Die Bedeutung von Sprache im Informationszeitalter - Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, Parlieren ist Platin!

Die Tatsache das wir in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen alle Lesen und Schreiben können haben wir nicht zuletzt dem vergangenen Industriezeitalter zu verdanken. Auch wenn es hier und dort in deutschen Landen schon seit Jahrhunderten eine Schulpflicht für alle Mädchen und Buben gibt, so wurde sie erst 1919, also in der Zeit der Weimarer Republik, für das ganze Land eingeführt. In einer Zeit in der die verschiedensten Arbeitsprozesse nach und nach automatisiert wurden (Maschinen, Fließbänder etc.) war es notwendig, den Arbeitern ein grundlegendes Verständnis der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln, damit sie den neuen Aufgaben ausreichend gewachsen waren.

 

Wie ist es heute? Das Industriezeitalter ist vorbei! Das Informationszeitalter hat begonnen und verlangt den Menschen in unserem Land wieder völlig Neues ab. Das lebenslange Lernen, für den Beruf oder das Leben,  ist für viele Menschen bereits Teil des Alltags. Neben der Muttersprache zumindest auch die englische Sprache zu beherrschen ist in der freien Wirtschaft eine selbstverständliche Grundvoraussetzung für eine Anstellung in einem Job mit Führungsverantwortung. Der Einsatz von Muskelkraft nimmt immer weiter ab, ebenso das stereotype Arbeiten am Fließband. Gehirnschmalz ist gefragt um Maschinen zu bauen, die uns von der Plackerei schwerer körperlicher Arbeit befreien und unsere Mitmenschen nach und nach an den Fließbändern ersetzen.

Wie diese Tatsachen zu bewerten sind, soll NICHT Thema dieses Artikels sein. Auch nicht die Frage, ob es sich tatsächlich um Tatsachen handelt. Jeder muss sich hier wohl eine eigene Meinung bilden.

Und unsere Sprache? Ist die gute Beherrschung unserer Sprache heute nicht mehr denn je unser wichtigstes Werkzeug wenn es darum geht dass wir uns behaupten? Stärkt ein gutes Ausdrucksvermögen nicht unser Selbstbewusstsein und steigert unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie auch im Privatleben? Lässt sich nicht jeder von uns dann und wann von einem hervorragenden Rhetoriker blenden oder unterschätzt einen Menschen nur weil er weniger gut mit dem gesprochenen Wort umgeht?

 

Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht! Was ich aber durch meinen Beruf als Sprachtherapeut sehr genau weiß ist, dass dies die Bedenken hunderttausender Eltern in Deutschland sind, wenn sie an die Zukunft ihrer Kinder denken. Sie lassen sich schnell verunsichern und reagieren dann und wann sogar panisch, wenn sie eine Sprachentwicklungsverzögerung bei ihrem Nachwuchs vermuten.

 

Die folgenden Absätze sollen vor allem aufklären, beruhigen und auffordern! Auffordern dazu, aktiv an der Sprachentwicklung des Kindes teilzuhaben, unverkrampft, mutig und ohne verbissen zu sein. Alle Eltern sollen die Chance haben die sich entwickelnde Sprache als ein kleines Wunder und ein großes Geschenk wahrzunehmen - dazu sind Kinder schließlich da!

Was ist der Beitrag der Eltern?

Sprechen will gelernt sein! Wirklich bewusst wird uns das erst beim Erlernen einer Fremdsprache. Aber auch unsere Muttersprache wird nur dann von uns gelernt, wenn sie eingeübt wird. Ohne uns Erwachsene als sprachliche Vorbilder, findet ein Kind nicht zur Sprache. Besonders beeindruckend und gleichzeitig tragisch führt die Geschichte und dies bei "Wolfskindern" oder dem "Kaspar-Hauser-Syndrom" vor Augen (http://de.wikipedia.org/wiki/Kaspar_Hauser).

Kinder zwischen 0 und 6 Jahren, der ersten Phase der Sprachentwicklung, benötigen also die Hilfe sprachlicher Vorbilder - idealerweise ihrer Eltern. Vieles passiert hierbei wahrscheinlich instinktiv richtig und ist mit wenig Aufwand umzusetzen:

  • Hören Sie zu wenn ihr Kind etwas erzählt!!!
  • Schauen Sie ihr Kind an, wenn es etwas erzählt!
  • Unterbrechen Sie ihr Kind nicht, wenn es etwas erzählt!

