Alpenglöckchen läuten den Bergfrühling ein

Soldanella alpina, Alpenglöckchen (Bild: a.sansone)

Das Alpenglöckchen, Soldanella, botanische Gattung und Familie

Die elfenhaft wirkenden zierlichen Alpenglöckchen, Soldanellen, sind eine Gattung der Primelgewächse. Könnte man sogar als Laie vermuten, nachdem sie wirklich die "Ersten" sind, die bereits noch unter der Schneedecke auftauchen. lat. primus, prima=der/die Erste

  • Familie: Primelgewächse, Primulaceae
  • Gattung: Alpenglöckchen, Soldanella, bei uns mit sechs Arten vertreten
  • Echtes Alpenglöckchen, Soldanella alpina
  • Berg Alpenglöckchen, Soldanella montana
  • Kleines Alpenglöckchen/Zwerg Alpenglöckchen, Soldanella pusilla
  • Kleinstes (Zwerg-) Alpenglöckchen, Soldanella minima

Als eine der wenigen in den Alpen entstandenen Pflanzenarten entfalten sie seit 60 Millionen Jahren durch Eis und Schnee hindurch über ihren immergrünen, rundlich-herzförmigen Blättern ihre zarten gefransten Glöckchen.

 

 

Was ist so besonders am Alpenglöckchen?

Alle Soldanellen blühen unmittelbar mit der Schneeschmelze. Wer es liebt bereits im zeitigen Frühjahr in die Berge zu wandern, entdeckt sie immer wieder in Schneekegeln, am Rand von Schneefeldern oder in sogenannten Schneetälchen. Schon wenige Tage später sind sie bereits verblüht.

Was also befähigt die Soldanellen in diesen unwirtlichen Gebieten am Leben zu bleiben?

Sie wächst bereits unter der Schneedecke - eine Fähigkeit, die einzigartig ist. Der Schweizer Botanik-Professor Christian Körner ist von dem Vorgang fasziniert: "Man muss sich vorstellen, diese Pflanze überwintert mit einem kurzen Blütentrieb von ein bis zwei Zentimetern und ist drei Tage nach der Schneeschmelze schon 8 cm groß! Das geht unglaublich schnell und ist eigentlich unerklärlich."

Normalerweise findet bei 0 Grad Celsius - der Temperatur des Eis-Wasser-Gemisches, in dem das Alpenglöckchen steht - kein Pflanzenwachstum statt, da Zellteilung bei dieser Temperatur nicht funktioniert. Am Mikroskop im Labor stellt der Wissenschaftler fest, warum die Pflanze dennoch größer wird: Sie streckt ihre Zellen, pumpt einzelne Zellen quasi auf, statt sie wie üblich zu teilen. Die Zellen sind ab dem Wachstum viermal so lang wie breit.

 

Soldanella, Kleine Scheidegg-Fallbod ...

Soldanella, Kleine Scheidegg-Fallboden-Alpiglen (Bild: Lolation / Flickr)

So kämpft sich das Alpenglöckchen durch Schnee und Eis

Dass sich das Alpenglöckchen mit seinem Stängel und den Blüten durch die Schneedecke kämpft, verdankt es auch dem Umstand, dass der Schnee in seinem direktem Umfeld schneller schmilzt. Ursache dafür ist, dass die von der Sonne bestrahlten dunklen (blaurot) Blütenknospen und Stängel sich stärker als ihre Umgebung erwärmen und dadurch den Schnee über und um sich schnell zum Schmelzen bringen, sobald die Schneedecke dünn genug geworden ist. (Was im nachstehenden Video mit der Wärmebildkamera deutlich sichtbar wird.)

Verholzende Stängel und dennoch biegsam wachsen?

Doch damit ist das Wachstum der Pflanze noch nicht ganz erklärt. Professor Körner hat nämlich auch festgestellt, dass der Pflanzenstängel bereits bevor er sich streckt den Holzstoff Lignin enthält, der den Stängel stabilisiert. Was sie zum Durchstoßen der Schneedecke ja auch gut brauchen kann. Doch Holzstoff ist nicht dehnbar und müsste damit die Streckung der Zellen eigentlich verhindern - der ganze Prozess ist rätselhaft. Professor Körner: "Entweder hat diese Pflanze in ihrer Evolution etwas gelernt, was andere nicht können, oder wir verstehen den Prozess noch nicht."

Mal gespannt, was das Alpenglöckchen an Erkenntnissen in nächster Zukunft noch zu bieten hat.

