Bookcrossing - die ganze Welt ist eine einzige Bibliothek
Freie Bücher gehen auf Wanderschaft, auf der steten Suche nach neuen Lesern.Lesen verbindet und ist keineswegs ein einsames Hobby
Es gibt allerdings noch eine andere Art Bibliothek. Eine, bei der kein kostenpflichtiger Büchereiausweis benötigt wird. Auch der Gang in ein Gebäude, in dem hohe, mit Büchern gefüllte Regale stehen, bleibt einem erspart. Alles, was man braucht, ist ein Computer, ein funktionierender Internetanschluss, Spaß am Lesen und ein gewisses Maß an Abenteuerlust.
Bookcrossing nennt sich diese Version. Geboren wurde die Idee in den USA und am 21. April 2001 schließlich in die Tat umgesetzt. Zunächst konnten sich nur wenige für dieses Modell begeistern. Erst nachdem knapp ein Jahr später ein umfassender Artikel im Book-Magazine erschien, war die mediale Aufmerksamkeit geweckt. Dadurch stieg auch der Bekanntheitsgrad und Bookcrossing erfreut sich seitdem stetig steigender Mitgliederzahlen. Inzwischen hat sich diese kleine virtuelle zu einer großen globalen in über 130 Ländern genutzte Bibliothek entwickelt.
Bei Bookcrossing, kurz BC, dreht sich alles um Bücher und Literatur, aber es bezieht sich nicht ausschließlich auf das Lesen. Die Bücherregale befinden sich auf einer virtuellen Plattform. Wer eines jener Druck-Erzeugnisse lesen möchte, benötigt keinen Büchereiausweis, denn die bei Bookcrossing registrierten literarischen Werke können überall auf einen neuen Leser warten.
Es lohnt sich daher stets mit offenen Augen durch die Stadt, oder im Wald spazieren zu gehen. Denn an jedem Ort finden die freien Bücher einen Platz, an dem sie gefunden werden wollen.
Freie Bücher auf Wanderschaft
Bücher wollen gelesen werden, denn dazu werden sie geschrieben
Leseratten kennen dieses Phänomen, den steten Zuwachs im Bücherregal, bis man sich eines Tages die Frage stellt:
»Wohin mit all den Büchern?«
Keineswegs möchte man diese im Müll entsorgen. Bücher werden schließlich geschrieben, damit sie gelesen werden und das von möglichst vielen.
Es gibt unterschiedliche Methoden die ausgelesenen Bücher an interessierte Leser abzugeben. Auf zahlreichen Internet-Plattformen kann man die Publikationen zum Tausch oder Verkauf anbieten. Ebenso, wie auf Flohmärkten. Alternativ kann man seine Bücher auch einfach verschenken.
All diese Varianten haben allerdings einen kleinen Haken - man erfährt nie, wie es dem Buch bei seinem neuen Besitzer ergeht, oder wie es ihm gefällt.
Bei BC ist dies anders. Hier werden die Bücher registriert, wodurch sie eine BookCrossing-Identifikationsnummer, kurz BCID, erhalten. Anschließend finden sie in einem virtuellen Bücherregal Platz. Doch ihre dortige Verweildauer ist nur kurz, denn das Ziel von BookCrossing ist es, die Bücher auf Reisen zu schicken, damit diese zahlreiche Leser erreichen und dabei so manches Abenteuer erleben können.
Und so kann es passieren, dass man bei einem Spaziergang im Wald, bei einer Zugfahrt, einem Stadtbummel, oder in einem Restaurant plötzlich ein einsames Buch entdeckt. Auf ihm wurde ein Aufkleber befestigt, der darauf hinweist, dass dies ein freies Buch ist. Also ein BC- Buch auf Wanderschaft. Diese Etiketten können unterschiedlich aussehen. Doch ein Merkmal ist bei allen gleich. Auf ihnen ist ein kleines, gelbes Running-Book zu sehen. Dabei handelt es sich um das Bookcrossing-Logo. Sein Name ist BallyCumber.
Was tun, wenn man ein solches Buch findet?
Liegen lassen?
Nein! Denn diese Bücher wollen mitgenommen und gelesen werden. Anschließend, so hoffen alle Bookcrosser, schreibt der Finder ein paar Zeilen, einen sogenannten Journaleintrag. Zu Beginn waren sämtliche Seiten auf www.bookcrossing.com auf Englisch. Dies führte oftmals dazu, dass sich Finder scheuten, einen Eintrag zu verfassen, da sie ihre Sprachkenntnisse als unzureichend ansahen. In der Zwischenzeit lässt sich Bookcrossing auch in vielen anderen Sprachen nutzen. Generell sollte ein Journal in gleicher Sprache gehalten sein, in der das jeweilige Buch geschrieben wurde.
