Die Gründe für die Einführung des Privatfernsehens

Bei der Einführung des Privatfernsehens ging es vordergründig darum, dem Fernsehpublikum eine größere Programmvielfalt zu bieten. In Wirklichkeit ging es um Politik. So galt das öffentlich-rechtliche Fernsehen bei der damals regierenden schwarz-gelben Koalition als linkslastig. Vor allem die CDU mit ihrem Vorsitzenden Bundeskanzler Helmut Kohl erhoffte sich deshalb vom Privatfernsehen eine für sie günstigere Medienlandschaft und außerdem Unterstützung für die von ihr angestrebte "geistig-moralische Wende". Ihr wichtigster Mitstreiter war dabei Medien-Tycoon Leo Kirch. Die Kirch-Kohl-Allianz erwies sich dann auch über die gesamte Kohlsche Regentschaft als produktiv in beide Richtungen: Kohl konnte auf Hilfe im Wahlkampf rechnen, und die Kirchgruppe konnte ihr Fernsehimperium ausbauen. Die Rechnung der schwarz-gelben Regierung, dass die privaten Fernsehsender einen "rechten" politischen Gegenpol zum "linken" öffentlich-rechtlichen Fernsehen bilden könnten, ging jedoch nicht auf. Die Privatsender setzten überwiegend auf unpolitische Programminhalte.

Tabubruch als Methode

Das Programm der privaten Fernsehsender ist zwar explizit unpolitisch, es dient also keinem erkennbaren politischen Auftrag, doch das private Fernsehen hat es dennoch "in sich" und enthält - wie zu zeigen sein wird - implizit bestimmte politische Botschaften. Und zwar geht es hier zunächst um die Methode, die dem Privatfernsehen zugrundeliegt. Dabei handelt es sich nämlich um den inszenierten, den kalkulierten Tabubruch. Ein besonders prägnantes Beispiel dafür waren die täglichen Talkshows, die vor allem in den neunziger Jahren sehr beliebt waren. Hier wurden von den Gästen vorwiegend intime und zuweilen peinliche Details von Beziehungen ausgebreitet und sehr private und persönliche Einstellungen und Haltungen anderen Menschen gegenüber beschrieben. Und dabei wurden Bloßstellungen, Beleidigungen, ein Lächerlichmachen von Menschen von den Moderatoren nicht nur geduldet, sondern oft sogar bewusst provoziert. Dies führte sogar zu Sanktionen der Medienaufsicht der Landesmedienanstalten. Ein anderes wichtiges Beispiel sind die – immer noch beliebten - Sendungen "Big Brother" und "Dschungelcamp", wo die Bewohner eines vollüberwachten Containers komplett auf Intimsphäre verzichten und prominente Kandidaten im australischen Busch mit ekligem Getier und den Marotten ihrer Mitstreiter kämpfen. Sehr populär sind auch nach wie vor die Sendungen "Deutschland sucht den Superstar", in der mehr oder minder begabte Nachwuchssänger/innen um die Gunst des Publikums buhlen und dabei Gefahr laufen, vor laufender Kamera von Chef-Juror Dieter Bohlen "fertig gemacht zu werden", und die Sendung "Germany's next Topmodel", in der sich hübsche junge Mädchen, angefeuert durch "Model-Mama" Heidi Klum, einander "auszustechen" versuchen, um sich das Sprungbrett für eine Karriere als Model zu sichern.

Grundsatzkritik

Die Kritik am Privatfernsehen war von Anfang an harsch. Die Hauptvorwürfe lauten, das private Fernsehen sei Ausdruck einer negativen Kulturrevolution, es verblöde und entpolitisiere, es sei geschmacklos, lenke von Missständen ab und diene so der gesellschaftlichen Befriedung. Altbundeskanzler Helmut Schmidt fand das Privatfernsehen sogar "gefährlicher als Kernenergie". Nach Expertenmeinung kommt in dieser Kritik vor allem das Unbehagen darüber zum Ausdruck, dass im Privatfernsehen all das ins Rampenlicht gezerrt wird, was sich früher verstecken musste. Denn im Privatfernsehen dürfe jeder Dummkopf seine Meinung vor dem Mikrophon kundtun, jeder Trottel könne sich in Szene setzen. Zudem würden zahlreiche Fernsehsendungen vorgaukeln, sie könnten Menschen konkret in allen Lebenslagen helfen: Ob es um Erziehung oder Schulden geht, um Liebeskummer oder ums Wohnen. Dabei ginge es in diesen Sendungen gar nicht um wirkliche Hilfe, sondern nur um die Erhöhung der Quote. Und das ist ja beim Privatfernsehen generell der Hauptzweck. All die inszenierten Skandale, Tabubrüche und Geschmacklosigkeiten dienen einzig und allein dem Ziel, die Zahl der Zuschauer zu erhöhen, denn je mehr Zuschauer, desto höher die Werbeeinnahmen.

