In den 45 Jahren ihrer Herrschaft baute die sozialistische Regierung in Polen eine monozentrische Gesellschaft, deren soziales und politisches Gewebe durch eine Elite loyaler Regierungsbeamten dominiert wurde. In den 1950er Jahren verloren soziale Institutionen wie politische Gruppierungen, Freiwilligenorganisationen, Jugend und Berufsorganisationen und Gemeindeverbände ihre Autonomie und wurden in ein hierarchisches, staatlich kontrolliertes Netzwerk gezwungen. Nur die polnische katholische Kirche bewahrte ein gewisses Maß an Unabhängigkeit in diesem Zeitraum. Gleichzeitig entwickelten jedoch kleinere Gruppen, zunächst isoliert und fragmentiert, informelle und pragmatische Netze für die wirtschaftliche und gesellschaftschliche Versorgung. Solche Gruppen funktionierten sowohl innerhalb staatlich sanktionierter Institutionen und in Familien und kleinen Gemeinden.

Familie: Das traditionelle Zentrum des gesellschaftlichen Lebens

Die Familie, das traditionelle Zentrum des polnischen gesellschaftlichen Lebens, übernahm eine wichtige Rolle in diesem informellen System. Im Rahmen der genannten Herausforderungen, adaptierten auch Familien im urbanen Alltag einige Merkmale des traditionellen ländlichen Lebens. Besonders wichtig in der Familienstruktur waren die Unterstützung der Eltern von erwachsenen Kindern, bis sie selbst autark geworden waren und ihre alternden Eltern und Großeltern pflegen konnten. Dieses erfinderische und unabhängige Netzwerk bildete eine ganz eigene Ebene innerhalb der polnischen Gesellschaft. Von den Teilnehmern als Ausbewahrungsort der polnischen Nation und Tradition gesehen, war sie das Gegenstück zum ineffizienten und rigiden Staatssystem. In den 1980er Jahren begannen die ersten berühmt gewordenen Kritiker die Wahrheit über die Probleme der Polen zu verlautbaren und die Mauer zwischen privater und öffentlicher Moral begann zu brechen. Das Ende der kommunistischen Regierung brachte eine neue Debatte über die Rolle der Frauen in der polnischen Gesellschaft. Nach 1989 begannen viele Polen, die Rechte der Frauen mit der Gleichheit in der – als negativ betrachteten - kommunistischen Vergangenheit zu verknüpfen. Ein wesentlicher Teil der Gesellschaft sah die politische Transformation als passende Zeit für Frauen, in das "Heim" zurückzukehren, nachdem der Kommunismus sie in die Arbeitswelt "gezwungen" und so angeblich die polnische Familie geschwächt habe. Die Sozialpolitik der postkommunistischen Regierungen verkomplizierte die Situation berufstätiger Mütter. 1992 ergab eine nationale Studie, dass Frauen bei der Besetzung von Jobs aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wurden. Ein Anti-Diskriminierungsgesetz gab es zu diesem Zeitpunkt nch nicht. Da Familienbeihilfe-Zahlungen nicht an die Lebenshaltungskosten angepasst waren, war die Unterstützung die Mütterin diesen Zeiten hoher Inflation fast wertlos. Im kommunistischen System waren Kindertagesstätten für Kinder berufstätiger Mütter billig und überall erhältlich, aber bis Mitte der 90er Jahre hatten mehr als die Hälfte der polnischen Tagesstätten geschlossen.

 Traditionell ist in polnischen Familien, das "zuhause" die Bühne für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, trotz der hohen Rate an Vollzeitbeschäftigung von Frauen. Im Sozialismus waren in der Regel beide Ehepartner erwerbstätig. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und noch Jahre danach lagen die Hausarbeit und Kinderbetreuungspflichten ausschließlich auf den Schultern der Frauen. Studien aus Ende der 90er Jahre beweisen, dass Ehemänner Frauen im Haushalt nur sporadisch unterstützten. Seitdem hat sich allerdings ausgesprochen viel verändert.

Vieles hat sich seit Zusammenbruch des Sozialismus in Polen verändert, ale Einstellungen sind geblieben.
Warschau

Warschau (Bild: Henri Sivonen, Flickr.com)

Wie hat sich die klassische Ansicht der Familienstruktur in den letzten Jahren entwickelt und wann begann die die Grenze zwischen dem, was als Familie betrachtet wird und was nicht, zu verschwimmen? Eine politische Diskussion über das Thema hat, vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Katholizismus immer noch ein wichtiger Faktor in der polnischen Gesellschaft ist, immer auf einer religiösen Basis stattgefunden. Heutzutage unterscheiden sich polnische Familien deutlich von denen vor zwei Jahrzehnten vor dem Fall des Kommunismus. Die Einführung der freien Marktwirtschaft, der Einfluss unterschiedlicher Lebensweisen und Medien haben das Bild geändert, wie die Polen über die Rolle der Familie in der Gesellschaft denken. Dennoch hat eine Anzahl an Vorurteilen überlebt.

