Was sollten Sie im Deutschland des 21. Jahrhunderts auf jeden Fall besitzen, neben "Gegen Rechts!"-Aufklebern, Kaffee aus dem "Dritte Welt"-Laden, den jeder Ihrer Besucher stehenlässt, und Schleifen in allen möglichen Farben, um Solidarität mit HIV-Infizierten, Schwulen, Frauen, Kindern und überhaupt allen Menschen dieses Erdenrunds zu bekunden? Eine Goldwaage, auf der Sie jedes einzelne Wort abwiegen und abwägen können. Anders ist es einfach nicht mehr möglich, sich in diesem Land zu äußern, ohne in Verdacht zu geraten, Nazi-Sympathisant zu sein. Neuerdings genügt es bereits mit jemandem befreundet zu sein, der ein Neo-Nazi sei. Die Ruderin Nadja Drygalla hätte sich wohl auch nicht alpträumen lassen, wegen ihrer Liebe zu einem ehemaligen "Rechtsextremen" vor den Trümmern ihrer Sportkarriere zu stehen. Das alleine ist schlimm genug – sich auch noch unappetitliche Kommentare anhören zu müssen, dürfte der Demütigung Krone sein. Da heißt es in einem "taz"-Artikel wortwörtlich:

[...] wer sich mit Nazis ins Bett legt, soll sich über den entstehenden Modergeruch nicht wundern.

Man setze an Stelle des Wortes "Nazis" beispielesweise "Juden" oder "Moslems" ein und teste an sich selbst die Wirkung eines solchen Satzes, aus dem tiefste Menschenverachtung spricht. Denn so empörend es für Gutmenschen klingen mag: Auch Nazis sind Menschen. Oder etwa doch nicht?

Nun will [Drygalla] uns weismachen, sie habe mit rechter Ideologie nichts zu tun. Wie heuchlerisch! Bestand ihre fünfjährige Beziehung etwa nur aus Vögeln und Schweigen?

Frauen, wehrt euch! Vögelt nicht mit Nazis!

Aber dass sie sich mit dem Hinweis zu rechtfertigen versucht, ihr Kaderjunge sei schon im Mai aus der Szene ausgestiegen, ist infam. Weder rechtfertigt das ihre Liaison bis zu diesem Zeitpunkt, noch erklärt es, warum der unfeine Herr Fischer noch Mitte Juni einen Artikel auf einem rechtsextremen Internetportal veröffentlichte.

Drygallas Fehler bestand also darin, mit einem "Nazi" (Beweis: Ihr Freund war Mitglied der NPD, einer nicht verbotenen Partei) ins Bett zu steigen und den Artikelautor nicht um Erlaubnis für die Liaison zu bitten. Menschenwürde gilt offenbar nur dann, wenn das Gutmenschenkollektiv es gestattet. Falls Sie Single und auf der Suche nach einem neuen Partner sind, vergessen Sie nicht, ihn nach seiner politischen Gesinnung zu fragen. Schließlich gilt die Mitwisserschaft für Sie genauso, wie die Mittäterschaft an den Verbrechen des Dritten Reiches für sämtliche autochthone Deutsche und Österreicher, selbst wenn sie Jahrzehnte nach dem Krieg geboren wurden.

Ob jene Radiomoderatorin, die sich gleichfalls Nazi-Vorwürfen ausgesetzt sieht, ebenso blond und großgewachsen ist wie Drygalla, die optisch somit dem Feindbild einer Nazi-Braut perfekt entspricht, ist mir nicht bekannt. Anders als die Sportlerin brockte sie sich die rechtsextreme Suppe selber ein, indem sie während einer Sendung an Hörer, die an diesem Tag arbeiten mussten, gewandt "Arbeit macht frei" sagte. Es ist nicht der erste derartige "Skandal": Eine Fernsehmoderatorin brabbelte während einer Live-Show dieselben Worte und musste sich dafür entschuldigen. Diese Gelegenheit wurde der Radiomoderatorin nicht gegeben: Sie wurde entlassen, und mit ihr eine 19-jährige Assistentin, die einem empörten Anrufer "Nehmen Sie es doch einfach mit Humor" entgegengeschleudert haben soll. Zusätzlich wurde die Moderatorin von aufmerksamen Blockwarten, pardon: Hörern, angezeigt und ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet.

Herzlichen Glückwunsch: Das ist Deutschland im Jahr 2012! Kurios mutet an diesen lächerlichen "Nazi! Nazi!"-Vorwürfen nicht nur die Blockwart-Mentalität an, sondern vielmehr der Umstand, dass die ins GutmenschInnen-Geschrei einstimmenden Medien ihrem Publikum - zu Recht oder nicht sei dahingestellt - nicht zutraut, über den Kontext des Gesagten Bescheid zu wissen. Da heißt es in Bezug auf die eingangs erwähnte Fernsehmoderatorin:

Der Satz, der von den Nationalsozialisten an den Eingängen zu Konzentrationslagern angebracht wurde [...]

Und im aktuellen Fall:

Der Satz prangte über dem Tor zum Konzentrationslager Auschwitz

Gottlob erklärt man uns, weshalb wir empört zu sein haben! Wobei: Müssen wir tatsächlich empört sein? Stellt "Arbeit macht frei" einen Slogan der Nazis dar, der in keinem anderen Zusammenhang als dem eindeutigen fallen könnte?

Die Antwort lautet: Nein. Die verhängnisvollen drei Worte wurden vom Schriftsteller Lorenz Diefenbach mehr als 60 Jahre vor Errichtung der ersten KZs in einer Erzählung niedergeschrieben. Der Ex-Moderatorin deshalb "Verharmlosung" oder gar eine Nähe zum Rechtsextremismus zu unterstellen, ist ebenso absurd, wie den antiken Spruch "Jedem das Seine" den Nazis zuzuschreiben, die ihn lediglich aufgriffen und pervertierten. Erstaunlicherweise sind es auch so gut wie nie die überlebenden Opfer des Nazi-Regimes, die sich an solchen Sprüchen ereifern, die gerade bei Moderatoren, die fürs Dahinplappern bezahlt werden, fallen können, sondern meist jüngere Deutsche und Österreicher. Über angeblichen Nazismus oder Verharmlosung lässt sich zum einen medienwirksam empören, zum anderen kennzeichnet man sich dadurch als einer der "Guten" und immunisiert sich gegen jegliche Kritik an der eigenen moralischen Überlegenheit!

Ungeklärt bleibt indes, welche "historisch belasteten" deutschen Wörter unsereins nicht mehr aufgreifen sollte. "Juden" geht leider nicht, weil die Nachkommen der Überlebenden sich selbst so nennen. "Rasse"? "Parasiten"? Biologisch gesehen äußerst schwierig! Sollte man nicht Deutsch gänzlich verbieten und es durch das historisch nicht belastete Taka-Tuka ersetzen? Und darf man als Deutscher überhaupt noch europäische klassische Musik genießen?

Fast möchte man sich wünschen, die Deutschen hätten vor 80 Jahren ähnlichen Widerstand gegen die Braunhemden gezeigt, wie heute im politisch korrekten Kampf gegen blonde Sportlerinnen, hektisch quasselnde Radiomoderatorinnen und ihre 19-jährigen Assistentinnen. Das wäre natürlich gefährlicher gewesen, hätte aber tatsächlich Menschenleben gerettet, anstatt sich in vertrotteltem Gutmenschentum für das eigene Ego zu erschöpfen.

Autor seit 13 Jahren
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