Mödlareuth: Zeitreise in den kommunistischen Irrsinn

Unsere Reise beginnt am südlichen Ende der ehemaligen Innerdeutschen Grenze. Hier befindet sich eines der am besten erhaltenen Zeugnisse der deutschen Teilung, das so genannte Deutsch-Deutsche Museum. Mödlareuth hieß unter amerikanischen Soldaten auch "Little Berlin", denn der Ort war geteilt durch Mauer, Zaun und Todesstreifen. Ein heute mühelos zu überspringender Bach bildete einst die Grenze zwischen der Freien Welt und der roten Diktatur. Mödlareuth ist verwaltungstechnisch sogar heute noch getrennt. Ein Teil des Ortes gehört zu Thüringen, der andere zum Freistaat Bayern. Vielleicht ist letzteres der Grund, dass in Mödlareuth die Verharmlosung der DDR keine Chance hat. Neben dem begehbaren Freigelände auf der ostdeutschen Seite befinden sich im bayerischen Ortsteil mehrere eindrucksvolle Ausstellungen. Das Schönreden roter Experimente fällt angesichts der dort genau dokumentierten Opfergeschichten sowie der teilweise schauerlichen Museumsstücke deutlich schwerer. Selbst übermütige Jugendliche, welche im Freien noch respektlos auf einem alten, russischen Panzer herumkletterten, wurden hier recht schnell leise…

Mauerreste in Mödlareuth

Dieser russische T34 war seit dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wende im Einsatz

Die Görsdorfer Mauerreste

Ehemaliger Grenzübergang Eisfeld-Rottenbach

Einsames Mahnmal am Waldrand: Die Görsdorfer Mauer

Ungefähr 100 Straßenkilometer weiter westlich befindet man sich mitten im Landkreis Sonneberg. Aufgrund der exponierten Lage (der Kreis ragt wie ein Keil in bayerisches Territorium) waren große Teile dieser Region Sperrgebiet. Auch hier gab es eingemauerte Orte: Zum Beispiel die winzige Siedlung Görsdorf. Bis zur bayerischen Stadt Coburg sind es nur wenige Kilometer. Gefühlt allerdings liegen noch heute Welten zwischen beiden Orten. Alte Fotos belegen, dass der Todesstreifen bei Görsdorf keineswegs weniger schrecklich war, als in Mödlareuth. Doch wo in diesem eine Erinnerungskultur herrscht, greift in jenem das Vergessen um sich. Falls man als ahnungsloser Reisender tatsächlich das völlig abgelegene Görsdorf passieren sollte, wundert man sich vielleicht ein wenig über eine Betonwand am Ortsende. Sie ist absolut unscheinbar und steht neben einer schmalen Fahrbahn, welche gleich darauf im Wald verschwindet. Das seltsame, von Pflanzen umwucherte Bauwerk könnte ebenso gut der traurige Rest einer ehemaligen Gewerbefläche sein. Eine abseits gelegene Infotafel erzählt jedoch, was hier passierte: Mehrere winzige Dörfer wurden regelrecht durch eine bis zu fünf Kilometer breite Sperrzone abgeriegelt, etliche Bewohner zwangsumgesiedelt. Nachts herrschte Ausgangssperre, Kontakt zu Menschen außerhalb des Sperrgebietes war kaum möglich. Splitterminen, Streckmetallzäune, eine Mauer, Stacheldraht und andere sozialistische Errungenschaften schützten die Einwohner vor der Freiheit.

Wenn in Görsdorf dennoch nur ein kurzes Mauerstück an jene Scheußlichkeiten erinnert, liegt dies nach der vorsichtig geäußerten Ansicht Einheimischer vielleicht auch daran, dass solche Denkmale manchem Bewohner der Region gar nicht recht sein mögen. Jede Diktatur hat schließlich ihre kleinen Helfershelfer…

Die Gedenkstätte "Grenzübergang Eisfeld-Rottenbach": gegen das Vergessen

Bevor die Bundesstraße 4 bei Eisfeld auf die noch recht junge A73 stößt, weicht der Wald am Straßenrand einer größeren Freifläche. Der Blick fällt auf eine Tankstelle, eine Waschanlage und einen geräumigen Parkplatz. Die Szenerie wäre an sich nicht ungewöhnlich, gäbe es da auf dem Gelände nicht noch ein Bauwerk: Es ist ein Turm mit einer Grundfläche von fünf mal sechs Metern, im dritten, obersten Stockwerk flächendeckend verglast. So etwas findet heute bestenfalls noch als Beobachtungsturm auf internationalen Rennstrecken Verwendung. Der Turm bei Eisfeld jedoch diente einem anderen Zweck. Wer sich die Mühe macht, dieses Bauwerk zu betreten (ein Automat am Eingang verlangt dafür zwei Eurostücke), erkennt bald, dass dieses harmlos wirkende Tankstellengelände einst die Straße zur freien Welt blockierte.