Beschreibung
Was sind das für Bücher, die umherlaufen, sich auf Parkbänke legen, auf Bäume klettern, oder sich an Gartenzäune kuscheln?
Man könnte meinen, es werden vorwiegend Bücher zum Freilassen ausgewählt, die einem Selbst nicht zugesagt haben. Aber sind es wahrhaftig die Besitzer, die diese Entscheidung treffen?
Fragt man Bookcrosser nach welchen Kriterien sie vorgehen, überkommt einen rasch die Vermutung, dass die Bücher beschließen, wann und wo sie in die Freiheit entlassen werden.
Es gibt Druckwerke, die wollen einfach nicht wandern, sondern für immer bei ihrem Besitzer verweilen. Andere sind da schon reisefreudiger. Jene literarischen Werke verspüren einen steten Drang, von unzähligen Händen geöffnet und von ebenso vielen Augen betrachtet zu werden. Obwohl sie keinen Laut von sich geben, sagen die Bücher ihrem Eigentümer, er möge sie in die Freiheit entlassen, damit sie sich neue Leser suchen können. Dieses Gebaren der Druckwerke ist Genre übergreifend. Ihnen ist es einerlei, ob sie mit einem historischen Roman, einer Fantasygeschichte, einem Krimi, oder mit sachlichen Inhalten gefüllt sind. Sie alle haben etwas zu erzählen und sind stets bestrebt, ihre Geschichten zu verbreiten.
Dennoch gewinnt man auch den Eindruck, dass solche Entscheidungen schlussendlich doch von den Bookcrossern getroffen werden. Oftmals ziehen sie los, um weitere Exemplare ihrer reisewilligen Bücher zu erwerben. So stellen sie sicher, dass ihnen geliebte Werke erhalten bleiben und gleichwohl ungeniert auf Leserfang gehen können. Damit diese Bücher neue Leser finden können, muss der Bookcrosser einen guten Platz für sie aussuchen.
Bücher freizulassen ist so, als würde man etwas Erlaubtes verboten tun
Eine Bookcrosserin, die sich DieWuschel nennt, berichtete mir von ihrem ersten Mal.
Tagelang trug sie das Buch mit sich herum, stets auf der Suche nach dem geeigneten Releaseort. Ein Autohaus hatte sie sich auserkoren. Daher machte sie einen Spaziergang, der sie rein zufällig an jenem Autohändler vorbei führte. Aber wie sollte sie das Buch unauffällig so hinterlegen, dass es jemandem auffällt?
»Ich bin über den Platz geschlendert, hab mich immer wieder umgeguckt und... Nein, ich habe mich dort nicht von meinem Buch getrennt. Es war mir zu auffällig, die Gefahr beim Freilassen erwischt zu werden einfach zu groß. Auch im Autohaus selber mochte ich das Buch nicht in die Freiheit entlassen, aus den gleichen Gründen.«
Und so begleitete sie das Buch noch eine Weile auf ihren Wegen in verschiedene Geschäfte, in Amtsgebäude, durch Parkanlagen und unzählige andere Orte. Eines Tages kam ihr die Idee, das Buch in einem Parkhaus freizulassen. Doch kaum stand sie davor, überkamen sie Zweifel:
»Es fällt doch auf, wenn ich da einfach reingehe, obwohl ich gar kein Auto habe. Blödsinniger Gedanke! Woher sollen die Leute wissen, dass ich kein Auto habe?«
Zu viele Anwesende hinderten sie daran, ihrem ersten Bookcrossing-Buch die Freiheit zu schenken. Sie entfernte sich von diesem Parkhaus und ging zu einem anderen, welches sie schlussendlich auch betrat.
»Langsam schlenderte ich dort durch und guckte mich immer wieder um, ob mich auch ja niemand beobachtet. Keiner da. Schnell hatte ich einen geeigneten Platz gefunden, den ich zielstrebig ansteuerte. Just in dem Moment kam jemand. Ich ging langsamer und tat so, als würde ich mein Auto suchen. Nachdem die Person außer Sichtweite war und ich mich endlich sicher fühlte, deponierte ich das Buch an seinem Platz und verließ das Parkhaus beinahe fluchtartig.