Kinder sind in der Regel neugierig und wollen etwas erzählen. Manchmal ist der Drang etwas zu erzählen kaum zurückzuhalten.Zeigen Sie, dass Sie wissen möchten, was es zu berichten gibt, egal ob das Kind sich schon verständlich ausdrücken kann oder nicht. Dadurch erfährt das Kind Wertschätzung und Geborgenheit und wird sich auch in Zukunft gerne äußern. Natürlich bedeutet dies aber nicht, dass das Kind nach Lust und Laune zu jeder Zeit losquatschen darf! Es gibt Gesprächsregeln deren Einhaltung von Anfang an eine hohe Priorität haben sollte (z. B. "wir lassen erst den Einen aussprechen, bevor der Andere reden darf!").

Anderes wiederum erfordert Tatkraft, die aber meistens Spaß macht:

  • Singen Sie für das Kind - vom ersten Tag an!
  • Singen Sie mit dem Kind - sobald es mitsingen kann!
  • Lassen Sie Ihr Kind keine falsch ausgesprochenen Wörter wiederholen!
  • Schauen sie altersgerechte Bilderbücher zusammen an!
  • Verbalisieren Sie; erzählen Sie Ihrem Kind was Sie gerade tun!
  • Seien Sie ein Vorbild: Versuchen Sie deutlich zu sprechen*!
  • Lassen Sie die Glotze aus! Klein- und Kindergartenkinder verpassen absolut gar nichts, wenn sie nicht in den Fernseher schauen!

*Wenn Sie einen Dialekt sprechen - belassen Sie es dabei! Dialekte sind kulturelle Schätze die ein Stück weit die Identität eines Menschen fördern. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Kinder aus der Oberpfalz oder dem Rheinland größere Probleme bei der Sprachentwicklung haben als Kinder aus Hannover oder Hildesheim. 

Meilensteine der Sprachentwicklung - Sind wir auf Kurs?

Werden wir konkret! Kinder haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Manche sind schneller als Andere und Andere brauchen etwas mehr Zeit als manche.

Was aber ist "im Rahmen"? Kann man bei Millionen von Kindern verlässliche Aussagen darüber treffen, ob sich ihre Sprache normal entwickelt? Die eindeutige Antwort lautet: JEIN!

Zum normalen Verlauf der Sprachentwicklung haben wir aber Anhaltspunkte, die ich weiter unten aufführen möchte! 

Vor der Geburt - Der große Lauschangriff!


Am Anfang war... das Wort! Jedoch keineswegs das Gesprochene, sondern das Gehörte. Die Entwicklung eines Kindes beginnt schließlich im Mutterleib - das ist mit der Sprache nicht anders. Allerdings müssen hier gewisse Barrieren überwunden werden. Unter Wasser spricht es sich einfach schlecht. Egal ob Regenwasser, Brackwasser oder Fruchtwasser - wenn wir den Mund damit voll haben, klingt alles nach einem "Geräusch", nicht nach einer Sprache. Deshalb beschränkt sich der Fötus notgedrungen auf das Hören. Ab der 25. Schwangerschaftswoche ist es soweit: Ohr, Hörnerv und Gehirn sind einsatzbereit und von jetzt an in der Lage, Sprache wahrzunehmen, in erster Linie die unserer Mutter. Ob das Ungeborene aber auch schon in der Lage ist bewusst "wegzuhören", wie es ältere Kinder gerne tun, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

Übrigens: Ein Neugeborenes erkennt die Stimme seiner Mutter sofort! Gleiches gilt für seine Muttersprache. Ein Baby merkt sofort wenn etwas "faul" ist. Woher wir das wissen? Selbstverständlich gibt es weder Augen- noch Ohrenzeugenaussagen. Kein Mensch kann sich an den Moment seiner Geburt erinnern. An die damals im Kreißsaal gesprochene Sprache erst recht nicht. Nein, die Vitalwerte wie zum Beispiel der Puls verändern sich geringfügig, je nachdem ob die Mutter spricht oder der Oberarzt. Außerdem schreien die Kinder bereits in ihrem Dialekt - richtig gehört! Ein Kind chinesischer, französicher oder indischer Eltern schreit tatsächlich anders als ein Kind deutscher Eltern - sofern diese Deutsch und die anderen Eltern Kantonesisch, Französisch oder Hindi sprechen. 

