Mit blitzblanken Augen schaut er munter in die Gegend, in raschen Schritten durchmisst er den Garten – er scheint immer in Bewegung zu sein. Dabei ist Pieralberto Marché nicht mehr der Jüngste. Indessen, wenn er sich unbeobachtet fühlt, auf der Bank unter den Bäumen auf der Terrasse des Sommerhauses, wenn er auf die sich nur für eine Nacht öffnende Blüte des Schlangenkaktus wartet, dann manchmal verinnerlicht sich der Blick. Dann scheint es, als laufe wie ein Film ein langes, stets aufregendes, von vielerlei Überraschungen geprägtes Leben vor dem inneren Auge ab. Und Nachdenklichkeit macht sich breit. Pieralberto Marché, eigentlich Marchesini, war Schauspieler und ist Schriftsteller, und zwischendurch war er auch so etwas wie ein künstlerischer Weltenbummler auf Kreuzfahrtschiffen – auf dem Nil und auf den Weltmeeren. Er schaut auf ein randvoll angefülltes, ein erfülltes Leben. Und im Jahr 2016 ist er gestorben.

 Er startete bei Strehler im Piccolo-Theater

 Dieser italienische Schauspieler und Autor, am 16. Januar 1930 in Monza geboren, hat schon in jungen Jahren beide Talente – die Schauspielerei und das Schreiben – häufig parallel geübt und ausgeübt. Schon mit 20 Jahren debütierte er in Mailand bei Giorgio Strehler im heute noch berühmten Piccolo-Theater, brillierte in Büchners "Dantons Tod" oder Giraudoux' "Der Trojanische Krieg findet nicht statt" und in Stücken von Alberto Savinio. Und in der Sommersaison war er in Vendig, im berühmten Theater "La Fenice" engagiert, und da stand dann Goldoni auf dem Programm. Aber schon in dieser Zeit begann er, Prosa in Hörspiele umzusetzen. Er arbeitete für Radio Milano, Radio Torino, für RAI, für den Hörfunk, für das Fernsehen.

 Eine tiefgreifende Begegnung mit Primo Levi

 Vielleicht war es die Begegnung mit Primo Levi, die den entscheidenden Anstoß für seine zweite, die schriftstellerische Arbeit gab. Der Antifaschist Pieralberto Marché schuf mit dem Autor zusammen eine Bühnenfassung von Levis Auschwitz-Roman "Se questo è un uomo", der 1961 unter dem Titel "Ist das ein Mensch?" im Fischer-Taschenbuchverlag in deutscher Übersetzung erschien. Diese Zusammenarbeit war eine Novität in der italienischen Literaturlandschaft. Das Stück wurde 1966/67 in Turin in der Regie des Film-, Opern- und Theaterregisseurs Gianfranco De Bosio uraufgeführt. Für die Bühnenfassung des Stückes erhielt Marché seinerzeit den begehrten "Premio IDI" – der später beispielsweise auch Dario Fo zuerkannt wurde.

 Der Pharaonen-Krimi dreimal im WDR

 Die Liebe zum Hörspiel hat sich bei Pieralberto bis ins "terza éta" (den dritten Lebensabschnitt) erhalten. Vor wenigen Jahren konnte er sich auch einem deutschen Publikum bekannt machen: Der Westdeutsche Rundfunk sendete sein vierstündiges (!) Hörspiel "Das Geheimnis der Pàlina Oscàrowna"; eine Abenteuerreise vom Feinsten, die ins Land der Pharaonen führt. Marché hat auf spannende Weise ägyptische Mythologie und Archäologie in eine kriminalistische Rahmenhandlung unterhaltsam verpackt. Nach der WDR-Premiere schrieb die Kritik: "Eine der wenigen wirklich positiven Überraschungen neuerer Produktion". Das Ergebnis: Der WDR hat das 214 Minuten dauernde Mammutwerk bislang schon zweimal wiederholt.

 Erzählungen von Stromboli – noch nicht ins Deutsche übertragen

 Bis jetzt – leider – noch nicht ins Deutsche übertragen ist eine Sammlung von elf knappen Erzählungen, die in Italien bei ZOE schon 2001 unter dem Titel "I racconti dell'isola bugiarda" (Erzählungen von der lügnerischen Insel) erschienen sind. Es sind die oft eigentümlichen Betrachtungen eines Alessio B, und Gegenstand seiner Betrachtungen und Beobachtungen sind eine kleine Insel im Tyrhennischen Meer, die Menschen dort, die Touristen. Man braucht nicht lange zu rätseln: Bei dieser Insel handelt es sich um die Vulkaninsel Stromboli, wo Marché in lauen Sommernächten sinnend vor seinem Sommerhaus auf der Terrasse sitzt und darauf wartet, dass der Schlangenkaktus für eine knappe Nacht seine Blüte öffnet.

 Pieralberto Marché, in seinem hohen Alter, rastet nicht. Im Winter, in einer behaglichen Wohnung mitten im Zentrum von Turin, aber am Rande einer malerischen und stillen Piazza, sitzt er am PC. Die selbst gestellte Aufgabe ist mächtig: Er arbeitet an einer Bühnenfassung des Gilgamesch-Epos. Die aber ist nicht fertig geworden.

 

 

 

 

 

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