Brigitte Roßbeck: Franz Marc. Die Träume und das Leben. Rezension
Eine neue Biographie, die sich auf eine Fülle von bislang nicht verwertetem Material stützt. Sie liefert keine Glorifizierung des Künstlers, sondern eine nüchterne Analyse.
Franz Marc
© Siedler Verlag
Niedergang und Auferstehung
Brigitte Roßbeck rollt Franz Marcs Herkunft auf und holt viel zu weit aus, geht in die Vergangenheit, die pränatale Phase zurück. Das Gleiche macht sie auch mit jenen Personen, die in Marcs Leben treten und ihn eine Wegstrecke begleiten, manchmal auch länger. Wen aber interessieren die Eltern und Ahnen von Freundinnen und Kombattanten? Das sind Füllsel, die das Buch unnötig aufblähen. Wichtiger ist beispielsweise die frühe Fühlungnahme zu Nietzsche, dessen Rezeption und nachhaltige Lektüre zu einer glühenden Anhängerschaft führten, die bis zum Tod anhielt. Im Gefolge von Nietzsche kam Marc nach Ausbruch des Krieges zu fatalen Kommentaren, die im Katharsis-Effekt des Krieges, im "Aufstieg der Völker Europas aus der Asche des Weltenbrandes" gipfelten. Niedergang und Auferstehung – das waren Marcs Themen, die ihn auch schon beim ersten spektakulären öffentlichen Auftritt der italienischen Futuristen ansprachen. Filippo Marinettis Parolen von Zerstörung, Hygiene durch den Krieg und seine Zukunftseuphorie fanden mühelos Eingang in Marcs Gedankenkonstrukte. Selbst Paul Klee, Campendonk und Ehefrau Maria schreckten vor Marcs unreflektierter Kriegsverherrlichung zurück. Etwa ein Jahr nach Beginn des Kriegs wurden Kanonendonner, Leichengeruch und Massenleid denn doch zu heftig: Franc Marc wurde des Krieges überdrüssig. Hier lässt Roßbeck die Worte für sich sprechen, ohne kommentierend einzugreifen.
Suche nach der richtigen Liebe
Der gebürtige Münchner wechselte mehrmals sein Domizil, sein erstes Atelier hatte er in Schwabing, dann folgten Kochel und Sindeldorf (1910 – 1914) und zuletzt Ried. Genauso unschlüssig wie beim Finden des optimalen Hauptquartiers war Marc auch bei Frauen. Wie nicht wenige Künstler hatte er ein Problem mit der Monogamie, so dass er sich zeitweise mit drei Frauen umgab: Annette Simon, Marie Schnür und Maria Franck. Sie lebten in Kochel zu viert unter einem Dach, und es kam zu Komplikationen und Eifersüchteleien, zur psychischen und physischen Erschöpfung. Marc kaprizierte sich zunächst auf Schnür, aber ihre kurzfristige Ehe erwies sich als Desaster mit Strindberg'schen Ausmaßen. Schließlich entschied er sich für Maria Franck, die, überkompakt und sehr physisch, sich als emotionaler Stabilisierungsfaktor erwies. Obsession war wohl nicht im Spiel, aber ein Aufeinanderangewiesensein, das sie unzertrennlich machte. Roßbeck schildert das mit Einfühlungsvermögen und Sensibilität. Was sie zudem schildert, ist manchmal schlicht und einfach belanglos. "Mutter Franck hatte Kakao und Lebkuchen zum Geburtstagspaket beigesteuert, Maria selbst gestrickte Strümpfe..." Detailversessene Leser, die Rehbraten erwartet haben, werden leider enttäuscht. Brigitte Roßbeck wird an manchen Stellen zur Apologetin der Quisquilien.
Seiner Zeit voraus
Interessant sind vor allem Marcs Stationen bei seinem künstlerischen Werdegang. Zunächst ein Einzelgänger, begriff er allmählich die Relevanz von Gruppenzugehörigkeit und Organisation. Als Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München war er an zwei Ausstellungen beteiligt, die, teilweise bespuckt von Besuchern, von der Lokalpresse mehr oder weniger verrissen wurden. Man war seiner Zeit voraus, und Marc glaubte ohnehin, dass seine besten Arbeiten erst ab 40 entstehen würden. Die Sezession einiger Mitglieder der Künstlervereinigung – Kandinsky, Marc, Münter und Kubin – war eine zuvor abgesprochene Angelegenheit, die zur Gründung des Blauen Reiters führte. Heute legendär, blies dieser Gruppe ein starker Gegenwind entgegen, und Marcs Zusammenarbeit mit dem etwas autokratischen Eigenbrötler und Nonkonformisten Kandinsky war nicht immer einfach. Franz Marc, der stets kreativ sein musste, um seine innere Balance zu halten, entwickelte sich durch seine zahlreichen Künstlerbekanntschaften zu einem kleinen Interaktionsmanager. Seine Bilder sind vor allem besser geworden, denn alle Werke, die vor 1910 produziert wurden, sehen aus wie Entwürfe oder Vorstudien. Auf Marc triff das zu, was sein geistiger Mentor Nietzsche einmal schrieb: Manche werden posthum geboren.
Brigitte Roßbeck. Franz Marc. Die Träume und das Leben. 2015 Siedler Verlag: München. 352 Seiten.
Bildquelle:
Stele Heiz Mack in Mönchengladbach
(Der Maler und Bildhauer Heinz Mack in Mönchengladbach)