  

Die Monate 0 bis 12 - Garantiert nichts für schwache Nerven!

Da hat man solange auf den Nachwuchs gewartet und dann ist es tatsächlich soweit. Irgendwie hat man sich, gerade beim ersten Kind, die Tage und Wochen des vollkommenen Glücks aber etwas anders vorgestellt - irgendwie... naja... glücklicher halt!

Während sich die Freunde, Oma und Opa und alle anderen Besserwisser seelig über das Baby beugen um es bis zur Besinnungslosigkeit zu knuddeln und abzuknutschen, wächst in den frisch gebackenen Eltern zunehmend der Wunsch nach einem ruhigen Fleckchen Erde auf dem sie das kommende Jahr verbringen können.

Zugegeben: Ganz so schlimm ist es wohl in den seltensten Fällen. Dass das Baby allerdings oftmals hemmungslos von seinem neu entdeckten "Schreiapparat" Gebrauch macht, lässt den Einen oder die Andere manchmal verzweifeln. Dabei gibt es auch hier sehr viel zu entdecken. Zum Beispiel die Art und Weise WIE geschrien wird. 

  • 7. Lebenswoche: Das Baby beginnt zu "gurren" - besonders wenn es ihm gut geht. Die Laute werden meist hinten im Kehlkopf gebildet und haben noch keine große Ähnlichkeit mit unseren Vokalen und Konsonanten.
  • 4. Lebensmonat: Ab jetzt wird ausprobiert! Quer durch die Bank werden Zunge, Gaumen, Kiefer, Kehlkopf und Wangen dazu genutzt, Laute zu produzieren; weiterhin ohne Rücksicht auf unsere Vokale und Konsonanten. Das macht Spaß und fördert die taktil-kinästhetische Wahrnehmung.
  • 6. Lebensmonat: Wir kommen der Sache näher! Ohne Sinn und Verstand, dafür aber mit viel Fleiß werden jetzt erste Silben produziert, die einen Bezug zu unserer Sprache haben. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um einen Plosivlaut (t,d,g,k,b,p - die heißen deshalb so, weil sie "exPLOSIV" aus unserem Mund geschossen kommen) und einem offenen Vokal (a oder o) Beispiele: "bababababa", "totototototo".
  • 9. Lebensmonat: Die Silben werden nun variiert (z. B. "katowe", "botabo"). So langsam beginnt auch eine erste Anwendung von Betonung auf die Silben.
  • 12. Lebensmonat: Das erste Wort!

ACHTUNG - es handelt sich bei dieser kurzen Zusammenfassung nicht um Regeln sondern lediglich um Orientierungshilfen.

Wenn sich das Kind ein paar wenige Monate länger Zeit nimmt um sein erstes Wort zu produzieren bedeutet das noch lange nicht, dass etwas in der Kindesentwicklung nicht in Ordnung ist. Ebenso wenig sollte man das Nobel-Komitee über die Geburt eines Universalgenies informieren, nur weil der oder die Kleine sein erstes Wort schon mit zehn Monaten gesprochen hat.

Das zweite Lebensjahr - Jetzt geht es richtig los!

Während wir von unserem Nachwuchs im ersten Lebensjahr jede Menge Verwirrendes und Unverständliches gehört haben, so schreitet die Entwicklung des Wortschatzes im zweiten Lebensjahr mit großen Schritten voran.

Es werden zu diesem Zeitpunkt aber nur einzelne Worte gesprochen und noch keine Sätze gebildet.

  • 12. - 18. Lebensmonat: Die ersten 50 Worte werden gelernt - das bedeutet aber nicht dass diese auch sofort gesprochen werden!
  • 18. - 21. Lebensmonat: Der "Wortschatzspurt" beginnt und die Kinder merken, dass alle gesprochenen Wörter einen Sinn und Zweck erfüllen. Von diesem Moment an beginnen Sie, sehr schnell immer mehr Wörter zu gebrauchen.