Natürlich wird man mit der Zeit geübter und irgendwann befürchtet man auch nicht mehr, beobachtet zu werden.«
Der Platz, wo Bookcrosser ihre Bücher freilassen, sollte stets gut überlegt sein. Es gibt Orte, da kann ein solcher Release zu großen Problemen führen. Flughäfen beispielsweise sind denkbar ungeeignet. Lässt man dort ein Buch allein zurück, kann dies durchaus einen Alarm auslösen. Busse, Züge und Haltestellen sind ebenfalls ungünstig. Dort lösen sie zwar keinen Alarm aus, landen dafür aber zumeist im Abfall. In wenigen Ausnahmefällen schaffen sie es auch ins Fundbüro. Doch um sie dort wieder heraus zu bekommen, muss man beweisen können, dass einem dieses Buch auch gehört.
Viel effektiver erscheinen den Bookcrossern unbewohnte Plätze. Beispielshalber Parkanlagen und andere naturgeprägte Umgebungen, die insbesondere zum Spazierengehen einladen. Die Journalquote ist bei Büchern, die an solchen Orten freigelassen wurden höher, als bei jenen, die mitten in der Stadt auf Leserfang gegangen sind.
Die Leute beim Finden der Bücher beobachten
Bekommen Passanten es mit, das jemand sich von einem Buch trennt, laufen diese dem BCer durchaus auch einmal hinterher:
»Hallo, Sie haben Ihr Buch vergessen!«, rufen sie und wollen das Fundstück seinem vermeintlichen Besitzer zurückgeben.
In den meisten Fällen gelingt es den Bookcrossern jedoch unbemerkt zu bleiben. Während sie selbst ungern beim Releasen beobachtet werden, legen sie sich nur all zu gerne auf die Lauer, um die Leute beim Bücherfund zu beobachten. Beispielsweise ein auf einem Spielplatz frei gelassenes Kinderbuch, so berichtet mir DieWuschel, hatte bereits nach wenigen Minuten einen neugierigen Interessenten bemerkt. Ein Junge hatte das Buch entdeckt und sogleich zu lesen begonnen.
Das Bild zeigt den Jungen, der jenes Buch entdeckt hat.
Es besteht jedoch nicht immer die Möglichkeit die Bücher beim gefunden werden zu beobachten. So kam es schon des Öfteren vor, dass DieWuschel später zum Releaseort zurück kam und das Buch bereits mitgenommen wurde, um am nächsten, oder ein paar Tage darauf am gleichen Ort neuerlich aufzutauchen.
Ein Eintrag für gefundene Bücher
Doch wo sich das Buch in der Zwischenzeit aufgehalten hat, erfahren die Bookcrosser nur äußerst selten. Die wenigsten Finder schreiben auch einen Journaleintrag. Umso größer ist die Freude, wenn doch einmal ein Eintrag erfolgt. Dabei ist es keineswegs ungewöhnlich, dass zwischen dem Freilassen und dem ersten Journal Jahre liegen. Zur Normalität gehört auch, dass ein solcher Eintrag aus einer anderen Stadt, einem anderen Bundesland, oder gar aus einem anderen Land kommt. Dadurch erfahren die Bookcrosser man letztendlich doch, wohin die Reise des betreffenden Buches führte. Welche Abenteuer es auf seinem Weg erleben durfte, bleibt dabei zumeist nur Spekulation. Solche Informationen sind von den Einträgen der Finder abhängig.
Scheuen Sie sich also nicht, ein paar Zeilen zu verfassen, damit die Vorbesitzer mehr über die Reisewege ihrer Bücher erfahren. Zu diesem Zweck ist die BCID vorgesehen. Diese Nummer - man findet sie entweder im, oder am Buch - gibt man auf der Bookcrossing-Website in das dafür angedachte Eingabefeld ein. Daraufhin wird man automatisch zum virtuellen Bücherregal des betreffenden Bookcrosseres weitergeleitet, der jenes Buch freigelassen hat. Hier teilt man mit, wann und wo man das Buch gefunden und ob und wie es einem gefallen hat. Auch ausführliche Rezensionen sind gern gesehen. Eine Anmeldung ist hierfür nicht erforderlich.
