Wie kommt der Anstieg der Bedrohungen für Journalisten in Deutschland zustande?

Journalisten werden oftmals von Interessengruppen eingeladen um über ein Ereignis, in Schrift und Bild zu berichten. Sie fühlen sich keiner Gruppe zugehörig und berichten, ohne ihre eigene Meinung kund zu tun. In den letzten Jahren geraten sie immer öfter in die Kritik und werden, meist ohne eigenes Zutun, zur Zielscheibe der Gewalt von Polizei oder Demonstranten. Diese sind nicht selten in Gruppen unterschiedlicher Meinung unterteilt und unterscheiden nicht, wer Berichterstatter oder politischen Gegner ist. Anders als bei Kriegsberichterstattern kommen diese Journalisten meist unvorbereitet in die Situation. Sie wurden nicht darin geschult, wie sie sich zum eigenen Schutz verhalten müssen. Selbst erfahrene Reporter geraten, ob der wachsenden Gewaltbereitschaft der Akteure, oft in Fassungslosigkeit. Schnell schmilzt in der eigenen tatsächlichen oder empfundenen Bedrängnis, die Objektivität dahin.

Türkei: Journalisten wie Schwerverbrecher verfolgt

Nach übereinstimmenden Berichten, die dem Deutschen Journalisten Verband (DJV) vorliegen, stürmten Polizeieinheiten am Morgen des 28.10.2015 die Redaktionsräume der beiden Sender Bugün und Kanaltürk in Istanbul. Dort verhafteten sie eine bislang unbekannte Zahl an Journalisten. Bei dieser Aktion wurden, laut DJV mehrere Berichterstatter verletzt. Schon vor einigen Wochen waren andere Bereiche der Unternehmen, mit dem Vorwurf: Terrorfinanzierung und Propaganda, untersucht worden. Der Deutsche Journalisten-Verband protestiert gegen das massive Vorgehen der türkischen Polizei und Justiz gegen regierungskritische Medien des Medienkonzerns Koza-Ipek. Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken, kritisiert, dass das Regime Erdogan, wenige Tage vor den Parlamentswahlen in der Türkei, die letzten kritischen Journalisten in dem Land mundtot machen wolle. Das Vorgehen gegen die Kollegen zeige, dass Journalisten in der Türkei wie Schwerverbrecher behandelt werden. Das sei empörend. Er erläutert: Spätestens mit dem Sturm auf die beiden Sender, müssten sich weitere Gespräche der europäischen Institutionen mit der Türkei, über einen möglichen Beitritt des Landes zur Europäischen Union erledigt haben.

Angriff vom 19.10. 2015 auf einen Reporter der Deutschen Welle

Wie von der Pressestelle des Deutschen Journalistenverbandes berichtet wird, wurden am Abend des 19.10.2015 Reporter der Deutschen Welle bei einer Demonstration angegriffen. Demnach wollte ein Mitarbeiter des arabischen Programms der DW ein Interview mit Pegida-Demonstranten führen. In Folge der Ereignisse wurde er eingekesselt und erhielt von hinten einen Schlag auf den Kopf. Als er die Polizei darauf aufmerksam machte, behaupteten Demonstranten, sie könnten zahlreiche Zeugen aufbieten, die bestätigen würden, dass der Reporter lüge und ihm nichts angetan worden sei. Der DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken wertete dies als "neue Stufe auf der Eskalationsleiter der Journalistenfeinde von Pegida". Er habe keinen Grund, an dem Übergriff auf den DW-Journalisten zu zweifeln, der zudem von einem Kollegen beobachtet worden sei. Konken fordert die Ermittlungsbehörden auf, die Attacke als einen schweren Angriff auf die Freiheit der Berichterstattung zu behandeln. Vom Deutschen Journalistenverband (DJV) wird ein entschlossenes Vorgehen der sächsischen Ermittlungsbehörden gegen Gewalttäter in Dresden gefordert.

Was der UNESCO-Bericht 2015 über den Schutz von Journalisten aussagt

In jedem Jahr wird weltweit, am 2. November, am "Internationalen Tages gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten", auf die Missstände in dieser Berufsgruppe aufmerksam gemacht.
Heute, am 2.11.2015 wurde, anlässlich diesen Tages, der UNESCO-Bericht "World Trends in Freedom of Expression and MediaDevelopment – Special Digital Focus 2015" veröffentlicht.
Demnach wurden von 2006 bis 2014 weltweit, rund gerechnet, 700 Journalisten, während sie ihren Beruf ausübten, getötet
Davon kamen

  • 64 in arabischen Ländern ums Leben
  • In lateinamerikanischen Ländern und der Karibik starben 51

Der DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken, mahnte in diesem Zusammenhang, dass die Pressefreiheit dort zu Ende ist, wo Journalisten bei ihrer Berufsausüben sterben.
Konken forderte zum wiederholten Mal, die Befolgung der Resolution 2222 des UN-Sicherheitsrats, nach der Berichterstatter in Krisengebieten, wie Zivilisten geschützt werden müssen.