Eine genaue Einschätzung des Wortschatzes ist schwierig weil man natürlich nie genau wissen kann welche Worte ein Kind tatsächlich kennt. Wir Erwachsenen kennen schließlich auch sehr viele Wörter, die wir nicht benutzen und benutzen oftmals Wörter, deren Bedeutung uns nicht oder nur unzureichend klar ist.

Die Jahre 3 bis 6 - Hop oder Top?

Worte sind okay - jedenfalls eine Weile. Wenn ein Kind aber älter wird erwartet man, dass es sich in ganzen Sätzen ausdrücken kann. Als Faustregel gilt: Die Anzahl der Wörter in einem Satz richten sich nach Alter des Kindes in Jahren. Ein zweijähriges Kind sollte also in der Lage sein, einen Zweiwortsatz zu formulieren (z. B. "Mama trinken!).

 

Ein sechsjähriges Kind hingegen muss ganz andere Anforderungen erfüllen. Damit man keine Sorge haben muss, dass der Schriftspracherwerb durch das Sprechen negativ beeinflusst wird, müssen alle Sprachlaute korrekt gebildet werden. Darüber hinaus muss das Kind einen ausreichend großen Wortschatz haben, um sich differenziert ausdrücken zu können und eine Grammatik beherrschen, um einen Sachverhalt in der richtigen Zeitform und mit der richtigen Anzahl von Personen darzustellen. Kurzum: Es sollte schulreif sein!

 

  • 30 Lebensmonat: Das Kind macht von dem Wort "ich" Gebrauch.
  • ab 3 Jahre: Neben den Nomen und wichtigen Verben kommen nun auch Pronomina, Präpositionen und Adjektive dazu, die eine gezieltere Nutzung der Sprache erlauben.
  • 4 - 5 Jahre: Die Sprache des Kindes ist nun auch für Personen außerhalb der Familie und des Kindergartens gut zu verstehen, es werden Mehrwortsätze gebildet, manchmal kommt es bei einzelnen Lauten noch zu Auslassungen oder Unsicherheiten (z. B. "Kalle" statt "Kralle").
  • 6 Jahre: Die erste Phase der Sprachentwicklung ist abgeschlossen. Der Wortschatz enthält viele tausend Wörter, die auch benutzt werden können. Die Konsonanten und Vokale der deutschen Sprache werden korrekt gebildet, die Grammatik ist bei einfachen Sätzen fehlerfrei.

Natürlich gilt auch hier wieder: Nehmen Sie die Zeitpunkte nicht zu genau! Nur weil sich ein Kind langsamer entwickelt ist es noch kein Grund zur Beunruhigung. Wenige Monate die das Kind hinter den aufgeführten Meilensteinen zurückliegt, sind kein Grund zur Panik!

Der Lauterwerb - (Phonemerwerb Fox 2003)

Zu guter Letzt noch eine kleine Übersicht über einen sehr wichtigen Aspekt der Sprachentwicklung: Ab wann sollte welcher Laut vorhanden sein?

 

  • bis 23 Monate: m, p, d
  • bis 30 Monate: n, b
  • bis 35 Monate: w, f, l, t, ng, ch (wie in "BuCH"), h, k, s
  • bis 42 Monate: j, r, g, pf
  • bis 47 Monate. ts
  • bis 54 Monate: ch (wie in "BüCHer")
  • bis 59 Monate: sch

Fazit - Ein kleines Wunder

Beim Thema Sprache und Spracherwerb sind viele Dinge zu berücksichtigen: Die Sprachlaute, die Grammatik, der Wortschatz usw. usw. Das Berücksichtigen all´ dieser Faktoren kann aber nicht die Aufgabe der Eltern sein. Für Fälle in denen es nötig sein sollte sind Logopäden, klinische Linguisten und andere Sprachtherapeuten die richtigen Ansprechpartner.

Dieser Artikel ist für Eltern, werdende Eltern und alle anderen interessierten Erwachsene geschrieben, die sich aus privatem Interesse für das Thema Spracherwerb interessieren. Ich hoffe es ist mir gelungen dem Einen oder Anderen eine kleine Orientierungshilfe zu diesem Thema zu geben und freue mich sehr über Ihre Kommentare.

Autor seit 11 Jahren
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