Der Turm ist das letzte übrig gebliebene Bauwerk des einstigen Grenzübergangs Eisfeld – Rottenbach. Hier fand ab 1972 der so genannte Kleine Grenzverkehr (auf das grenznahe Gebiet beschränkte Tagesreisen) statt. Die komplexe Überwachungsanlage dieses Grenzübergangs verfügte anfänglich über einen kleineren Turm. Das heute sichtbare Gebäude wurde 1982 direkt daneben errichtet.

Die drei Stockwerke der Gedenkstätte vermitteln durch großformatige Fotos und ein Panoramabild eine Vorstellung davon, wie das Gelände früher aussah. Ergänzend klären Schautafeln über den Unterdrückungsapparat der DDR sowie über Vorkommnisse an diesem Grenzposten auf. Doch auch das Alltagsleben in der DDR ist Bestandteil der Ausstellung, welche zum 25. Jahrestag des Mauerfalls neu gestaltet wurde.

Wer dagegen erleben möchte, was ein Fluchtversuch über die innerdeutsche Grenze bedeutete, sollte sich an einem kleinen Rundgang durch das abgedunkelte Kellergeschoss versuchen. Lichtschranken lösen dort beispielsweise plötzlich Alarm aus, inklusive Hundegebell und Postengebrüll…

Verharmlosung im Dienste des roten Klassenkampfes

Immer neue Stolpersteine, unzählige Mahnmale, Gedenktafeln an Wohnhäusern, nahezu tägliche Fernsehdokumentationen: Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus scheint regelrecht inflationäre Ausmaße anzunehmen. Die rote Diktatur hingegen wird vermutlich nicht annähernd so gründlich aufgearbeitet. Ihre Opfer gelten oftmals sogar als Kleinkriminelle. Die roten Täter wiederum wurden bisweilen gar nicht erst angeklagt oder "aus gesundheitlichen Gründen" verschont.

Gedenken an den DDR-Terror im umfassenden Stil der deutschen Nazi-Betroffenheit findet offenbar nicht statt. Im Bundesland Thüringen, wo ungefähr die Hälfte des ehemaligen Grenzgebiets verortet ist, sollte man darauf vielleicht besser auch nicht hoffen. Seit der rot-rot-grünen Machtergreifung im Jahr 2014 (die Wahl gewonnen hatte die CDU) herrschen dort immerhin wieder Kommunisten.

Die meisten baulichen Hinterlassenschaften der Todesgrenze sind heute real und auch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Darüber müssen sich die alten Garden wirklich keine Gedanken mehr machen. Was immer noch fehlt, ist hingegen die stattliche Anzahl von rund 33000 vergrabenen Minen. Ihre Lage ist unbekannt, die überwiegend aus Kunststoff gefertigten Sprengfallen lassen sich auch nicht orten. Eine Suchaktion würde einen einstelligen Millionenbetrag kosten, ohne Erfolgsgarantie. Weite Teile des ehemaligen Todesstreifens wurden deshalb kurzerhand zum Naturschutzgebiet umdeklariert.

Doch nicht nur das Gedenken an rote Verbrechen wird auf diese Weise dem Naturschutz untergeordnet. Menschenleben scheinen im Wertesystem mancher Öko-Jünger ebenfalls nicht mehr viel zu zählen: Wer im Naturschutzgebiet auf eine Mine tritt, hat eben Pech gehabt…

Auch in der medialen Darstellung und selbst an manchen Gedenkstätten herrscht eine "Kultur" der Relativierung und Verharmlosung. Oftmals geschieht die Rückschau auf den roten Terror in einer merkwürdig passiven Sprache: "Minen wurden verlegt" und "Hunde waren im Einsatz", heißt es da, ganz so, als wäre der Todesstreifen zufällig entstanden und dann von selbstständig agierenden Hunderotten bevölkert worden.

Es ginge freilich auch anders: "Linke Politiker ließen Minen verlegen und Hunde auf Menschen hetzen". Das wäre irgendwie ehrlicher. Aber wer will schon Ehrlichkeit?

Donky, am 31.07.2017
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