Global, offen und dennoch anonym - Bookcrossing kennt keine (Landes)Grenzen
Bookcrossing lässt sich beinahe komplett anonymisch nutzen. Journalbeiträge können ohne vorherige Registrierung verfasst werden. Entschließt man sich für eine Anmeldung, so sind, wie überall, ein paar notwendige Daten erforderlich. Jedoch bekommen andere alleinig den gewählten Nutzernamen zu sehen, welcher beispielsweise auch für die Kommunikation mit Bookcrossern in den unterschiedlichen Foren verwendet wird. Mitglieder haben zudem die Möglichkeit, sich Nachrichten via Mail zu schicken. Dabei wird die E-Mail-Adresse aber niemals angezeigt.
Beteiligt sich ein Bookcrosser allerdings an einem sogenannten BookRing, oder an einer Bücherbox, so ist es unumgänglich, dass er seinem Mitstreiter seine Anschrift nennt, damit dieser das Buch oder die Buchbox an den richtigen Adressaten verschicken kann.
Trotz aller Anonymität finden auch regelmäßige Treffen, MeetUps genannt statt. Hier ist jedoch niemand dazu verpflichtet, den anderen seinen realen Namen zu nennen. Die Gesichter lassen sich auch eher dem gewählten Nickname zuordnen.
Bookcrossing, die (beinahe) kostenlose Bibliothek
Generell ist Bookcrossing nicht mit Kosten verbunden. Beiträge werden nicht erhoben. Dennoch bleiben einzelne Investitionen nicht aus.
Hat man beispielsweise vor, einem Bookcrosser ein Buch zu zuschicken, so verlangt die Post ein entsprechendes Porto und auch die Versandtasche erwartet eine vorherige Bezahlung. Auch für die Etiketten sollten ein paar Cent eingeplant werden. Neben den im Shop zum Kauf angebotenen Aufklebern stehen auch welche zum kostenlosen Download zur Verfügung. Letzteres setzt einen Drucker mit gefüllten Patronen und entsprechendes Papier voraus. Bücher, die bei Bookcrossing registriert, werden zunächst käuflich erworben und verursachen somit ebenfalls Ausgaben. Über das Jahr verteilt sind dies jedoch nur wenige Euro und kaum der Rede wert.
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Bookcrossing kurbelt die Verkaufszahlen an
Auch der Buchhandel profitiert von Bookcrossing
Ein Skeptiker mag vermuten, Bookcrossing könne dem Buchhandel schaden, da die Bücher kostenlos weggegeben werden.
Das Gegenteil ist der Fall. Denn was zunächst so klingt, wie eine kostengünstige Möglichkeit, seine ausgelesenen Bücher zu entsorgen, sorgt langfristig zu viel mehr Lesestoff im heimischen Bücherregal. Dies liegt natürlich auch daran, dass die Mitglieder ihre Bücher untereinander austauschen, oder sich diese gegenseitig zuschicken. Allerdings haben es sich zahlreiche BCer angewöhnt, Zweitexemplare ihrer Publikationen anzuschaffen. Ebenfalls nicht untypisch ist der Kauf von Büchern, die ausschließlich nur für Releasezwecke erworben, also von dem jeweiligen Bookcrosser nicht selbst gelesen werden.
Ein Grund für dies Kaufrausch ähnliche Verhalten könnte die durch Bookcrossing verursachte Wandlung der Lesegewohnheiten sein.
»Ich selbst war früher eine absolute Krimileserin und für etwas Anderes habe ich nie freiwillig Geld ausgegeben. Doch seitdem ich Bookcrossing entdeckt habe, lese ich kam noch Krimis. Es gibt ja noch so viele interessante historische Romane und Fantasy-Abenteuer...«, verriet mir DieWuschel hierzu.
Bekommt ein BCer ein Buch in die Hände, das ihm gefällt, so ist es wahrscheinlich, dass weitere Werke von dem betreffenden Autor nachgekauft werden.
Auch viele Schriftsteller und Verlagshäuser haben Bookcrossing bereits für sich entdeckt. Steht ein größeres Release-Event an, spenden Verleger schon einmal ein Bücherpaket.
Um für neue Bücher kostenlos zu werben, stellen Autoren oder deren Verlage einzelne Exemplare der Bookcrossing-Gemeinde zur Verfügung. Dieser Lesestoff macht üblicherweise als BookRing die Runde. Für diesen Zweck werden immer sogenannte Buch-Paten gesucht. Also Bookcrosser, die den jeweiligen Ring organisieren und verwalten. Während die Finder auf der Straße häufig kein Feedback hinterlassen, sind bei solchen BookRingen Journaleinträge garantiert. Bücher, die von einem BCer zum Nächsten wandern, bleiben nie unkommentiert.
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Bildquelle:
Karin Scherbart
(Asterix bei den Pikten – Rezension)