Quelle und Link: http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/videos/leben-im-extremen-100.html

Ein alpines Glöckchen, viele Namen

Die Blütenform vom Alpenglöckchen besteht aus 5 miteinander verwachsenen Blütenblättern und formt eine zierliche, unterschiedlich weit eingeschnittene Glocke. Diese hat für viele unterschiedliche Namen gesorgt:

So lauten deutsche Volksnamen: Troddelblume, Almglöckel, Eisglöckchen, Blaues Schneeglöckel, Schneenagele, Antoniusglöcklan, Rößgleggli, Geißgleggli.

Im Englischen wird sie übrigens Snowbell genannt (Das Schneeglöckchen, Galanthus nivalis, aber Snowdrop, also eher Schneetröpfchen.)

Interessant, die Herkunftsgeschichte des botanischen Namens bezieht sich auf die Strandwinde, Calystegia soldanella (siehe Bild) die glockenförmige, rötlich mit weißen Streifen gefärbte Blütenkrone, die nierenförmig bis kreisrunden Laubblätter, alles typisch Soldanella. Ein alter vorlinneischer Name lautete für die Strandwinde Soldanella maritima. Daher soll die Bezeichnung für unsere Alpinpflanze rühren. Uns kann es recht sein, ob maritime oder montane Glocke; schön sind sie beide.

Typisches Schneetälchen - an diesem Flecken bleibt ein Restschnee noch bis Juli

Schneetälchen (Bild: a.sansone)

Extremstandort Schneetälchen/Schneeboden

Was so niedlich klingt, ist für die alpinen Pflanzen eine Herausforderung. Schneetälchen kommen von 2000 - bis etwa 2.800 m vor, vorwiegend über Silikatgestein, aber auch in Kalkformationen. Meist sind es Nord- bis Oostexponierte Hänge, in denen eben der Schnee in kleinen Mulden, in Tälchen, bis fast in den Sommer hinein, liegen bleibt. Nur hochspezialisierte Formen können auf diesem extrem unfreundlichen Standorten überleben. Diese hochspezialisierten Arten sind von der Klimaerwärmung am härtesten betroffen.

In Stichworten:

  • kleinflächige Standorte inmitten alpiner Rasen oder Schutthalden
  • Der Schnee verbleibt 8 bis 9 Monate! Also extrem kurze Vegetationsperiode.
  • Meist ist es Silikatgestein, da sich auf den durchlässigen Kalkböden kaum Staunässe bildet.

Gefährten vom Alpenglöckchen auf diesem Standort sind u.a. noch Zwergweide, Krautweide, Zwerg- und Mehlprimel.

Gattung Alpenglöckchen, Soldanella

Das Alpenglöckchen schießt quasi es aus Schneedecke und bildet oftmals ganze Rasen an violett blühenden Glöckchen.

  • Der etwas knotige Wurzelstock geht schräg nach abwärts, die Wurzeln sind zahlreich.
  • Auf blattlosen Stängeln sitzen je nach Art, 1 bis 3 der veilchenblau-violetten, trichterförmigen Glöckchen, deren Saum gefranst ist. Die Zipfelchen stehen oft nach außen gewölbt.
  • Im Inneren der Blüte, die vom Griffel überragt wird, befinden sich 5 Schlundschuppen. Die kurzen Staubblätter sind, mit ihren purpurroten, an der Spitze geschwänzten Staubbeuteln an den langen und etwas aus der Blüte herausragenden Griffel gedrückt.
  • Die Frucht ist eine vielsamige, mit zehn Zähnen aufspringende, einfächerige Kapsel.
  • Die Blätter sind klein, ledrig und hart, nierenförmg bis fast kreisrund und mit einer schützenden Wachsschicht überzogen.
Echtes Alpenglöckchen

Echtes Alpenglöckchen, Soldanella alpina (Bild: a.sansone)

Soldanella alpina, das Echte Alpenglöckchen

Auf Bergwiesen, Weiden, Almen, blüht es in den Gebirgen Mittel- und Südeuropas. Bevorzugt am Ende der Waldgrenze bis eben fast 3.000m steigend. Das Echte Alpenglöckchen ist in allen europäischen Gebirgen von den Pyrenäen über Jura, Schwarzwald, Alpen, Apennin bis in die Illirschen Gebirge weit verbreitet. Kalkzeiger!

 

 

Wuchshöhe 5-15 cm, das breit geöffnete Glöckchen ist bis etwa zur Mitte gefranst. Die immergrünen Blätter können sofort mit dem Assimilieren beginnen, die Blüten werden bereits im Vorjahr ausgebildet. Bestäuber sind vor allem Hummeln.

