blieben.

Sensibler Autor

Wenn es sich hier auch um Schreiben als Kompensation anscheinend eigener Probleme handelt - aber ist das nicht einer der besten und authentischsten Gründe zum Schreiben? - so geht René Werner angenehm sensibel vor. Das zeigt sich vor allem in den erotischen Szenen, ja, es handelt sich hier bei ihm um gekonnte Erotik, nicht um platte Sexszenen. Alle Achtung, was diese Schilderungen angeht, die sich nicht aufdrängen, sondern selbstverständlich in den Kontext einfügen. Sensibel, diese Eigenschaft der Beschreibung drängt sich immer wieder auf. Auch bei den Begegnungen mit dem Obdachlosen Bernd, die sich bei Steves Krisen dramaturgisch gut eingebaut durchziehen.

Es gibt auch kein typisches Happyend, aber dennoch einen versöhnlichen Schluss, so viel sei verraten. Bemerkenswert auch: Der Autor vermeidet Schwarzweißmalereien, gesteht seinen Helden eine Entwicklung zu, fast im Sinne des Bildungsromans des 19. Jahrhunderts.

René B. Werner bei einer seiner Lesungen

Lesung "Weggeglückt" (Bild: Reinhard Hefele)

Zum Stil

Dem Autor, der sich hier nach eigenen Angaben einiges in einem Rutsch von der Seele schrieb, hätte man einen Profi-Lektor gewünscht. Da geht es nicht nur um einige störende Kommasetzungen wie etwa zu viel Kommata jeweils bei direktem Vergleich wie "schneller als..": Vor dieses "als" gehört kein Komma! Auch die überbordende Substantivierung besonders im ersten Teil stört: Wann sagt endlich einer den Seiteneinsteigern, dass die deutsche Sprache von den Verben lebt, die Schreiberei damit lebendiger macht als die dröge Anhängung der Suffixe "-heit", "-keit" und "ung"? Zu viel Einfluss der Umgebung, nämlich des Berliner Politikergeschwafels? Kommt vielleicht auch daher, dass René B. Werner, übrigens ein Pseudonym, im Hauptberuf im Verwaltungsbereich des Immobiliengeschäfts tätig ist.

Man hätte dem Autor auch gewünscht, dass er die Methodik des inneren Monologs kennte und beherrschte, das drängt sich direkt auf bei den Betrachtungen der Hauptpersonen, wenn sie über Glück und Liebe philosophieren wollen. Manches gerät dann doch mehr zu Frauenillustriertenweisheiten, und Werner rutscht dann ab in den Subjektwechsel von "ich" zum allgemeinen, unpersönlichen "man".

Fazit

Ist nicht eigentlich längst alles und zum Teil besser zu Liebe und Glück in der Literatur gesagt? Einige Kenntnisse mancher dieser Weisheiten hätte man dem Autor gewünscht von Goethe bis Nietzsche und Musil bis Frisch. Außerdem hätten auch einige neuere Erkenntnisse der Biochemie nicht geschadet: Schmetterlinge im Bauch kann der Mensch nicht rund um die Uhr produzieren, da streiken die entsprechenden Hormone und Endorphine irgendwann! Das große Missverständnis bei der Suche nach der Liebe ist die Verwechslung des Verliebtseins mit Liebe. Aber das dämmert auch den Hauptpersonen in "Weggeglückt" so langsam gegen Ende ihres Lebens.

Gute Buchgestaltung

Übrigens ein gelungener Titel, dieses "Weggeglückt", ebenso wie die Covergestaltung mithilfe eines befreundeten Fotomodells. Ach ja, das Vorwort hätte ich ihm gestrichen, das führt einen durch diese Allerweltsbemerkungen erst auf eine falsche Spur, auf der man zu viel Schwafeleien auf den folgenden Seiten befürchtet, was aber dann doch in der Mehrheit zum Glück nicht der Fall ist.

René B. Werner ist für einen Erstlingsroman ein erstaunlicher Wurf gelungen, der Begabung und Sensibilität zeigt. Wenn er noch aus den Schwächen seines Erstlings lernt, dann dürfen wir auf den zweiten Roman, den er gerade zu schreiben beginnt, gespannt sein.

Mutig fällt mir zu diesem Buch auch ein, mutig nicht zuletzt auch, weil der Autor einen eigenen Verlag dazu gründete und im Offsetverfahren auf eigene Kosten erst einmal eine Auflage von 2.500 Büchern druckte. Doch zeigt schon ein konventioneller Verlag Interesse. Außerdem halte ich es für eine gute Vorlage zu einem Film.

"Weggeglückt" von René B. Werner
348 Seiten . 14.99 Euro  ...

348 Seiten . 14.99 Euro . ISBN978-3-9817544-0-7 (Bild: RBW-Verlag, Chemnitz)

Arlequina, am 22.04.2016
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