Was bewegt die "Selbstdarsteller" bzw. welchen Zweck erfüllen sie?

Wenn man sich vor Augen führt, dass es in einem Großteil der Sendungen im Privatfernsehen darum geht, dass sich Kandidaten, die sich freiwillig gemeldet haben, einen gnadenlosen Wettkampf liefern und sich dabei Beleidigungen und Demütigungen aussetzen, fragt man sich, warum sich die Betreffenden "das antun". Nach Expertenmeinung spielt hier zum einen Exhibitionismus eine große Rolle, zum anderen aber auch der Umstand, dass immer mehr Menschen Probleme haben, im Alltag Beweise für Ihre eigene Identität zu finden und sich deshalb von ihrem Auftreten im Fernsehen eine Art Existenznachweis erhoffen, nach dem Motto: 'Ich existiere, weil ich im Fernsehen gezeigt werde'. Wahrscheinlich spielt hier auch eine Rolle, dass vor allem die Wettbewerbssendungen suggerieren, jeder könnte ein "Star" werden und "den Aufstieg nach oben schaffen", wenn er sich nur genügend anstrengt. Hier hat wohl der berühmt-berüchtigte "amerikanische Traum" Pate gestanden, demzufolge für jedermann/jedefrau der Aufstieg "vom Tellerwäscher zum Millionär" möglich ist. Man könnte aber auch sagen, dass die Kandidaten benutzt werden, um den Zuschauern die Botschaft zu übermitteln, dass sich jedermann/jedefrau in Selbstvermarktung üben und dabei versuchen muss, die Konkurrenten zu übertrumpfen, um in der marktradikalen Gesellschaft der Gegenwart bestehen zu können. Insofern sind die Wettbewerbssendungen auch Ausdruck von Sozialdarwinismus und Entsolidarisierung. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass das Privatfernsehen eingeführt worden ist, als der Siegeszug der neoliberalen Ellenbogengesellschaft begann.

Das Geheimnis des Erfolgs beim Publikum

Bei den Zuschauern, die sich an den Sendungen des Privatfernsehens ergötzen, spielen sicherlich Sensationsgier und Voyeurismus eine Rolle. Ein anderer wichtiger Grund für den Erfolg des Privatfernsehens besteht nach Expertenmeinung in dem Gefühl der Macht, das die Zuschauer bei den Sendungen genießen, in denen mehrere Kandidaten miteinander konkurrieren. Denn hier entscheiden die Zuschauer mit ihrer Stimme über Erfolg oder Misserfolg der "Möchtegernstars". Ob die talentlose Niete zum Superstar wird, hängt also von der Macht der Zuschauer ab. Das heißt: Die Zuschauer bewirken eine Schöpfung aus dem Nichts, wie sie bisher Gott vorbehalten war, und genießen damit eine Machtfülle, von der sie in ihrem Alltagsleben nur träumen können. Dies verweist auf einen weiteren Grund für den Erfolg des Privatfernsehens, nämlich die Möglichkeit der Flucht aus einer wenig erfreulichen Realität. So sind die Sendungen im Privatfernsehen für viele Zuschauer ein Ersatz für ihr trostloses Leben. Dabei geht es vor allem um die Zielgruppe der Jugendlichen, Hausfrauen, Arbeitslosen und Rentner. Das Privatfernsehen wird deshalb auch als Unterschichtenfernsehen bezeichnet.

Negative Auswirkungen auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen

Am öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist die Einführung des Privatfernsehens nicht spurlos vorübergegangen. So wird immer wieder kritisiert, es gleiche sich zu sehr den "seichten" Kommerz-Anbietern an - bis hin zu "Telenovelas", es bediene sich also immer mehr der Methoden und Formate, die man bisher nur aus dem Privatfernsehen kannte. In diesem Zusammenhang ist von einer Boulevardisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens die Rede. Als besonders bedenklich erscheint hier die Tendenz, dass als Reaktion auf den Erfolg des Privatfernsehens Magazine und Nachrichtensendungen eingeführt werden, bei denen Information und Unterhaltung miteinander vermischt sind, bei denen also das sogenannte Infotainment im Vordergrund steht. Es wird befürchtet, dass dadurch der Informationsgehalt und damit das Niveau der Berichterstattung so stark reduziert werden, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Aufklärungs- und Bildungsfunktion nicht mehr erfüllen kann. So stehen, wie es ein Kritiker formuliert hat, mittlerweile die Boulevardmagazine von ARD und ZDF den privaten Sendern an der Präsentation von Banalitäten in nichts nach.