Den Polen ist von allen Werten, ein harmonisches Familienleben nach wie vor sehr wichtig. Die Scheidungsrate liegt Polen im Europavergleich weiter hinten was mit Sicherheit auf die große Bedeutung der Religion im Leben der Polen zu tun hat. Grundsätzlich – wenn man sich Umfragen und gesellschaftspolitische Artikel dazu durchliest – sind den Polinnen und Polen ein harmonisches Familienleben mehr wert als Geld und ihre berufliche Stellung. Im Gespräch mit einer jungen Polin, namens Kasia erweckt es den Eindruck, dass die polnische Familie ungewöhnlich groß ist. "Das alte Familienmodell ist sicherlich noch zwei Eltern und zwei Kinder, wobei sich dieses Bild, vor allem in den Städten immer mehr ändert", betont Kasia. Die 25jährige lebt in einem hippen Viertel in Warschau und ist wie viele Altersgenossinnen Akademikerin, die in einer prekären Jobsituation arbeitet. "So wie mir geht es selbstverständlich vielen Polinnen, unter diesen finanziellen Rahmenbedingungen ist nicht an eine Familie zu denken", sagt Kasia. "Aber selbst wenn, will ich derzeit auch nicht eine Familie gründen." Kasias Schwester dagegen ist in einer anderen Situation. Die 31-jährige Magda hat ein 2-jähriges Kind und geht in ihrer Rolle als Mutter auf, erzählt Kasia. "das geht, weil ihr Mann genug verdient, um die Familie zu erhalten und einen gewissen Lebensstil zu pflegen." Für Alleinverdiener oder Alleinverdiener-Eltern oder Single-Eltern ist es allerdings schwierig auszukommen. In den meisten Fällen können sie sich nur mehr schlecht als Recht einen privaten kindergartenplatz leisten – viele öffentliche Plätze sind äußerst schnell vergeben.

Die ehemalige Regierung unter der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) sah keinen dringenden Handlungsbedarf. Sie ikonisierte das traditionelle Familienbild und propagierte ein sehr traditionelles Familienbild, wo die Frau zuhause bleibt. Ein patriarchalisch traditionelles Modell, in dem nur der Mann arbeitet, während die Ehe- und Hausfrau kocht, putzt, die Kinder erzieht und betet. Der gesellschaftliche Frieden blieb bisher trotz des steigenden Bildungsniveaus – zusehends unter jungen polnischen Frauen - erhalten. Dennoch verändert sich die Gesellschaft in rasantem Tempo. Die demografischen Trends sind ähnlich wie in Westeuropa. Mit 1,23 liegt die Geburtenrate unter dem EU-Durchschnitt. Sie hat sich seit dem Zusammenbruch des Sozialismus nahezu halbiert. Das bereitet auch der polnischen Regierung größte Sorge. Die PiS wolle unbedingt die Geburtenrate erhöhen. Was andere EU-Länder in 30 Jahren durchgemacht haben, ist in Polen in den vergangenen 14 Jahren im Zeitraffer passiert.

Alleinerziehende Eltern

Trotz vermeintlich niedriger Scheidungsrate im EU-Vergleich ist auch in Polen nicht alles Eitel Wonne. Die Anzahl an an alleinerziehenden Eltern ist demnach am steigen. In Polen ist laut Daten von Eurostat jedes fünfte Baby eine außereheliche Geburt. Laut dem polnischen Institut für öffentliche Angelegenheiten gibt es bereits mehr als 1 alleinerziehende Eltern - die überwältigende Mehrheit davon sind alleinerziehende Mütter (90%). Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt der Scheidung ist 45 Jahre für Männer und etwa 35 Jahre für Frauen. Polen hat damit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen der niedrigsten Anteile an Alleinerziehenden.

Polen hat eine interessante Anomalie, dass eine beträchtliche Anzahl von Personen, die zwar alleinerziehend sind und sich um ihre Kinder kümmern, nach wie vor offiziell verheiratet sind oder in einer Lebenspartnerschaft leben. Doch wegen der hohen Rate an Arbeitsmigration, leben Ehegatten oder Partner (in der Regel die männlichen) in anderen Ländern. In einigen Fällen sind diese Eltern effektiv (meist aus wirtschaftlichen Gründen) seit einigen Jahren getrennt. Obwohl die ausgewanderten Ehepartner auch weiterhin finanziell für die Familie sorgen, muss die verbleibende Mutter sich um die Familie kümmern und die Kinderbetreuung allein bewältigen.

