COVID-19 und Spanische Grippe – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Aus den Erfahrungen mit der Spanischen Grippe in den Jahren 1918-1920 können wir lernen, wie wir auf die derzeitige weltweite Verbreitung der Krankheit COVID-19 reagieren sollten.Ursprung und Verlauf der Spanischen Grippe
Die Spanische Grippe war eine Influenza-Pandemie, wurde also durch einen Grippevirus verursacht, nämlich durch einen ungewöhnlich virulenten Abkömmling des Influenza-A-Virus mit der Bezeichnung Influenza-A-Virus H1N1 (Subtyp A/H1N1). Sie verbreitete sich zwischen 1918 – gegen Ende des Ersten Weltkriegs – und 1920 in drei Wellen, und zwar im Frühjahr 1918, im Herbst 1918 und im Frühjahr 1919. Bei der ersten Ausbreitungswelle gab es keine merklich erhöhte Todesrate. Erst die zweite und die dritte Ausbreitungswelle waren mit außergewöhnlich vielen Todesfällen verbunden. So starben ab Herbst/Winter 1918 weltweit zwischen 25 Millionen und 50 Millionen Menschen. Manche Schätzungen gehen sogar von 100 Millionen Toten aus.
Dabei war die Sterblichkeit in hoch industrialisierten Ländern am niedrigsten und in Ländern, in denen noch viele Ureinwohner lebten, am höchsten. Immerhin starben in den USA etwa 675 000, im Deutschen Reich 426 000 Menschen. Allein in Indien sollen mehr als 17 Mio. Menschen an der Spanischen Grippe gestorben sein. Insgesamt waren schätzungsweise 500 Millionen der damals etwa zwei Milliarden Menschen auf der Welt mit dem Virus infiziert. Viele Zeitzeugen fühlten sich an die Pest-Epidemien des Mittelalters erinnert.
Was den Ursprung der Spanischen Grippe betrifft, so ist inzwischen gut belegt, dass sie in Haskell County im US-Bundesstaat Kansas ihren Ausgang nahm. Und zwar waren dort am Anfang des Jahres 1918 zahlreiche Menschen an einer besonders schweren Form der Grippe erkrankt, und mindestens drei Personen aus Haskell County wurden im Februar in ein Ausbildungslager der US-Armee eingezogen. Dort zeigten daraufhin immer mehr Rekruten schwere Grippesymptome, etliche starben. Von dort breitete sich die Krankheit auf weitere Ausbildungslager aus und schließlich auch auf die Zivilbevölkerung. Mit US-Truppentransportschiffen gelangte dann die Krankheit nach Frankreich, damit nach Europa und verbreitete sich letztlich über die ganze Welt. Die Spanische Grippe war also eigentlich eine amerikanische Grippe. Aber in Spanien, das im 1.Weltkrieg neutral war, wurde zum ersten Mal über diese neue Erkrankung berichtet.
Im Jahre 2005 gelang die Rekonstruktion des Virus, der die Spanische Grippe ausgelöst hatte. Nach Meinung der beteiligten Forscher entstand er im Winter 1917 durch die Verbindung eines Vogelgrippe-Erregers mit einem menschlichen H1-Virus und erlangte seine Gefährlichkeit durch nur wenige Mutationen. In diesem Zusammenhang wird aber auch die Vermutung geäußert, dass der Erreger der Spanischen Grippe von Schweinen auf den Menschen übertragen worden sei und dass Infektionsort ein Stall mit Massentierhaltung gewesen sei. Jedenfalls war die in einem US-Hochsicherheitslabor wiederauferstandene Seuche immer noch so tödlich wie 1918. Denn in Tierversuchen erwies sich das rekonstruierte Virus als extrem aggressiv.
Unterschiede zwischen COVID-19 und Spanischer Grippe
Zunächst ist hier festzustellen, dass COVID-19 eine Lungenerkrankung ist und keine Grippe. Hier ist also der Unterschied zwischen einem Coronavirus und einem Influenzavirus als Verursacher der Erkrankung zu betonen. Und den bisherigen Beobachtungen zufolge ist das Coronavirus möglicherweise signifikant ansteckender als Grippeviren und führt auch zu schwereren Krankheitsverläufen. Anders war es beim Erreger der Spanischen Grippe. Denn bei der Spanischen Grippe kam es ja noch weitaus häufiger zu schweren Erkrankungen als bei COVID-19. Folglich muss es sich bei dem Erreger der Spanischen Grippe um ein Influenzavirus gehandelt haben, das noch gefährlicher war als "SARS-CoV-2", der Erreger von COVID-19.