Die "Entertainisierung" der Gesellschaft

Der amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman hat in seinen Büchern "Wir amüsieren uns zu Tode" und "Das Verschwinden der Kindheit" die negativen Auswirkungen des Fernsehens auf Kultur und Gesellschaft analysiert. Da, wie bereits angedeutet wurde, das Fernsehen in den USA von Anfang an privat war, hat er hier Entwicklungen beschrieben, die infolge der Einführung des Privatfernsehens den europäischen Ländern noch "blühen" könnten. Und zwar besteht für Postmann das grundlegende Problem nicht darin, dass das Privatfernsehen den Zuschauern unterhaltsame Themen präsentiert, sondern für ihn ist in höchstem Maße problematisch ist, dass jedes Thema als Unterhaltung präsentiert wird und wie dies geschieht. Das heißt: Jedes Thema wird in ein Unterhaltungsformat gequetscht, und das, was gesagt oder gesprochen wird, ist fast immer zweitrangig, wichtig ist es, Emotionen zu bedienen. Und das geschieht durch das Zeigen von Bildern. Damit wird Postman zufolge eine Gesellschaft propagiert, die die Zerstreuung der Ernsthaftigkeit vorzieht, die Bilder statt Wörter als Argumente bevorzugt, so dass Emotionalität und Oberflächlichkeit an die Stelle von logischem Denken treten. Letztlich dringt der Primat der Unterhaltung – so Postman - in alle gesellschaftlichen Bereiche ein. Resultat ist eine Infantilisierung der Gesellschaft. Ferner wird – und das ist für Postmann nicht weniger problematisch – die Trennung zwischen den Lebenswelten der Kinder und der Erwachsenen, die sich seit dem Mittelalter herausgebildet hatte, durch das Fernsehen wieder nivelliert, da ja in den Unterhaltungsshows auch die Kinder mit Themen konfrontiert werden, die vorher vor ihnen "geheim gehalten worden waren". Und zwar hat für Postmann diese Nivellierung zur Folge – das hätten die Jahrzehnte seit der Einführung des Privatfernsehens in den USA gezeigt - dass schon Kinder schwere Straftaten begehen. Postman zufolge könnte sogar die inhaltliche Ausrichtung des Privatfernsehens generell zu einem Rückfall in unkultiviertes und unzivilisiertes Verhalten und damit zu einer Wiederkehr von Banausentum führen.

Fördert das private Fernsehen Banausentum?

Einer der großen Denker des 20. Jahrhunderts, nämlich der Soziologe Norbert Elias hat in seinem Werk "Über den Prozess der Zivilisation" gezeigt, dass es im Zuge der Zivilisierung menschlichen Verhaltens zu einer Spaltung zwischen den Seiten des menschlichen Lebens gekommen ist, die öffentlich, also im gesellschaftlichen Leben, sichtbar werden dürfen, und jenen, die "intim" oder "geheim" bleiben müssen, wobei es um die Sexualität und alle anderen natürlichen Funktionen des Menschen geht. Und zwar wurden diese Seiten des menschlichen Lebens im Verlauf des Zivilisationsprozesses immer mehr mit Scham- und Peinlichkeitsgefühlen belegt, so dass selbst das bloße Sprechen darüber zum Tabu wurde. Diese Selbstzwänge, die dem Menschen auferlegt wurden, waren die Basis für die Zivilisierung des menschlichen Miteinanders. Man muss deshalb in der Tat befürchten, dass die Offenlegung intimer und privater Bereiche im Fernsehen zu einem Zusammenbruch von moralischen Verhaltensregeln, speziell zu einem Abbau des Schamgefühls, und damit zu einer Zunahme von "unkultivierten" und "unzivilisierten" Verhaltensweisen führt. Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt Selbstzwänge und Tabuisierungen, die in der heutigen Zeit zu recht als überholt gelten. Es gibt aber nach wie vor erhaltenswerte Tabus, und wenn auch diese angetastet werden, weil das Privatfernsehen vor nichts mehr halt macht, um die Quote zu steigern, gewinnt das Banausentum wieder die Oberhand.

Fazit

Bei vordergründiger Betrachtung mag das Privatfernsehen unpolitisch erscheinen, da es ja "nur" unterhalten will. Die Art und Weise, wie es unterhalten will, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als politisch höchst brisant, weil dadurch bestimmte gesellschaftliche Leitbilder propagiert und verbreitet werden. So ist die dem Privatfernsehen zugrundeliegende Vorstellung, dass der Mensch in erster Linie unterhalten und möglichst geistig nicht gefordert werden will, primitiv und reaktionär. Und speziell bei den Wettbewerbssendungen wird ein Menschenbild propagiert, demzufolge der Mensch nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und andere Menschen nur danach beurteilt, ob sie ihm schaden oder von Nutzen sein könnten, wobei er sich vermeintlichen "Förderern" bedingungslos unterwirft. Der unselige Untertanengeist des frühen 20. Jahrhunderts lebt hier wieder auf. Ein Hoffnungsschimmer besteht darin, dass in Deutschland das Privatfernsehen seinen Zenit anscheinend schon überschritten hat, weil vor allem junge Leute den Computer dem Fernsehgerät vorziehen.

Bildnachweis

Alle Bilder: Pixabay.com

Laden ...
Fehler!