Alleinerziehende, insbesondere alleinerziehende Mütter haben in der polnischen Gesellschaft zumeist folgende Hindernisse:

  • Probleme mit der Bereitstellung von Kinderbetreuung (hohe Kosten bei der Einstellung von Kindermädchen, geringer Zugang zu Kinderkrippe und Kindergarten),

 

  • Zurückhaltung beim Überlassen eines Kindes in einer Kinderkrippe (Mütter möchten für ihr Kind selbst sorgen)

 

  • Starre Arbeitszeitmodelle - die Arbeitgeber bevorzugen vollzeit-Mitarbeiter, dementsprechend gibt es Probleme bei der Vereinbarkeit mit der Kinderbetreuung

 

  • Gesellschaftliche Probleme in Hinsicht der Fähigkeit vollwertig für die Erziehung von Kindern sorgen zu können

"Familien von heute unterscheiden sich drastisch von dem, was sie einmal waren", betont Joanna Mizielinska, die einen Bericht über neue Familienbilder geschrieben hat. Sie erklärt diese Änderungen als ein natürliches Phänomen und nicht als Zeichen für eine Krise der Familie, wie es oft im polnischen konservativen Diskurs dargestellt wird. In ihrem Bericht stellt sie sich die Frage, wie man mit der Frage umgeht, was als Familie zählt und was nicht? 

 

(Bild: Jaap Joris)

Postmoderner Familienbegriff

Die sich verändernde Familien zwingt uns, auch die Definition, was eine Familie ausmacht – zum Beispiel beide Elternteile zu haben - zu überdenken. Da wir von Lehrbüchern und Fachliteratur über Familien abzuleiten, das ist keine leichte Aufgabe. Der beste Beweis für Schwierigkeiten bei dem Versuch "Familie" zu definieren, ist die Hilflosigkeit von Theoretikern, wie sie mit diesem Problem umzugehen. Paradoxerweise ist die intuitive Formel der "sozialen Grundeinheit" mehr eine Vermutung als tatsächliche Wirklichkeit. Das bedeutet, dass sie auch offen ist für Manipulation. Besonders schwierig ist es die Familie in unserer postmodernen Zeit zu definieren, wenn neue und vielfältige Formen familiärer Beziehungen neben mehr traditionellen gleichzeitig bestehen. Die Reaktionen auf Veränderungen können demnach vielfältig sein: man kann darin den Beweis für das "Ende" der Familie sehen oder umgekehrt, ein Beispiel für die Anpassungsfähigkeit neuer Bedürfnisse. Hinter diesen Einstellungen kann man eine stillschweigende Art "Familie" zu definieren bemerken. Die Befürworter der "Krise der Familie" in Polen sehen alternative Typen mit Feindseligkeit und pflegen eine sehr restriktive und exklusive Definition. Für sie Familie ist nur ein heterosexuelles Paar mit eigenen biologischen oder adoptierten Kindern.

Leider ist diese "klassische und universalistische" Meinung, wie sie von Befürwortern genannt wird, in den meisten Lehrbüchern der Soziologie von Ehe und Familie in Polen weit verbreitet. Trotz aller Debatten über Familie in den meisten klassischen soziologischen Definitionen verbleibt ein gewisser Zweifel an der Gültigkeit. Dementsprechend muss Familie für eine biologische Kontinuität in der Gesellschaft sorgen und ein gesellschaftliches Erbe hinterlassen.

Die Überzeugung, dass eine Familie ist um ein Kind herum gebaut ist, herrscht auch in vielen Meinungsumfragen in Polen. Zum Beispiel in der CBOS Umfrage von 2006. In der frage "Welche Art von Beziehung zwischen Menschen würden Sie als Familie bezeichnen und welche nicht?" antworteten alle Befragten, dass ein Ehepaar mit Kindern als Familie gilt. Alleinerziehende Eltern waren für 89% der Befragten eine Familie, während 71% Menschen in einer Beziehung mit Kindern betrachteten. Ehepaare ohne Kinder galten für 67% als Familie aber ein unverheiratetes und kinderloses Ehepaar galt lediglich für 26% der Befragten als Familie. Die Antworten ändern enorm, wenn es um gleichgeschlechtliche Beziehungen geht. Ein gleichgeschlechtliches Paar, das Kinder erzieht galt nur für 9% der Befragten als familie, und ein kinderloses gleichgeschlechtliches Paar sogar nu für 6%. Früher war es die Fortpflanzungsfunktion, die automatisch gleichgeschlechtliche Beziehungen als Familien eliminierten. Doch angesichts vieler gesellschaftlicher Veränderungen als Folge von unter anderem der Frauenemanzipation und der Trennung von Sexualität und Fortpflanzung, sollte man von allen Rollen, die Familie in der Vergangenheit definierten - Fortpflanzung, Kindererziehung, wirtschaftliches und intimes - das letzte nämlich die emotionale Unterstützung, die Nähe und gegenseitige Kommunikation der eigenen Bedürfnisse die bedeutendste sein.

 

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