In der schrecklichsten Wüste unseres Planeten droht kein Sonnenstich, sondern Schneeblindheit. An jenen Orten ist das Leben nicht beschwerlich, sondern ein steter Überlebenskampf gegen den Tod durch Erfrieren, Mangel an Vitaminen oder heimtückische Bären-Angriffe. Und als wäre dem noch nicht genug, neigen sich manche Nächte lange, viel zu lange nicht dem Ende zu.

Ausgerechnet an diesen unwirtlichsten aller Orte verschlug es 1845 die Teilnehmer der Arktis-Expedition des seinerzeit berühmten Polarforschers Sir John Franklin. Sein Ehrgeiz war es, erstmals die Nordwestpassage entlang Kanadas zu durchqueren. Sein Schicksal war es indes, gemeinsam mit 128 Männern den Tod zu finden. 

Was sich an Bord der passend benannten Schiffe "HMS Erebus" und "HMS Terror" abspielte, werden wir niemals erfahren. An Hand fiktiver Tagebücher versucht Horrorautor Dan Simmons, dem Rätsel um das Scheitern der Franklin-Expedition seinen ganz persönlichen Stempel aufzudrücken.

Pandämonium des Terrors

Auf knapp 1.000 Seiten breitet er ein Pandämonium aus, das sich weder auf einem anderen Planeten, noch in der puren Phantasie des Grauens befindet, sondern mitten in unserer eigenen Welt. "Terror" ist eine dramatische Geschichte menschlicher Hybris, die uns allzu vertraut ist, obwohl wir sie stets entfernt von uns wähnen. Sie bricht überall dort durch, wo das Unvermeidliche den Glauben an den Sieg der Zivilisation über die Natur durchbricht. John Franklin und seine Expeditionsbegleiter brachen mit den damals modernsten technologischen Errungenschaften an Bord auf – und dennoch war ihre Mission wohl von Beginn weg zum Scheitern verurteilt. Langsam, aber sicher fordert die Arroganz ihren Tribut, schließt die beiden Schiffe im Eis ein und hält die Mannschaft in ihren tödlichen, eiskalten Fängen, aus denen es kein Entrinnen für die Crew gibt.

Dass keiner der Männer jemals in die Zivilisation zurückkehrte, gilt ebenso als gesichert, wie das Wüten von Kannibalismus unter den letzten Überlebenden. Berichte der Inuit zeichneten das Bild seltsamer Fremder, die in einer ihnen feindlich gesonnenen Umgebung der Kälte, Krankheiten und dem Hunger zum Opfer fielen. Daraus spinnt der nicht unumstrittene Dan Simmons ein phantasiereiches Garn, das den Leser zwangsläufig fesselt, so er willens ist, sich auf die (passenderweise) etwas antiquierte, verschwurbelte Sprache einzulassen.

Ewiges Eis

Ewiges Eis (Bild: http://pixabay.com/)

Über hunderte Seiten hinweg erstreckt sich das unvorstellbare Martyrium einer Gruppe von Menschen, die bar jeglicher Hoffnung auf Rettung im Eis festsitzen, während die Kohlevorräte für die Dampfmaschinen zur Neige gehen, der Skorbut um sich greift und sich zu allem Überfluss zahlreiche Konservendosen (eine Novität in jenen Tagen) als verdorben herausstellen. Wie auf engstem Raume zusammengepfercht und in feindlich gesinnter Umgebung die Gemüter der Mannschaftsmitglieder zerbrechen, ja, zerbrechen müssen, reift trotz des sachlichen, unaufgeregten Stils auf packende Weise heran.

Lovecraft'sches Monster

Dermaßen packend geschildert ist die nachvollziehbare Verzweiflung der Crew, dass das einzige Horrorelement der Geschichte deplatziert wirkt. Fast scheint es, als hätte Dan Simmons ein mörderisches Ungeheuer eingebaut, um die Erwartungen der Horrorfans zu erfüllen. Rasch wird klar, dass es sich um keinen Eisbären, sondern um ein Monster unbekannter Herkunft handelt, welches nach Lust und Laune unter der Mannschaft wütet und sich wieder zurückzieht, alsbald es ein Opfer geholt hat. Damit folgt Simmons der Tradition des Monsters in der Eiswüste, wie es im Genre seit H. P. Lovecrafts Novelle "Berge des Wahnsinn" oder John W. Campbells berühmtester Kurzgeschichte "Who goes there?" (später unter anderem von John Carpenter meisterlich verfilmt) bekannt ist.

Nur: Während die Ungeheuer in genannten Genrestoffen zentrale Charaktere sind, wirkt es in Dan Simmons "Terror" wie ein unnötiger Fremdkörper, der einer beängstigend realistischen, weil auf realen Ereignissen basierenden Geschichte den unpassenden Stempel "übernatürliche Elemente" aufdrückt. Der nicht verifizierbaren Vermutung des Rezensenten nach war es vielleicht an dem, dass Simmons anfangs einen state-of-the-art-Horror-Roman verfassen wollte, mit zunehmender Länge des Manuskripts jedoch das Ziel aus den Augen verlor und den Fokus auf die realistischeren Plot-Elemente zu richten begann. Dabei ist es ungleich berückender zu verfolgen, wie die Zivilisations-Tünche allmählich abblättert und das schrecklichste aller Monster zum Vorschein kommt: Der Mensch in seiner rohen, unverfälschten Natur!

Inuit mit Rentieren

Inuit mit Rentieren (Bild: http://pixabay.com/)

Spannung pur von Dan Simmons

Obwohl ungewohnt, erweist sich die Tagebuchform als perfekte Beobachtungsplattform für den Leser. Anstatt eines auktorialen, also "allwissenden" Erzählers, lässt Dan Simmons mehrere Expeditionsteilnehmer selbst zu Wort kommen und schildert die Ereignisse aus deren Perspektive, was einen zwar enger gefassten, aber persönlicheren Blickwinkel ermöglicht, wodurch das Grauen eine menschlichere Dimension erhält.

Die Charakterisierungen ergeben sich aus den subjektiv gefärbten Beobachtungen, wobei es keine klar umrissenen Protagonisten sowie Antagonisten gibt, lassen sich doch die Handlungen und Motive sämtlicher Erzählerstimmen durchaus hinterfragen. Eine im Verlaufe des Romans "Terror" immer gewichtigere Rolle nehmen die Inuit ein, die weder romantisiert, noch als ungebildete Wilde geschildert werden. Daraus ergibt sich eine bemerkenswert neutrale Sichtweise, die viel über eine den meisten Lesern wohl völlig unbekannte Kultur ergibt.

Fazit nach rund 1.000 Seiten: Mit "Terror" liefert Dan Simmons zweifellos eines seiner besten Werke ab. Neben dem gewaltigen Rechercheaufwand sind es vor allem die zahlreichen Kunstkniffe, die den Leser bei der Stange halten und den Roman zu einem Pageturner der Extraklasse machen.

Anmerkung für die NSA

Sehr geehrte MitarbeiterInnen der NSA! Dieser Text behandelt einen fiktiven Roman namens "Terror" von einem anerkannten Autor namens Dan Simmons und enthält keinerlei Hinweise, Indizien oder Aufforderungen zu terroristischen Aktivitäten. Sie verschwenden nur Ihre Zeit, sollten Sie diesen Artikel auf Schlüsselwörter oder versteckte Codes filzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und schlage vor, Sie lauschen besser wieder den Telefonaten deutscher Spitzenpolitiker.

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