Wolfgang Martynkewicz: "Tanz auf dem Pulverfass". Rezension
"Gottfried Benn, die Frauen und die Macht". So lautet der Untertitel einer neuen Biografie über Benn. Bei diesem Thema bleibt die Dichtung im Hintergrund.
Gottfried Benn, wie immer abgebildet im Alter, als hehrer Dichter.
Foto: Aufbau Verlag
Verfallene Frauen
Ob Else Lasker-Schüler, Thea und Mopsa Sternheim, Elinor Büller oder Tilly Wedekind und viele Überberbrückungsallianzen mehr – alle hingen sie für einen Lebensabschnitt an Benn, aus den unterschiedlichsten Gründen, vornehmlich aus geistigen. War es wirklich nur die Berauschtheit von der durchaus ungewöhnlichen Literatur? Aufgrund einer geistigen Zuneigung muss noch lange keine sinnliche, an die Zentren des Herzens greifende Liebe resultieren. Doch manche Frauen waren ihm regelrecht verfallen - die ihr Leben lang mit Drogenproblemen behaftete Mopsa Sternheim beging wegen ihm einen Selbstmordversuch – aber der Autor kann nirgendwo klarmachen, woher das kam. Benn, der immer wieder seine gesellschaftliche Unzugehörigkeit privat und öffentlich proklamierte, wird als weitgehend uncharmant geschildert, hölzern im Anzug, steif, aber mit aristokratischen Attitüden, obwohl er das Bürgertum, das gehobene zumal, zeit seines Lebens ablehnte, ja verachtete –: der sich in mythisch-trunkene Gefilde verlierende Form-Spezialist war und blieb ein Kind des literarischen Expressionismus, was dem Aufstiegswilligen im 3. Reich zum Verhängnis wurde. Und er war gewillt mitzumachen – bis man zu entdecken glaubte, dass er, der vielleicht gerne zum Stardenker avanciert wäre, doch unter völkischem Substanzverlust litt und ein wenig entartet sei und nicht dazugehört.
Nazi vor der Zeit, in der Zeit nicht mehr
Das Buch hat den Vorteil, dass es eine Menge Zeitgeschichte mitliefert. Beispielsweise erfährt man viel über die zeitliche politische Einbettung nebst zahlreichen Detailinformationen, darüber hinaus kommen literarische Strömungen zur Geltung, höchste Privates auch, und viel über die Familie Carl Sternheim und ihre zackigen Umzüge, die sich an monetären und politischen Richtlinien orientieren, daneben die zahlreich eingestreuten Tagebuch-Einträge von Thea und Mopsa, die doch einiges an Sensibilität und politischer Voraussicht beinhalten. Mopsa, von Beginn an hochgefährdet, war frühreif und eine gute Beobachterin, wurde leider fast nie vom kühlen Rausch-Ingenieur in den Arm genommen. Nur: Was haben Benns Liebschaften, von denen die Ehen ausgeklammert werden, mit Benns unwiderstehlichem Hang zum Nazismus zu tun? Rein gar nichts - Hedonismus gibt es in allen Systemen und erklärt rein gar nichts. Interessant wird es bei der Untersuchung von Benns geistesgeschichtlicher Herkunft, und die bewegt sich in Marinettis reaktionärem, künstlerisch progressiv gedachtem Futuristischem Manifest, in Nietzsches dionysischem Taumel, in Oswald Spenglers modernem Cäsarismus, im irrationalen Schicksal, im Volksgeschick und tragischer Größe der Auserwählten. Tragisch war Benn nie – er ist eher eine tragische Gestalt, die politisch desaströs entgleiste und nur durch die Kunst errettet werden konnte. Insofern versuchen etliche Kritiker, ihn aufgrund ästhetischer Verzückung zu retten und das Politische herunterzuspielen. Das Verdienst von Martynkewicz ist es, die schon früh manifesten politischen Abgründe des Dichters sichtbar zu machen. Mit dem richtungslosen Frauenverbrauch hat das freilich nichts zu tun.
Wolfgang Martynkewicz: "Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht".
Aufbau: Berlin 2017, 351 Seiten.
Bildquelle:
W. Zeckai
(Wie macht man eine Lesung erfolgreich?)