Als Sartre sich mit Baader traf
Es war wie eine weltweite Werbung für Anarchisten, als der Philosoph Jean-Paul Sartre im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim Andreas Baader trafGeneralbundeswalt Buback hatte Bedenken
Die Begegnung zwischen Sartre und Andreas Baader, die initiiert worden war von dem Stuttgarter Rechtsanwalt Klaus Croissant, war vom Zweiten Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart entgegen den Bedenken von Generalbundesanwalt Siegfried Buback genehmigt worden. Der Philosoph wollte sich nach eigenem Bekunden vor allem über die Handlungsmotive der Baader-Meinhof-Gruppe informieren.
Starke Polizeikräfte - auch zu Pferde - patrouillierten vor dem Gefängnis, das zu den ausbruchssichersten der Bundesrepublik gehört. Sie schirmten die Barriere ab, die den Zugang zum Gefängnis und dem gegenüberliegenden halb fertigen Neubau für den Prozeß gegen den vierköpfigen "harten Kern" der Baader-Meinhof-Gruppe absperrte. Beamte des Kommissariats 14 - der sogenannten "politischen Polizei" - strichen in Zivil durch die wartende Menge der Reporter. Doch alles blieb friedlich.
Der Philosoph deutete auch Folter an
Nach seinem einstündigen Gespräch mit Baader erklärte Sartre die Haftbedingungen als "Folter", die psychologische Störungen bei den Inhaftierten herbeiführen solle. In der Haftanstalt "erinnert wenig an Leben". Baader und die übrigen in Stuttgart inhaftierten Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) vegetierten in weißen Zellen, in denen sie nichts weiter hören könnten als "dreimal am Tag die Schritte der Wächter". Baaders Gesichtsausdruck ähnele dem eines Menschen, der ausgehungert und gefoltert worden sei.
Komitee zur Verteidung der RAF vorgeschlagen
Zur Ideologie der deutschen Anarchistengruppe erklärte Sartre, aus französischer Sicht halte er die Position der Roten Armee Fraktion für "politisch irrelevant", allerdings zugleich auch nicht für skandalös, da sie versucht habe, "eine andere Gesellschaft" herbeizuführen. Unter dem Eindruck seines Gesprächs mit Baader rief der französische Philosoph zur Bildung eines internationalen Komitees zur Verteidigung der Inhaftierten auf. Als mögliche Mitglieder nannte Sartre Intellektuelle, "die moralisch und politisch über jeden Zweifel erhaben" sein müßten. Dabei denke er insbesondere an Heinrich Böll.
Filbinger: Werkzeug einer kriminellen Bande
Ob dieser Besuch in erster Linie einer Aufwertung der inhaftierten Baader-Meinhof-Häftlinge vor dem für das Frühjahr 2005 geplanten Hauptprozeß gegen den "harten Kern" der Gruppe dienen sollte oder tatsächlich einem Informationsbedürfnis des Philosophen über die Anarchisten und ihre Haftbedingungen diente, blieb seinerzeit offen. Mit Sicherheit hatte Sartre mit seinem Besuch in Stuttgart-Stammheim ein Vierteljahr vor Prozeßbeginn weltweites Interesse für die Situation von Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin herbeigeführt. Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) beschuldigte Sartre denn auch, sich zum "Werkzeug" der "kriminellen Bande" gemacht zu haben.
Die Aufarbeitung der RAF dauerte bis ins 21. Jahrhundert.