Das zeigt auch die bei COVID-19 und Spanischer Grippe unterschiedliche Letalität je nach Alter der Betroffenen. So wird bei der Spanischen Grippe davon ausgegangen, dass nahezu die Hälfte der gesamten Pandemietoten der Altergruppe der 20- bis 40-Jährigen angehörte, während die Letalität bei Personen über 65 Jahren sehr gering war. Generell kann man sagen, dass die Letalität bei Personen unter 65 Jahren deutlich höher war als bei der Bevölkerung über 65. Das heißt: Etwa 99 % der Toten entfielen auf die erste Gruppe. Gerade jüngere, bis dahin gesunde und "fitte" Menschen fielen also der Spanischen Grippe zum Opfer. Bei COVID-19 ist es, wie die bisherigen Zahlen zeigen, eher umgekehrt. So ist der Krankheitsverlauf bei jüngeren, gesunden Menschen – wie es auch bei einer "normalen Grippe" üblich ist - eher milde, während Menschen über 65 Jahren und vor allem Menschen mit Vorerkrankungen ein hohes Risiko tragen, schwer zu erkranken oder sogar zu sterben.
Ferner hat sich gezeigt, dass viele Menschen, die die Spanische Grippe überlebt hatten, dauerhafte Schäden davontrugen, und dass alle Menschen, bei denen die Erkrankung zu einer Lungenentzündung geführt hatte, starben, während viele COVID-19-Patienten mit Lungenentzündung überleben und auch vollständig geheilt werden. Manche Experten sind aber auch der Meinung, dass die Spanische Grippe für ältere Menschen nicht so gefährlich war, weil diese möglicherweiser aufgrund früherer Infektionen, die durch einen anderen H1-Erreger ausgelöst worden waren, eine Resistenz gegenüber dem Erreger der Spanischen Grippe besaßen.
Gemeinsamkeiten zwischen COVID-19 und Spanischer Grippe
Nach Expertenmeinung ist bei COVID-19 und Spanischer Grippe die Ausgangslage vergleichbar. Denn als im Herbst 1918 die ersten Fälle der Spanischen Grippe auftraten, war die Krankheit für Ärzte und Betroffene so unbekannt und unheimlich wie das Coronavirus heute. In beiden Fällen traf der Ausbruch der Pandemie die Menschen weltweit also völlig unvorbereitet. Und beide Male ist es zu einer Pandemie mit einem Erreger gekommen, der durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen wird und gegen den es weder einen Impfstoff noch effektive Medikamente gibt.
Auch die unmittelbare Todesursache ähnelt sich bei beiden Krankheiten in auffallender Weise. Denn ebenso wie bei denjenigen, die an der Spanischen Grippe starben, kommt es bei denjenigen, die an COVID-19 sterben, zu einem akuten Lungenversagen und als Folgewirkung zu einem multiplen Organversagen. Und zwar soll bei der Spanischen Grippe durch das Virus eine atypisch starke Zytokin-Aktivität induziert worden sein. Das heißt: Zytokine sind Proteine, die im Körper bei Entzündungsprozessen eine große Rolle spielen können. Und eine übermäßig starke Zytokin-Aktivität, ein Zytokinsturm, ist eine Überreaktion des Immunsystems, die Abwehrzellen zu einem Angriff auf das Lungengewebe veranlasst. Dies könnte nach Expertenmeinung eine Erklärung dafür sein, dass gerade jüngere Menschen mit einem starken Immunsystem der Spanischen Grippe zum Opfer gefallen sind. Aber auch bei schweren Fällen von COVID-19 ist eine solche Überreaktion des Immunsystems beobachtet worden. Bei vielen älteren und sehr alten Menschen, die an COVID-19 verstorben sind, ist des demgegenüber eher zu einem Versagen des Immunsystems gekommen.
Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit zwischen Spanischer Grippe und COVID-19 besteht darin, dass beide Pandemien zeigen, wie es möglich ist, der Ausbreitung einer hochansteckenden Krankheit Herr zu werden, nämlich - solange es noch kein effektives Medikament gibt - die Ausbreitung zeitlich so weit wie möglich hinauszuzögern. So schränkten bereits zur Zeit der Spanischen Grippe - ebenso wie es in der heutigen Zeit praktiziert wird - einige Städte das soziale Leben in weiten Teilen ein und bekamen das Virus so in den Griff. Leider waren aber solche rigorosen Maßnahmen in der damaligen Zeit eher selten, weil infolge des Ersten Weltkriegs andere Probleme im Vordergrund standen. So entschied sich das deutsche Kaiserreich auf dem Höhepunkt der Pandemie gegen Quarantänemaßnahmen, gegen Schulschließungen und ein Versammlungsverbot. Und da es in vielen anderen Ländern ein ähnliches Politikversagen gab, konnte sich die Spanische Grippe fast ungehindert ausbreiten.
Schlusswort
Die Frage, ob die durch das Coronavirus ausgelöste Pandemie ähnlich katastrophale Ausmaße annehmen könnte wie die seinerzeit durch den Erreger der Spanischen Grippe verursachte Pandemie, ist nicht leicht zu beantworten. So hat uns der Fortschritt in der Medizin, der sich in den letzten hundert Jahren vollzogen hat, Möglichkeiten der Behandlung schwerer Krankheiten eröffnet, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten. Das heißt: Der Spanischen Grippe standen die Ärzte seinerzeit machtlos gegenüber, während bereits zahlreiche COVID-19-Patienten mit Hilfe der Mittel und Methoden, über die die moderne Medizin verfügt, geheilt werden konnten.
Dennoch gibt es in manchen Ländern erschreckend hohe Zahlen von Menschen, die an COVID-19 sterben. Und Experten haben "Worst-Case"- Szenarien entworfen, in denen uns vor Augen geführt wird, dass ähnlich hohe Todesraten wie bei der Spanischen Grippe zu erwarten sind, wenn die bereits ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht greifen oder nicht konsequent genug umgesetzt werden. Denn es werden ja bereits Stimmen laut, die ein Ende des Stillstands des öffentlichen Lebens fordern, weil sonst unabsehbare wirtschaftliche Schäden drohen würden. In letzter Konsequenz würde dies bedeuten, dass das Wohlergehen der Ökonomie höher veranschlagt wird als das Wohlergehen der Menschen. Beidem gerecht zu werden, wird die verantwortlichen Politiker noch vor große Herausforderungen stellen. Denn es wird auch immer deutlicher, dass die soziale Isolierung der Menschen, die mit dem Stillstand des öffentlichen Lebens einhergeht, irgendwann zu einer unerträglichen psychischen Belastung wird. Es wird also darauf ankommen - im Interesse der Ökonomie und im Interesse der Menschen - den richtigen Zeitpunkt für die Rückkehr zum normalen gesellschaftlichen Leben zu finden.
Ganz zum Schluss noch eine Meldung aus der Medizin, die Mut macht. So wird im Newsletter von "Der SPIEGELl" zum Coronavirus vom 1. April 2020 berichtet, dass sich die Ärzte bei der Bekämpfung von COVID-19 einen Prozess zunutzemachen wollen, der bei einem normalen Funktionieren des Immunsystems abläuft, wenn in den menschlichen Körper ein neuer Virus eingedrungen ist. Das heißt. In diesem Falle bringt das Immunsystem nach kurzer Zeit Antikörper in Stellung, die ganz auf den neuen Gegner zugeschnitten sind, und nach überstandener Krankheit ist der Mensch fortan immun, mithin geimpft. Darauf beruht ein Behandlungsansatz, der sich "passive Immunisierung nennt. Dabei wird genesenen Covid-19-Patienten Blut mit Antikörpern abgezapft und per Transfusion schwer kranken anderen Patienten zugeführt. Im neuen Organismus helfen sie dann gegen die Krankheit. Erste Tests in China klingen vielversprechend. Und das Verfahren hat schon auch schon bei der Spanischen Grippe geholfen. Damals konnte durch diese Therapie die Sterblichkeit um ein Fünftel gesenkt werden.
Quellennachweis:
https://www.helmholtz-hzi.de/de/wissen/themen/keime-und-krankheiten/coronaviren/
https://www.zm-online.de/news/gesellschaft/covid-19-wie-ein-shutdown-die-spanische-grippe-abtoetete/
https://www.heise.de/tp/features/Die-Spanische-Grippe-und-das-Politikversagen-4681944.html
https://www.heilpraxisnet.de/krankheiten/spanische-grippe-historie-ursachen-symptome
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