WM-Krake Paul: der Werdegang eines modernen Orakels
Auch die größten Propheten müssen einmal gehen. Was wurde eigentlich aus Paul, dem Orakelkraken?Ein achtarmiger Held
Wie? Indem er drei weit verbreitete menschliche Schwächen – Wettfreude, Fußballleidenschaft, Zukunftsspekulation – für sich nutzte und sie als Orakel kombinierte. Im Jahr 2010 sagte Paul den Ausgang der deutschen Fußballspiele sowie das Finale der Weltmeisterschaft vorher und orakelte sich mit einer Trefferquote von 100 Prozent berühmt.
Der Ausnahmekrake, der im Sea Life Oberhausen lebte, arbeitete im Home-Office und war weder auf Kristallkugeln noch auf Engelkontakte angewiesen. Seine Utensilien bestanden aus zwei völlig irdischen, mit Nationalflaggen beklebten Behältern, die mit Miesmuscheln befüllt wurden. Sobald das Orakel vor einem Fußballspiel eine Muschel aus einer der Boxen fischte, legte es mit seiner Wahl den Sieger fest.
Paul, das Krakenorakel, in seinem Zuhause Sea Life Oberhausen
Bild: Tilla, wikimedia (Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode)
Ruhm schon zu Lebzeiten
Anders als so mancher Prophet musste Paul nicht erst sterben, um Anerkennung zu finden. Neben zahlreicher Fanpost, neugierigen Besuchern und einem riesigen Medienecho wurde er noch zu Lebzeiten zum "Lieblingsfreund" der nordwestspanischen Kleinstadt Carballiño ernannt. Der feierliche Akt, initiiert vom überglücklichen WM-Sieger Spanien, wurde mit einer silbernen Urkunde und einer bronzenen Statue besiegelt. Doch damit nicht genug: Der orakelnde Meeresbewohner erhielt zur Krönung ein eigenes Trikot vom offiziellen Trikot-Lieferant der spanischen Fußball-Nationalmannschaft.
Wer sich in der heutigen Zeit gut vermarkten möchte, darf sich nicht nur auf das Analoge beschränken. Das wusste auch Paul, denn er lebte zwar hinter einer Scheibe, aber nicht hinter dem Mond. Selbstverständlich also, dass er Social Media nutzte und ein Profil bei Facebook besaß, mit dem er fleißig postete. Neben seiner Privatseite wurden zahlreiche öffentliche und Fan-Seiten unterhalten.
1:0 für den Tod
Auf den Tag genau nach 33 Monaten war es aus mit Paul: Der 26.10.2010 sollte der letzte Tag des berühmten Kraken sein. Die Medien überschlugen sich mit der Todesnachricht und auf Facebook wurde kurzerhand die Gemeinschaft "R.I.P. Paul das orakel" [sic!] gegründet. Doch wie ehrt man ein verstorbenes Orakel in einer Zeit, in der Prophetie außerhalb der Kreise von AstroTV selten Beachtung findet?
Mit einem großen Denkmal und einer blattgoldverzierten Urne, dachten sich zumindest die Betreiber von Sea Life Oberhausen. Die Umsetzung dieser Pläne erfolgte bereits im Januar 2011, wo das Ergebnis feierlich enthüllt wurde: Unter einem roten Tuch kam ein menschhoher Fußball zum Vorschein, der mit Flaggen verschiedener Länder versehen war. Auf ihm thronte ein Krake, dessen Tentakeln den Ball umarmten. Die Urne befand sich hinter einem kleinen Fenster, das im Denkmal eingelassen war.
Und danach? Aus und vorbei? Keineswegs!
Statt Orakel oder Publikumsliebling zu werden, landen Kraken häufig auf Speisetellern.
Bild: Pixabay
Pauls Seele lebt weiter – auch ohne Kirchensteuern
Auch wenn die Religiosität von Kraken wenig erforscht ist, sind sich die Spirituellen unter uns sicher: Pauls Seele lebt weiter! Und das nicht irgendwo, sondern im Internet. Sein jenseitiges Ich nennt sich nun "Kraki" und stellt seine Orakelkünste auf verschiedenen Webseiten zur Verfügung.
Das virtuelle Orakeln ist noch unkomplizierter als zu Lebzeiten. Der Ratsuchende tippt einfach zwei Optionen ein, Klick, und Kraki lässt die Antwort auf dem Bildschirm erscheinen – sogar ganz ohne Leckerli.
Das Jenseits bietet einen weiteren Vorteil: durch den erweiterten Horizont beschränken sich Krakis Vorhersagen nicht mehr auf den Fußball.
Beförderung nach dem Tod
Dank der Fähigkeit, nun Entscheidungshilfen in allen Lebenslagen geben zu können, ist Kraki in der Hierarchie der Orakel aufgestiegen und hat es bis in den Astrolymp geschafft.
Wer auf http://www.astrolymp.de/krakenorakel/ nach Rat sucht, dem wird schnell klar: Auch virtuelle Geister lieben hin und wieder den großen Auftritt und inszenieren sich selbst. Statt zügig eine Vorhersage zu treffen, bietet das Orakel eine kleine Show. Während es zunächst nachdenklich über zwei Schatztruhen schwebt, fallen nach Eingabe der Frage zwei Meerestiere in die Kisten. Sind diese wieder verschlossen, schwebt Kraki langsam nach unten und wechselt dabei derart blitzartig die Farben, dass er mit einer wild gewordenen Discokugel verwechselt werden könnte. Endlich am Boden angekommen, öffnet sich eine der Truhen und ein Zettel mit der Antwort kommt zum Vorschein.
Kraki, der Entdecker von Atlantis?
Genau wie die griechischen Götter scheint auch Kraki es nicht dauerhaft auf dem Olymp auszuhalten; viel zu sehr locken die Abenteuer und Reisen. Während einer seiner Ausflüge muss er das sagenumwobene Atlantis entdeckt haben, denn auch dort bietet er seine Show unter dem Künstlernamen "das mystische Krakenorakel von Atlantis" an.
Starallüren hin oder her, Gier kann man ihm nicht vorwerfen: Wie auf der Seite http://www.astrolantis.de/kraken-orakel.php extra betont wird, sind seine Vorhersagen kostenlos.
Das Denkmal für den verstorbenen Paul.
Bild: Christophe95, wikimedia (Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode)
Paul und die WM 2014
Vier Jahre nach Pauls Tod fand die nächste Fußball-Weltmeisterschaft statt. Scheinbar konnte er es nicht ertragen, die Vorhersagen anderen Orakeln zu überlassen. Zumindest beim Spiel Belgien gegen Algerien erschien der Krake – dieses Mal wieder unter dem Namen "Paul" – auf der Startseite von Google und meditierte über zwei Kisten mit den Flaggen der zwei Gegner.
Man darf gespannt sein, was zur WM 2018 passiert. Vielleicht meldet sich Paul via Twitter?
Bildquelle:
a.sansone
(Kapern - Woher sie kommen, wie sie aussehen und wo sie besonders gu...)