Die Blütezeit der beiden häufigst vertretenen Soldanellen, alpina und pusilla reicht je nach Standort von Mai bis August.

Kleines Alpenglöckchen

Kleines Alpenglöckchen (Bild: a.sansone)

Soldanella pusilla, das Kleine Alpenglöckchen

Es ist im Wuchs kleiner als Soldanella alpina. Meist steht am Stängel nur eine Glocke. Die Glocken sind eng und nur zu etwa 1/4 eingeschnitten. Silikat-Zeiger!

Vikariismus bei den Soldanellen

Einzelne Gattungen haben jeweils einen Vertreter für die beiden typischen Gebirgsböden: Silikat und Kalk ausgebildet- das nennt sich Vikariismus.

Bei den Soldanellen gibt es diese sogenannten vikarierenden Pflanzenpaare.

  • So kommen Soldanella alpina und
  • Soldanella austriaca (Endemit nordöstlich der Kalkalpen) auf Kalk vor,
  • während Soldanella pusilla auf Silikat gedeiht.

Soldanella austriaca

HermannSchachner

Soldanella austriaca (Österreich-Soldanelle) Aufnahmestandort: Hochschwab, Steiermark, Austria

Auf Kalkböden

Weitere Soldanella-Arten

  • Soldanella carpatica
  • Soldanella hungarica
  • Soldanella montana
  • Soldanella pindicola
  • Soldanella villosa

Soldanella Samen (Bild: Hanni Huber)

Soldanella hungarica in the Carpathians, Romania (Bild: The Travelling Naturalist / Flickr)

Sind Alpenglöckchen geeignet für den Alpin- oder Steingarten?

Für alle Botanikfreaks: Wenn Sie lupenreine Arten haben möchten, vergessen Sie auf Soldanellen, weil sie sich fürchterlich gerne kreuzen. Es entstehen, auch ohne Ihr Zutun, immer neue Hybridformen. Zur Freude und Überraschung von Naturgärtnern. Meine eigenen Erfahrungen mit Schlüsselblumen, Topfprimeln etc. haben mich eines Besseren belehrt. Fazit: einfach Staunen und Freuen.

Sowohl Soldanella alpina, Soldanella carpatica und Soldanella montana gibt es in spezialisierten Gärtnereien für Alpingärtchen. Auf die Bedürfnisse, Halbschatten, durchlässige, jedoch feuchte Böden, ist zu achten. Ob wirklich alle Standorte (höhenmäßig) geeignet sind, wage ich auch bei diesen eigens gezüchteten Pflanzen zu bezweifeln. Wer aber in geeigneter Höhenlage lebt, kann es ja gerne im eigenen Garten versuchen.
Achtung: Bitte keine Experimente mit selbst aus den Bergen ausgegrabenen Exemplaren. Das ist zum Scheitern verurteilt. Abgesehen davon, sind die Alpenglöckchen geschützt.

Samen gibt es vielerorts zu kaufen, Pflanzen gibt es etwa bei:

Soldanella Montana Seeds
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Quellen

Neben eigenen alpinen Erfahrungen,

  • Botanica, Könemann; Verlagsgesellschaft mbH, 2000 Köln
  • Heil-, Gewürz-, Nutz- und Giftpflanzen im Botanischen Garten der Universität Innsbruck, Bortenschlager/Vergörer, 2004 Innsbruck
  • Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Genaust; Nikol Verlag, 2012 Hamburg
  • Flora Helvetica, Lauber/Wagner; Haupt Verlag, 2014 Bern
  • Alpenpflanzen in ihren Lebensräumen, Mertz; Haupt Verlag, 2008 Bern
  • leben an der grenze, Mair/Müller/Reisigl; Nationalpark Stilfser Joch, 2002
  • Die Alpen, Einblicke in die Natur, Hofer; Innsbruck University Press, 2009 Innsbruck
  • BLV Pflanzenführer für unterwegs, Schauer,Caspari; blv, 2014 München
Adele_Sansone, am 27.02.2017
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Bildquelle:
https://pagewizz.com/users/Adele_Sansone (Wer sind die ersten blühenden Alpenblumen?)
a.sansone (Alpenblumen/Alpenpflanzen und die Auswirkungen des Klimawandels)
https://pagewizz.com/glockenblumen-wenn- (Warum ist Wandern cool? 5 gute Gründe fürs Wandern)

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