Freiberufler geraten unter besonderen Druck

Von Journalisten wird beobachtet, dass nicht alle ihrer Berufsgruppe unter dem gleichen Druck zu leiden haben. Wähnen die Einen, dass Kriegsberichterstatter und Fotojournalisten die in Krisengebieten arbeiten, einer hohen Gefahr ausgesetzt sind, bemerken Andere, dass der tägliche Druck in regionalen Tageszeitungen, je nach Ressort, auch nicht zu verachten ist. Sind es in vielen Ländern, außerhalb der EU, Terrorgruppen, Milizen oder Verbrecherkartelle, die unliebsame Informationen durch Einschüchterungen und skrupelloser Gewalt verhindern wollen, tragen innerhalb der EU- Grenzen inzwischen auch eine indirekte Zensur in den Zeitungen, Gewalt religiöser Gruppen und extremer Weltanschauungen zu einer an vielen Orten verheerenden Lage von Journalisten bei. Fest Angestellte, die im Ressort Politik und Wirtschaft arbeiten, sind dabei augenfällig einer größeren Gefahr ausgesetzt. Inzwischen sind es auch die Berichterstatter von sportlichen Ereignissen oder Kulturveranstaltungen, die sich oft einer großen Anzahl von Krawallmachern innerhalb von Fangruppen ausgesetzt sehen. Freie Journalisten stehen dem Geschehen völlig ungeschützt gegenüber. Sie müssen schon einem Berufsverband angehören und eine gute Rechtsschutzversicherung haben, um in kritischen Situationen nicht in Panik zu geraten und unter die Räder zu kommen.Wer als Journalist mit seiner Arbeit eine Familie ernähren muss, gerät dann schnell in die Zwickmühle zwischen dem eigenen Berufsverständnis und den Anforderungen die von außen heran getragen werden.

Pressefreihet weltweit

Wie sieht das neue Schutzprogramm für Journalisten aus?

Manchmal bleibt gefährdeten Journalisten, so Lutz Mükke, nur die Option, ihr Land für eine Zeit zu verlassen und somit aus die Schusslinie zu gehen. Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig, hat wegen der hohen Gefährdung von Journalisten in Deutschland und der EU, ein Schutzprogramm ins Leben gerufen. Leipzig wurde gewählt, weil die Stadt ein historischer Ort im Kampf für Presse- und Meinungsfreiheit ist.

Das Programm der ECPMF kann stark gefährdete Kolleginnen und Kollegen, für die begrenzte Zeit von sechs bis zwölf Monaten, vom ständigen politischen und wirtschaftlichen Druck befreien, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihren Fall lenken und ihnen vorübergehend einen sicheren Arbeitsort in Leipzi bieten.

Den Journalisten die in das Schutzprogramm aufgenommen wurden:

  • Stellt das ECPMF eine Unterkunft
  • Gewährt ein monatliches Stipendium von 1 000 €
  • Übernimmt alle Visa- und Reisekosten
  • Eine Krankenversicherung
  • Verspricht, über das ECPMF, eine Veröffentlichung der in dieser Zeit geschriebenen Publikationen

Wie können sich Journalisten für das Schutzprogramm bewerben?

Journalisten, die sich für das Programm bewerben möchten, müssen bestimmte Kriterien erfüllen.

  • Sie sollten seit mindestens fünf Jahren investigativ arbeiten
  • Einen Nachweis über ihre Gefahrensituation erbringen
  • Keiner bestimmten politischen Bewegung angehören
  • Möglichst in der Lage sein, nach dem Programm in ihrem Heimatland ihre Arbeit für die Pressefreiheit fortzusetzen

Die erste Bewerbungsrunde, bei der die Kandidaten von den ECPMF-Vorständen, denen erfahrene Journalisten, Wissenschaftler, Gewerkschafter und Juristen angehören, hat begonnen.
Sie haben sich Unterstützung von den erfahrenen Organisationen International City of Refugee Network (ICORN) und der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte geholt.
Diese brauchen sie, weil Menschen, die in einem Schutzprogramm aufgenommen werden, oft traumatisiert sind und in eine unsichere Zukunft blicken. Meist können viele die Sprache des Gastlandes nicht. Deshalb ist viel Einsatz und Fingerspitzengefühl nötig", erklärt Peter Ripken, Vorsitzender von ICORN, das mehr als 50 europäische Städte vertritt. "Wir freuen uns deshalb über jede neue Initiative und eine Zusammenarbeit mit bisherigen Projekten. Denn ein starkes Netzwerk bietet für bedrohte Menschen einen zusätzlichen Schutz", so Ripken weiter.

Informationen zum Programm und zum Bewerbungsverfahren in englisch.

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